Montag, 30. Dezember 2019

"Der magische Adventskalender" von Jan Brandt


Magischer Realismus

Die Idee, eine Adventskalender-Geschichte mit 24 Kapiteln zu schreiben mag vielleicht nicht neu sein (ich habe nicht recherchiert, ob es ähnliche Stories gibt), Jan Brandt hat sie aber zusammen mit den Illustrator Daniel Faller auf einzigartige und sehr lesenswerte Weise umgesetzt. Die Geschichte des Halbwaisen Jonas Klaasen, der mit seiner Schwester Sonja und seinem Vater im (fiktiven) Kleinstädtchen Ravenhagen wohnt, steckt voller Wärme und Phantasie und geht in jedem Fall ans Herz.

An einem 1. Dezember findet Jonas einen Holzkasten vor seiner Haustür. Schnell stellt sich heraus, dass es sich dabei um einen Adventskalender handelt. Auf den einzelnen Türchen sind Symbole abgebildet, die Jonas auf eine magische Schnitzeljagd durch Ravenhagen führen, bei der er die Bewohner seiner Stadt besser kennenlernen wird - und irgendwie auch sich selbst…

Dieses Buch ist am ehesten der Strömung "Magischer Realismus" zuzuordnen, denn hier existieren die Welten des Alltäglichen und Phantastischen nebeneinander. Ich mag die Symbolkraft und das Geheimnisvolle an diesem kleinen Büchlein. Es geht in erster Linie ums Teilen und damit um Menschlichkeit, die wir alle in diesen "modernen" Zeiten umso nötiger haben.

Allzu viel möchte ich aber nicht verraten über das Buch, das sich am besten jeder - ob jung oder alt - selbst erschließen sollte. Meine Adventszeit hat es jedenfalls ein bisschen magischer gemacht!

Nähere Infos zum Buch gibt es: hier

Donnerstag, 26. Dezember 2019

"Teuflischer Walzer" von Frank Tallis



Gehaltvoller historischer Krimi aus der Zeit um 1900

Die historischen Kriminalromane rund um den in Mordfällen ermittelnden Arzt und Psychoanalytiker Max Liebermann sind für mich Neuland gewesen. "Ein Teuflischer Walzer" von Frank Tallis, der selbst Klinischer Psychologe ist, ist nach sieben Jahren Pause der neueste Band der Reihe. Leider findet sich im Buch keine Auflistung der bisher erschienen Fälle, was ich etwas schade finde, zumal alle Übersetzungen ebenfalls im btb-Verlag erschienen sind.

Wir befinden uns im Wien des gerade begonnenen Jahres 1904. Es ist das Wien der angeschlagenen K. u. k.-Doppelmonarchie. Die Kaiserin Elisabeth wurde wenige Jahre zuvor von einem Anarchisten ermordet, der Bevölkerung geht es schlecht, die vielschichtigen Stimmen des Sozialismus werden lauter. In der Kunst malt Gustav Klimt seine goldenen Gemälde. Sigmund Freud praktiziert in der Wiener Berggasse, wo er die menschliche Psyche erforscht. Vor diesem Hintergrund spielt sich die Krimihandlung ab: Ein entstellter Toter, der offensichtlich erschossen wurde, wird in einer ehemaligen Klavierfabrik gefunden. Kriminalinspektor Oskar Reinhardt holt sich einmal wieder Unterstützung beim Ermitteln in Person seines Freundes Max Liebermann. Dieser ist seines Zeichens Freud-Schüler und als Arzt und Psychiater mit den Abgründen der menschlichen Psyche bestens vertraut.

Der Roman beschwört eine unheilvolle Fin-de-siècle-Kulisse herauf. Düster, winterlich und beklemmend ist diese Atmosphäre, die die Handlung wunderbar umrahmt. Es geht ja auch um die dunklen Aspekte der menschlichen Psyche und persönliche Verstrickungen aller Art. Die vielfältigen Themenbereiche, die im Roman angesprochen werden, wie z.B. Spielarten der Medizin, Psychologie und Politik - natürlich im Kontext der Zeit um 1900 - sind für den Leser, sofern er sich nicht gedanklich ohnehin schon in diesen Metiers bewegt bzw. sich mit ihnen beschäftigt, erstmal sehr kompliziert, die Dialoge teilweise sehr hochtrabend. Durchbrochen wird dieser, ich nenne ihn mal intellektuelle Duktus, durch actiongeladene Szenen und eine brisante Handlung, die viel Sprengstoff bietet - im wahrsten Sinne des Wortes!

