Freitag, 27. April 2012

"Der Teezauberer" von Ewald Arenz



Tee und Lesen, das gehört irgendwie zusammen, so wie Tomatensaft und Flugzeug, wie Champagner und Jet Set. Natürlich sind es dann auch Romane, in denen es um Tee geht, die den teetrinkenden Leser – was ja an sich ein Pleonasmus zu sein scheint – untrüglich anziehen. So hat auch mich der Roman von Ewald Arenz mit dem klangvollen Titel „Der Teezauberer“ an- und schließlich in seinen Bann gezogen. Der Protagonist – Jakob – ist selbst passionierter Leser und Vorleser, der seine Geschichten auf bezaubernde Weise materialisieren kann – „auf Worten reisen“, nennt seine Frau das.
Aber von Anfang an: Jakob ist Teehändler und liebt diesen Beruf, wie er auch seine Frau Marietta und seine kleine Tochter liebt. Er hat nur ein Problem: er ist plötzlich nicht mehr zufrieden mit seinem Leben, eine unbestimmte Sehnsucht hat ihn erfüllt. Er will eine einzigartige, atemberaubende Liebe erleben, die nicht von Alltäglichkeit begrenzt ist. In Kombination mit seiner Leidenschaft für den Tee und das Lesen phantasiert er sich Frauen herbei, die seiner idealen Vorstellung entsprechen. Ein merkwürdiger Kreislauf wird in Gang gesetzt, der Jakob letztlich aber zu sich selbst und seiner wahren Bestimmung führt.
Was in diesem Roman Phantasie der Hauptfigur und Realität innerhalb der Fiktion ist, ist nicht immer nachvollziehbar. Man fühlt sich die ganze Zeit über wie in einem Traum und erzähltechnisch oftmals an Kafka oder Schnitzlers „Traumnovelle“ erinnert.
Eigentlich geht es weniger um die „Story“ an sich sondern vielmehr um die äußerst wunderbare Erzählweise, mit der Ewald Arenz seine Figuren zum Leben erweckt. Ein Kurzroman, fast mehr eine lange Erzählung, so voller Sinnlichkeit ist mir selten begegnet. Man schmeckt förmlich den Tee und begleitet den Protagonisten mit offenen Augen auf seiner zauberhaft-traumhaften Reise. Nebenbei erfährt man in chronologisch gehaltenen Einschüben etwas über die Geschichte des Tees.
Das Ganze ist für Leser gedacht, die einen Autor gern beim Fabulieren begleiten, die das Parabel- und Märchenhafte mögen und vor allem eine Vorliebe für poetische Sprache haben.

Meine Ausgabe:
 
Verlag: dtv
Erscheinungsjahr der Ausgabe: 2011
Erstausgabe: 2002
Seiten: 160
ISBN: 3423139781

Samstag, 21. April 2012

"They do it with Mirrors" von Agatha Christie


Eins vorweg: ich liebe die Krimis von Agatha Christie! Schon als wir in der Schule zum ersten Mal eine Buchvorstellung machen mussten habe ich, ganz ungewöhnlich, einen Christie-Krimi („Der ballspielende Hund“/“Dumb Witness“) ausgewählt. Die Leidenschaft für ihre Krimis ist geblieben und ich habe mir vorgenommen sie alle einmal im Original zu lesen, zumindest die mit dem Meisterdetektiv Poirot und der bezaubernden alten Lady, Miss Marple. Zu Letzterer greife ich, wenn ich in einer „quaint ol‘ English-mood“ bin und das war auch kürzlich wieder der Fall.

Der ausgesuchte Krimi „They do it with mirrors“ ist die Nummer 6 der Miss Marple-Reihe, die mit 14 Bänden wesentlich kürzer ist als die Poirot-Reihe.

Zum Fall: von ihrer Freundin Ruth Van Rydock wird Miss Marple nach ihrer alten Internatsmitschülerin Carrie Louise befragt, die mit einem ihrer vielen Ehemänner – Lewis Serrocold – aus einem Herrenhaus namens Stoneygates ein Rehabilitationsheim für Straftäter gemacht hat.
Wie so oft: wo Miss Marple auftaucht passiert plötzlich etwas – in der Regel ein Mord. Auch in diesem Buch ist das nicht anders. Miss Marple kommt als Gast nach Stoneygates und ein anderer Hausgast, der kurz nach ihr eintrifft, wird am zweiten Tag ihres Besuches ermordet – und das obwohl einer der Straftäter dem Hausherrn – dem Mann von Miss Marples Schulfreundin – gedroht hat ihn zu erschießen. Der Ermordete hatte eine brisante Information mit im Gepäck, die die Gesundheit der Hausherrin betrifft… sehr mysteriös – aber natürlich gibt es eine Erklärung!
 Der schrullig wirkenden Miss Marple wird sehr bald klar, dass hier Illusion und Realität nicht immer Hand in Hand gehen….