Der Roman hat mir sehr gut gefallen, auch wenn ich mich aufgrund der Themen stellenweise sehr konzentrieren musste. Die Figur des Max Liebermann und die Idee, einen Psychiater zum Co-Ermittler zu machen, fand ich sehr gut ausgearbeitet. Seine kluge Verlobte Amelia Lydgate frischt die Handlung, die eigentlich fast durchgehend ernst ist, sehr auf.

Alles in allem wird die Gesellschaft der Wiener Jahrhundertwende wunderbar und lebensecht portraitiert. Die Krimihandlung mit Spionageelementen fand ich sehr "international", Tallis ist Engländer und schreibt für ein breites Publikum.

Für dieses Rezensionsexemplar möchte ich mich beim Bloggerportal von Randomhouse / btb-Verlag recht herzlich bedanken!
Nähere Infos zum Buch: Link

Mittwoch, 25. Dezember 2019

"Ein perfider Plan" von Anthony Horowitz




[Aktuell: Um die Weihnachtszeit und "zwischen den Jahren" wird es neben aktuellen auch ein paar ältere Rezensionen aus Anfang/Mitte 2019 zu lesen geben, die ich bislang noch nicht gepostet habe.]


„Ein arbeitsloser Detektiv“ oder wie Anthony Horowitz ein "reales" Verbrechen aufklärte


Dieses Buch in ein Genre zu stecken ist schwierig. Ich würde am ehesten sagen, es handelt sich um einen „semi-fiktiven pseudo-autobiografischen Kriminalroman mit satirischen Zügen“. Die Handlung ist schnell erzählt: es geht darum, dass der Ich-Erzähler, reale Autor und Protagonist Anthony Horowitz (ein renommierter britischer Schriftsteller und Drehbuchautor) von einem Ex-Kriminalpolizisten und jetzigem Polizeiberater – den er von den Serienprojekten, an denen er arbeitet, kennt – namens Daniel Hawthorne dazu überredet wird, ein Buch über ihn und die Ermittlungen in seinem aktuellen Fall zu schreiben. Soweit, so einfach. Ist es aber alles irgendwie so gar nicht, denn Hawthorne erweist sich als äußerst unangenehmer Zeitgenosse mit Hang zu Alleingängen und autoritären Auftritten, die Horowitz an seine Grenzen bringen. Die krude, unzugängliche Persönlichkeit Hawthornes trägt im Übrigen dazu bei, dass er mehrfach überlegt das Buch und Hawthorne fallen zu lassen. Das Dumme ist nur, ihn interessiert es ebenfalls brennend, wer der Mörder ist und so wird Horowitz selbst zum Co-Ermittler in diesem Fall, über den er ja eigentlich nur schreiben sollte.
Der Fall an sich ist mehr als skurril und der berüchtigte schwarze britische Humor, mit dem alles irgendwie unterlegt scheint, führt dazu, dass einem beim Lesen oftmals das Lachen in der Kehle erfriert. Es geht um Diana Cowper, die Mutter des aufstrebenden britischen Hollywoodstars Daniel Cowper, die an dem Tag, an dem sie ihre eigene Beisetzung in einem Londoner Beerdigungsinstitut plant, ermordet wird. Schnell kommt ein Vorfall aus ihrer Vergangenheit ans Licht, der für ein Motiv herhalten könnte...
Das Buch ist sehr Dialoglastig und manche Szenen scheinen wirklich wie aus dem Drehbuch zu einer Krimikomödie entsprungen. Die Reibungen zwischen dem ungleichen Ermittlerpaar Hawthorne/Horowitz entbehren nicht einer gewissen Komik. Besonders köstlich und von humoristischer Brillanz ist beispielsweise die, als sich Horowitz zu einer Projektbesprechung mit zwei berühmten Regisseuren (ich verrate jetzt hier mal nicht, um wen es sich handelt) trifft.
Zu Lektorat und Übersetzung ist zu sagen, dass beides, wie nicht anders zu erwarten vom Insel-Verlag, hervorragend ist. Einen kleinen Wortfehler/Dopplung in einem Satz habe ich allerdings gefunden (S. 307).
Auch sehr schön finde ich, dass dieses Hardcover ohne Schutzumschlag auskommt und die Titelei geprägt ist. Beides war ebenfalls bei den Sherlock-Holmes-Büchern von Horowitz der Fall, weshalb latente Verwechslungsgefahr besteht. Allerdings hebt sich das Rot deutlich vom Schwarz der Holmes-Bände ab und auch die auf dem Titel abgebildete, typische englische Telefonzelle machen dem Leser unmissverständlich klar, dass das Buch nicht im London des 19. Jahrhunderts spielt. Die Zeit der Handlung ist 2011.
Mein Fazit: ein sehr lesenswerter Kriminalroman, mit einer ungewöhnlichen und kaum vorhersehbaren Handlung, der für meinen Geschmack allerdings etwas mehr „cosy“ und weniger „bloody“-morbide-skurril hätte ausfallen können.

Herzlichen Dank an den Insel Verlag und vorablesen.de für das Rezensionsexemplar!

Mittwoch, 18. Dezember 2019

"Puschkins Erben" von Svetlana Lavochkina



Machwerk oder Meisterwerk? Wahrscheinlich beides.



Manchmal, sehr selten, geht es mir nach der Lektüre eines Buches so, dass ich absolut nicht weiß, wie ich es bewerten soll. War es genial oder grottig, ein Meisterwerk oder ein Machwerk? Oder vielleicht einfach nur Mittelmaß?

Mit dem Roman "Puschkins Erben" (im Original "Zap") von Svetlana Lavochkina erging es mir genau so. Viele Aspekte an diesem Buch haben mich begeistert. Allein die Idee einer Familiensaga einer verrückten russischen Sippe, die vom russischen Nationaldichter Puschkin abstammen soll - toll! Der Roman ist intelligent, originell und manchmal sogar witzig. Auf der Sollseite haben wir eine sprachliche Derbheit, die viel zu oft ins Fäkale und Pornöse abdriftet sowie skurrile Handlungselemente, die sich ziehen und die ich nicht mehr nachvollziehen kann.

Alles an diesem Roman, der im Hauptteil die Geschichte einer Familie in der Sowjetunion in den Jahren 1976-1980 erzählt, ist exzentrisch. Da wäre - neben dem bizarren Personal - zum Beispiel die Sprache, die die Autorin verwendet, um ihre Geschichte zu vermitteln. Hier wimmelt es von rhetorischen Figuren wie Metaphern, Neologismen, Onomatopoesie, Synästhesie, und so weiter. Hier ist von "Katzenkurzweil" (S. 193) und vom "Milchbein" die Rede (S. 198), von "enterbenden Blick[en]" (S. 105) und vom "toxischen Elfenkönig" (S. 108) Nabokov. (An dieser Stelle ein großes Lob an die Übersetzerin Diana Feuerbach!) Der Roman scheint vor Intertextualität und Referenzialiät überzuquellen. Metatextualität, dein Name ist "Zap".

Wie passend dass eine der Protagonisten, Alka Katz, eine literaturwissenschaftliche Dissertation schreibt! Auch die ständigen Verweise auf andere Werke und Autoren - vor allem der russischen aber auch der internationalen Literatur (Alka promoviert über Ernest Hemingway, Shakespeare wird rezitiert) tragen zu diesem Eindruck bei.