Das Besondere an der Personenkonstellation sind die komplizierten Familienverhältnisse, die dem Leser aufgetischt werden. Man hat das Gefühl: in Stoneygates ist jeder mit jedem verwandt und doch auch nicht. Carrie-Louise hat durch ihre vielen Ehen auch viele Stiefkinder und angeheiratete Verwandte und die muss man erst mal alle auseinanderhalten können. Dann auch noch die im Haus temporär untergebrachten Straftäter und die natürlich per se schon für ein Verbrechen in Frage kämen.

Was kann man sagen: man bekommt was man erwartet: einen gut begrenzten Kreis von Verdächtigen an einem überschaubaren Ort, schönes englisches Lokalkolorit aus dem mittleren 20. Jahrhundert und natürlich eine schlaue alte Detektivin, die an den Fall – wie sollte es anders sein – mit einer großen Portion Bauernschläue herangeht!
Mit der Identität des Täters hätte ich – wie meistens bei Agatha Christie nicht gerechnet. Die Spannung blieb bis zum Schluss erhalten!

Fazit: Lesenswert, auch wenn er nicht mein Lieblings-Christie-Krimi geworden ist.

Labels: Agatha Christie, Miss Marple, England, Krimi

Meine Ausgabe:

Verlag: HarperCollins
Erscheinungsjahr der Ausgabe: 2002/2008 (reissue)
Erstausgabe: 1952
Seiten: 284
ISBN:  978-0-00-712087-1
Deutsche Übersetzung: Fata Morgana
Verlag: Fischer Taschenbuch Verlag