In der Rahmenhandlung geht es um Russlands Nationaldichter, der für den deutschen Titel Namensgeber war. Wir lernen ihn auf wenigen Seiten im Prolog im Zaporoschje des Jahres 1820 kennen, wo er ein Kind zeugt und einen Ring verliert. Bereits hier im “historischen” Kapitel, ist die Sprache deftig-derb, allerdings nichts dagegen, was im Hauptteil des Buches noch folgen wird. Obwohl Puschkin Zap den "Blinddarm der Welt" (S. 38) nannte, hat seine Anwesenheit in der ukrainischen Provinz Auswirkungen auf die Zap’sche Gegenwart der 1970er Jahre: die jüdische Familie Knoblauch-Winter-Katz beruft sich auf die Herkunft vom großen Dichter. Josik Winter, Lehrer der Russischen Literatur und Möchtegern-Poet, hat ein Dokument gefunden, das dies beweisen soll. Er ist übrigens für mich die einzige erwachsene Figur des Romans, die man annähernd sympathisch nennen kann. Und das, obwohl auch er so seine Macken hat. Josiks didaktische Herangehensweise, um Schülern die russische Literatur zu vermitteln: er lässt sie sie erleben, indem er sie z.B. auf Schienen starren (Anna Karenina) oder eben Puschkins Verlust des Ringes am Dnjepr per Schatzsuche nachspielen lässt.

Was hat mich also gestört an diesem intellektuellen und burlesken Roman?

Zum einen, dass er in weiten Teilen den Vergleich mit einem expliziten Erotikfilm nicht scheuen muss. Hier werden primäre Geschlechtsteile bis ins Detail diskutiert, denn eine der abstoßendsten und schmierigsten Figuren, deren zweifelhafte Bekanntschaft ich in einem

Buch abseits des Horror- oder Psychothriller-Genres machen durfte, ist Esaw-Yantz, Chefarzt für Gynäkologie und Geburtshilfe. Die Szenen mit ihm, was leider nicht wenige sind, waren für mich teilweise so schwer zu ertragen, dass ich oft nicht weiterlesen wollte. Ja, ich verstehe schon dass das alles satirisch überhöht und grotesk sein soll, aber hätte es diese Figur wirklich gebraucht? Überhaupt diesen ganzen pornösen Überbau, der sich wie ein schmieriges Netz um die Handlung legt? Sorry, aber das mochte ich nicht. Josik wird es übrigens zum Verhängnis, dass er den körperlich-sexuellen Seiten des Lebens nicht so zugeneigt ist. Das spricht in meinen Augen Bände.

Auch in anderen Belangen nimmt das Groteske für meinen Geschmack viel zu sehr überhand. Ich will hier gar nicht ins Detail gehen, das würde zu weit führen. Aber die Sache mit Wosik und der Zigeunerin - ich weiß nicht. Die Handlung driftet graduell zunehmend ins Absurde, aber ohne “gut absurd” zu sein.

Übrigens hätte ich mir alles in allem mehr Puschkin-Rezeption erwartet. Sie beschränkt sich sehr auf die Figur des Josik. Mit dem Verlauf der Handlung wäre der Titel "Hemingways Erben" fast passender gewesen.

Wie gesagt, vielleicht bin ich diesem genialen Buch, das ja schon einige Rezensenten begeistern konnte, intellektuell nicht gewachsen gewachsen. Hier fürchte ich, muss oder darf sich jeder selbst ein Urteil bilden.

Herzlichen Dank an den Verlag Voland & Quist für das Rezensionsexemplar (die Gestaltung dieses Hardcovers ist wirklich sehr schön und besonders hervorzuheben) und die Leserunde bei Lovelybooks.
Nähere Infos zum Buch: Link








Samstag, 14. Dezember 2019

"Die Weihnachtsgeschwister" von Alexa Hennig von Lange


 
Driving home for Christmas…


"Die Hölle, das sind die anderen", heißt es in Jean-Paul Sartres Theaterstück "Geschlossene Gesellschaft". In "Die Weihnachtsgeschwister" von Alexa Hennig von Lange sind es ebenfalls immer die anderen, die die gemeinsame Weihnachtsfeier bei den Eltern einem Inferno gleichkommen lassen.

Die drei Geschwister Tamara, Elisabeth und Ingmar treffen am Tag vor Heiligabend zusammen mit ihren jeweiligen Kindern und Partnern im gemeinsamen Elternhaus ein. Statt einen gemütlichen Abend im trauten Beisammensein mit Ausblick auf das morgige Weihnachtsfest zu verbringen, eskaliert die Situation in einem Feuerwerk gegenseitiger Vorwürfe und Beleidigungen. Die Partner der Geschwister, Quirin, Siri und "der Neue" von Elisabeth, Holger, ergreifen mit den Kindern erstmal die Flucht ins Hotel. Ist das Projekt eines gemeinsamen Heiligabends in diesem Jahr gescheitert?

Hennig von Lange seziert ihre Hauptfiguren mit spitzen Fingern und legt deren Befindlichkeiten, Dämonen und seelischen Verletzungen frei. Die Intellektuelle Tamara, die in meinen Augen an einer narzisstischen Störung leidet, ist frustriert über ihr hohles Hausfrauendasein an der Seite eines männlichen Versorgers, der bei ihr schon lange kein Verlangen nach gegenseitiger körperlicher Zuwendung mehr weckt. Sie ist außerdem neidisch auf den beruflichen Erfolg ihrer alleinerziehenden Schwester Elisabeth, die zu allem Überfluss mit einem neuen Mann auftaucht, der perfekt in Tamaras Beuteschema passt. Von ihrem jüngeren Bruder Ingmar ist sie einfach nur angenervt, weil er mit seiner Weltverbessererattitüde scheinbar einen Nerv bei ihr trifft. Ingmar seinerseits steht kurz vorm Burnout und ist irritiert über Tamaras Aggressivität und ihre mangelndes Problembewusstsein zu den Themen Klimawandel, Umweltverschmutzung und Globalisierung. Die essgestörte Elisabeth hingegen trauert der gemeinsamen Kindheit und harmonischen Beziehung zu Ingmar nach.

Und am Ende gibt es dann doch wieder diese geschwisterliche Verbundenheit jenseits aller Animositäten. Ein Weihnachtswunder?

Den in Deutschland statistisch nur alle 10 Jahre vorkommenden Schnee an Heiligabend nutzt die Autorin, um den Kontrast zwischen der idyllisch-unschuldigen Umgebung und der dysfunktionalen Familiensituation zu illustrieren. Auch sonst arbeitet die Autorin viel mit Sprachbildern, die eine bestimmte Atmosphäre erzeugen.

Die pointierte und griffige Erzählweise von Alexa Hennig von Lange hat mir persönlich sehr gut gefallen. Hier wird nicht lange um den heißen Brei herum geredet (ganz symbolisch wird selbiger Brei von Elisabeth als "Extrawurst" für eins der Kinder vor der ersten Eskalation frisch zubereitet). Auch die relative Kürze des Romans tut der Geschichte gut - für mich hätte das Buch nicht länger sein müssen.

"Die Weihnachtsgeschwister" ist ein intelligenter Kurzroman darüber, wie sehr wir alle von unserer Herkunftsfamilie geprägt werden. Lesenswert!

Für dieses Rezensionsexemplar bedanke ich mich recht gerzlich beim Dumont Verlag sowie natürlich bei vorablesen.de!
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Mittwoch, 11. Dezember 2019

"Ein Winter in Paris" von Jean-Philippe Blondel



Die Überlebenden und der Tote


Zart, fast zärtlich und doch mit einer unterschwelligen Kraft, die einem Erdbeben gleichkommt, ist die Wirkung dieses kurzen Romans auf den Leser. Er erzählt die Geschichte eines Überlebenden, der durch den Tod eines anderen ein neuer Mensch wurde.

Der erwachsene Ich-Erzähler Victor, mittlerweile Lehrer, Vater und erfolgreicher Schriftsteller, bekommt in der Rahmenhandlung einen Brief aus der Vergangenheit. In der Folge beginnt die Haupthandlung, in der Victor seine Geschichte erzählt.

Obwohl das Buch "Ein Winter in Paris" heißt, ereignet sich das einschneidende Erlebnis in Victors Leben bereits im Oktober des Jahres 1984. Der junge Mathieu Lestaing stürzt sich aus dem Fenster des Elitegymnasiums in Paris, das auch Victor besucht, in den Tod. Victor, der sich seit kurzem mit Mathieu angefreundet hat, wird Zeuge dieses Suizids, der sein Leben für immer verändern wird.