Montag, 16. April 2012

"Revolution" von Jennifer Donnelly


[Die nachfolgende Rezension beinhaltet ein paar Hinweise zur Handlung und könnte damit das Lesevergnügen beeinträchtigen.]
Dieses Buch ist für mich eine kleine Sensation! Einerseits ist es ein richtiges Teenager-Drama, leicht geschrieben, vollgepackt mit Welt- und Herzschmerz und einer tüchtigen Portion Popkultur! Andererseits ist es ein Beispiel, wie aktuell und spannend Geschichte sein kann, die immer wieder neu interpretiert und bis in die Gegenwart für uns Bedeutung zu konstruieren in der Lage ist.
Die Gegenwart eines unglücklücken Teenagers – auf künstlerische Weise verwoben mit den Ereignissen aus dem revolutionären Frankreich des 18. Jahrhunderts, so könnte die Überschrift lauten.
Eigentlich bin ich skeptisch bei Jugendromanen, weil ich mich mit meinen fast dreißig Jahren immer schwerer in die Psyche von Teenagern hineinversetzen kann, ihre Verliebtheiten und depressiven Stimmungen, die Streits mit den Eltern und das Gefühl der Nutzlosigkeit. Bei „Revolution“ ist es so, dass man Andi ihre „Moodiness“ von Anfang an zugesteht, sie ist motiviert denn die Geschichte mit ihrem Bruder (die immer nur angedeutet, erst zum Schluss auserzählt wird) ist einfach schrecklich und man kann sich vorstellen, wie sehr sie darunter leidet. Die melancholische Verstiegenheit der Protagonistin nervt also nur sehr selten.
Zum Plot: Diandra, genannt Andi, ist nach dem Tod ihres geliebten jüngeren Bruders Truman, für den sie sich verantwortlich fühlt, untröstlich. Sie vermag nur noch für ihre Musik zu leben (sie spielt leidenschaftlich gern Gitarre). Auf der teuren privaten Highschool in New York steht bald ihr Abschluss an und sie soll ihre Abschlussarbeit zum selbstgewählten Thema „André Malherbeau (ein fiktiver Komponist, der im Roman im Frankreich des 18 Jh. für Gitarre komponiert hat) und seinen Einflüssen auf andere Musiker bis heute“ bald abgeben.
Ihre Mutter, eine aus Frankreich gebürtige Malerin von Stillleben, ist vom Tod des Sohnes psychisch angegriffen und lebt in einer ganz eigenen Welt, in der sie nur noch Bilder des verstorbenen Kindes malt. Der Vater von Andi ist Nobelpreisträger für Genetik, beruflich extrem erfolgreich und kaum zu Hause. Weil Andi es nicht schafft sich selbst aus ihrem tiefen seelischen Tal zu befreien und immer wieder mit dem Tod kokettiert, nimmt ihr sonst wenig präsenter Vater sie für drei Wochen mit nach Paris, weil er dort mit seinem Studienfreund Guillaume (genannt „G“), Historiker und Star-Forscher über die Französische Revolution, ein Projekt ausarbeiten will.
Sie fahren nach Paris und dort bekommt Andi Einblicke in die Welt der Französischen Revolution.
Das Projekt: Andis Vater Lewis und „G“ wollen das Herz von Louis-Charles, dem Sohn von Louis XVI und Marie Antoinette erforschen, der mit 10 Jahren als Gefangener des Terrorregimes von Robespierre in Gefangenschaft starb. Es gab im Jahr 2000 tatsächlich genetische Untersuchungen, die die Echtheit des Herzens belegt haben.
Als Andi ein Bild von Louis Charles sieht ist sie geschockt: er sieht genauso aus wie ihr verstorbener Bruder Truman!
In einem alten Instrumentenkoffer  aus der Sammlung von Gil findet Andi ein Geheimfach, in dem sich ein Buch befindet und das Bild des Prinzen Louis-Charles. Das Tagebuch stammt von der  1795 damals 17 Jahre alten Alexandrine. Ihre Aufzeichnungen sollen der Nachwelt die Geschichte um das traurige Ende des französischen Thronfolgers zeigen. Die Gaukler-Tochter kam durch eine zufällige Aufführung ihrer Truppe vor der Königsfamilie dazu die Gesellschafterin des jungen Prinzen zu werden, der kurz zuvor seinen älteren Bruder verloren hatte und dadurch auch seine Fröhlichkeit. Alex erzählt von den Ereignissen der Revolution, die sie am eigenen Leib erfahren hat ….
In Paris versucht Andi ihre Abschlussarbeit voranzubringen, doch sie wird immer wieder abgelenkt-sei es vom Tagebuch Alexandrines oder dem jungen französischen Taxifahrer Vergil, mit dem sie die Leidenschaft für die Musik teilt. Immer mehr gerät Andi in den Strudel der Ereignisse, Gestern und Heute verquicken sich und plötzlich befindet sich die junge Frau an einem Ort, an dem sie nie sein wollte…
Der letzte Teil des Buches ist der eigentliche Höhepunkt – für meinen Geschmack. 
Das, was mich an dem Roman so fasziniert hat ist die originelle Verknüpfung  eines Teenagerschicksals mit der Historie und der äußerst interessanten Geschichte rund um Louis-Charles, den „verlorenen König von Frankreich“. Dass wir ohne Geschichte nicht wären was wir sind, das erzählt das Buch auf eindrucksvolle Weise - deshalb lohnt sich der Blick zurück!
Am Ende des Buches finden wir eine ausführliche Auflistung der von der Autorin benutzten Sekundärliteratur. Das ist prima für alle die wie ich weiter in die Materie eintauchen und noch ein wenig quer lesen möchten was es sonst noch über die Revolution, ihre Opfer und Täter sowie die ganze Zeit zu wissen gibt.

Meine Ausgabe:
Verlag: Bloomsbury Publishing
Erscheinungsjahr der Ausgabe: 2011
Erstausgabe: 2010
Seiten: 472
ISBN:  9781408801512
Deutsche Übersetzung: Das Blut der Lilie
Verlag: Pendo