Der Suizid des “Vielleicht-Freundes” wird zum Katalysator für Victors Lebensmut, das ungestüme Aufbäumen eines "Jetzt-erst-recht". Die Pläne von Schriftstellerei und Globetrottertum manifestieren sich im jugendlichen Gehirn des Ich-Erzählers. Er denkt über die Verortung des eigenen Ichs in diesem Universum nach. Gleichzeitig plagen ihn die Zweifel, der Gegenwind des konservativen Lehrkörpers, seine Entfremdung von der heimatlichen Provinz, das schwierige, wenig innige Verhältnis zu seiner Familie, die ihm intellektuell nicht mehr gewachsen scheint.

Für Victor tun sich in der Konsequenz des Selbstmordes von Mathieu allerdings auch neue Allianzen auf. Er, der vorher ein ganzes Jahr als Einzelgänger in Paris und an seiner Schule unterwegs war, wird plötzlich von Mitschülern wahrgenommen, die ihn bislang ignoriert hatten. Eine für ihn scheinbar erfreuliche, auf den zweiten Blick aber doch erschreckende Dynamik. Ihn umgibt nunmehr die Aura des Anziehenden und Mysteriösen durch die Verbindung mit dem Toten. Zwei Schüler des Lycées interessieren sich zeitweise etwas mehr für den Menschen hinter der Fassade des "Freundes des Toten": Armelle und Paul.

Die zentrale Beziehung, die sich schließlich neu für Victor entwickelt, ist aber die zu Mathieus verzweifeltem Vater Patrick. Der Mittvierzieger und der Schüler an der Schwelle zum Erwachsensein freunden sich an und philosophieren über die Hintergründe von Mathieus Freitod und dann zunehmend auch über Gott und die Welt.

Die Erzählweise dieses Kurzromans ist unaufgeregt, fast nüchtern. Gleichzeitig ist sie ungemein atmosphärisch und innig. Das herbstliche und schließlich winterliche Paris sowie die Geschehnisse rund um den Suizid werden durch Victors Sicht perspektivisch gebrochen. Durch eine gleichsam poetische Brille wird diese besondere Zeit in Victors Leben durch den Ich-Erzähler reflektiert, wodurch seine Gedankenwelt für den Leser unmittelbar zugänglich wird.

Das Besondere an diesem Buch ist, dass es einen Suizid einzig aus der Perspektive der Hinterbliebenen beleuchtet. Mathieu selbst lernt der Leser nur in der Spiegelung seiner Umwelt kennen - ein Zerrbild. Nicht der Selbstmörder steht also im Vordergrund, sondern die, die mit ihm - mehr oder auch weniger - zu tun hatten.

Ein hervorragendes, ein wichtiges Buch, das das Leben, das Überleben feiert, trotz allem. Ein Satz hallt besonders in mir nach: "Ich verspürte eine unbändige Lust zu leben." (S. 154)

Da ich selbst kürzlich meine älteste Freundin durch einen Suizid verloren habe, war mir die Lektüre dieses Buches eine Herzensangelegenheit. Es hat mir in dieser schweren Zeit sehr geholfen. Meiner Freundin widme ich diese Rezension.


Herzlichen Dank an das Bloggerportal von Randomhouse für die Bereitstellung dieses Rezensionsexemplars aus dem Goldmann-Verlag.
Nähere Infos zum Buch: Link

Dienstag, 10. Dezember 2019

"Von Oma mit Liebe. Die 96 besten Kuchentratsch-Rezepte" von Katharina Mayer


Universelles Traditionsbackbuch

Manches Wissen vererbt sich von Generation zu Generation. Diese Erkenntnis hat sich das Münchner Unternehmen "Kuchentratsch", gegründet von Katharina Mayer, zu Herzen genommen. Mayer gibt SeniorInnen einen Job in ihrer High-End-Bäckerei und erschafft damit eine klassische Win-win-Situation: Die älteren Menschen haben eine neue, sie erfüllende Aufgabe und "Kuchentratsch" kann Kuchen "von Oma" anbieten und damit wiederum seine Kunden glücklich machen.