Sonntag, 1. April 2012

"Die Schopenhauer Kur" von Irvin D. Yalom


Vor mehreren Jahren habe ich das Buch „Und Nietzsche weinte“ von Irvin D. Yalom gelesen und fand es so gut, dass ich mir „Die Schopenhauer Kur“ von ihm gewünscht habe. Eine Freundin schenkte mir das Buch zu Weihnachten 2007 und irgendwie ist es bis jetzt ungelesen geblieben. Da es in der Ausgabe des btb-Verlags mit einem Cover von Gustav Klimt geschmückt ist, ist es mir im Zuge des dieses Jahr gefeierten 150. Klimt-Jubiläums wieder ins Auge gefallen.
„Und Nietzsche weinte“ spielt zur Zeit der Jahrhundertwende 1900 in Wien, zu der Zeit also, in der mit Sigmund Freud die Anfänge der Psychoanalyse wurzeln. Yalom ist selbst anerkannter Psychotherapeut in Amerika und seine Romane sind nicht selten in eine fiktive Handlung gepackte Fallstudien.
Therapeut ist auch der Protagonist von „Die Schopenhauer Kur“, ein 65jähriger jüdischer Arzt namens Dr. Julius Hertzfeldt, der im San Francisco des späten 20. Jahrhunderts/frühen 21. Jahrhunderts die Diagnose Hautkrebs bekommt und im Zuge seiner nunmehr kurzen Lebenserwartung die „unerledigten“ Fälle seiner Karriere aufarbeiten möchte. Am meisten muss er an den Patienten denken, den er drei Jahre lang wegen dessen Sexsucht erfolglos behandelt hat: Philip Slate. Er kontaktiert ihn und muss feststellen, dass er mittlerweile genesen und selbst Psychotherapeut mit eigener Praxis ist. Er trifft sich mit ihm und konfrontiert den sterbenskranken Arzt mit der merkwürdigen Aussage, dass er von keinem geringeren als dem Philosophen Arthur Schopenhauer geheilt wurde.
„Die Schopenhauer Kur“ ist im Wesentlichen ein Konversationsroman. Der Schlagabtausch zwischen Hertzfeldt und Slate steht im Mittelpunkt der Handlung, die an sich weniger wichtig ist als das, was Gesagt, worüber philosophiert wird. Auch die Gruppentherapie, die Slate im Laufe des Romans mit Julius und seinen Patienten durchmachen muss, ist Teil eines narratologischen Konzepts, das die Gesprächsstruktur als wesentliches Handlungsmoment begünstigt. In diesem Roman wird geredet und sich mit dem Gesagten auseinandergesetzt. Die Teilnehmer der Gruppentherapie entwickeln sich durch die Sitzungen hindurch, der Leser erfährt nach und nach, was ihre jeweilige Geschichte ist und welches Problem sie haben, mit dem sie sich auseinandersetzen müssen. Die Spannung unter den Teilnehmern ist ein wichtiger Katalysator für die Handlung.
Julius Hertzfeldt ist dem Tode geweiht, will ihn aber so gut es geht ignorieren und das Beste aus der Zeit machen, die ihm noch bleibt. Slate hingegen ist es wichtig, den Tod zu akzeptieren und ihn als Abstraktum zu begreifen, zu dem man Position beziehen muss, am besten durch die Brille der Philosophie Schopenhauers hindurch. Nicht der ehemalige Sexsüchtige, der mittlerweile alles von einem rationalen Standpunkt aus betrachtet und soziale Bindungen wo es geht vermeiden möchte ist die tragische Figur des Buches, sondern der Menschenfreund Julius Hertzfeldt, der sich im Angesicht des Todes erst bewusst wird, dass der Augenblick die einzige Zeit ist, die man wirklich besitzen kann und dessen Bewusstsein so etwas wie Glück verheißt. Dieses Auskosten der Gegenwart blieb ihm immer versagt und eben diese Erkenntnis weckt Mitgefühl beim Leser.
Die inhaltliche Mixtur aus Philosophiegeschichte, Psychoanalyse und Intertextualität (es wird oft auf Werke der Weltliteratur rekurriert) fordern einen aufmerksamen Leser, der sich auf das intellektuelle Niveau des Buches einlassen will. Ganz nebenbei wird uns die Biographie Arthur Schopenhauers in Einschüben nähergebracht, die die Gegenwartshandlung in regelmäßigen Abständen unterbrechen. Angenehm sind die relativ kurzen, sehr durchstrukturierten Kapitel, die es einem ermöglichen nach jeder Zäsur das Gelesene zu reflektieren.
Das Buch ist etwas für Leser, die sich gern auf die Gedanken anderer einlassen und nebenbei etwas lernen wollen. Ein „Denkroman“- keine Unterhaltung, aber trotzdem sehr anregend.

Meine Ausgabe:
Originaltitel: „The Schopenhauer Cure“
Deutscher Verlag: btb
Erscheinungsjahr: 2006 (dt.: 2007)
Seiten: 445 Seiten
ISBN: 3442735882