Was liegt nun näher als das gesammelte Backwissen der älteren Generation, also in diesem Fall der bei "Kuchentratsch" beschäftigten "Back-Omas" (es gibt auch einen "Back-Opa" sowie 2 “Liefer-Opas” und eine Oma), zu bündeln und in Buchform herauszubringen. In diesem Fall hat der marktführende Verlag im Ratgeber- und Food-Bereich, GU, mit "Kuchentratsch" kooperiert und herausgekommen ist dabei das Buch "Von Oma mit Liebe. Die 96 besten Kuchentratsch-Rezepte".

Die Aufmachung in Vintage-Leinenoptik ist ebenso bestechend wie die Food-Bilder in klassisch hochwertiger GU-Qualität. Das besondere visuelle Extra bei diesem Buch sind allerdings die People-Fotografien, mittels derer die Omas und Opas liebevoll portraitiert wurden. Zudem gibt es kleine gezeichnete Portraits der BäckerInnen, die sowohl das Vorsatzpapier als auch die dem Rezept zugefügten "Tipps" illustrieren. Ein Vorwort der Gründerin, “Fun-Facts” über das Unternehmen sowie Interviews mit ein paar der SeniorInnen, runden den Teil des Buches ab, in dem es nicht um das Gebäck an sich geht.

Der sehr umfangreiche Rezeptteil gliedert sich in 4 Unterkapitel (“Kleine Leckerbissen”, “Lieblingskuchen für jeden Tag”, “Torten für jeden Anlass”, “Trendig & aus aller Welt”). Pro Kapitel gibt es jeweils einmal ein Rezept, dem eine bebilderte “Schritt-für-Schritt”-Anleitung auf 2 Seiten angefügt ist.

Im Bereich des Kleingebäcks, der uns zuerst ins Auge fällt, befinden sich die ersten Klassiker, die fast jeder von der eigenen Oma kennen dürfte. Manche Rezepte wurden durch exotische Zutaten wie Cranberries, Chai-Tee oder Macadamianüsse modernisiert, andere kommen in ihrer klassischen Gestalt daher (Baumkuchenspitzen, Quarkbällchen, Kirchweihnudeln, Spritzgebäck). Während man für Rezepte wie Zitronen-Muffins nur wenig Backkenntnisse braucht, sind z.B. “Brandteigkringel mit Vanillefüllung” eher etwas für fortgeschrittene “TeigverarbeiterInnen”.

Beim Kapitel “Lieblingskuchen für jeden Tag” hätte ich vielleicht den Zusatz weggelassen, denn manche der Kuchen firmieren bei mir eher unter dem Begriff “Sonntagskuchen”, weil sie in der Machart schon eher aufwändig sind. Darunter würde ich z.B. einen Florentiner Kirschkuchen, einen Zimtschneckenkuchen oder Rohrnudeln mit Zwetschgenfüllung zählen, die sich im gehetzten Alltag wohl nur schwer umsetzen lassen. Einen Marmor-, Rotwein- oder Zitronenkuchen kann man dagegen wohl schon eher mal zwischendurch kreieren.

Dass die Torten im dritten Kapitel schon mehr Fingerspitzengefühl erfordern, dürfte auch klar sein, immerhin sind sie für besondere Anlässe gedacht. Hier wurde in den Rezepten auch mal an die unter Zöliakie oder Glutenunverträglichkeit leidenden Tortenliebhaber gedacht mit Rezepten wie Glutenfreie Eierlikörtorte oder Buchweizen-Preiselbeertorte. Aber natürlich dürfen auch hier “Oma-Klassiker” wie die Schwarzwälder Kirschtorte nicht fehlen.

Auch im letzten Kapitel wird mit den “trendigen” und internationalen Rezepten nochmal speziellen Bedürfnissen wie vegan oder glutenfrei Tribut gezollt. Auch Kinderaugen dürften beim Anblick einer Piñata-Smarties-Torte, Regenbogentorte oder eines Zahlenkuchens auf dem Geburtstagstisch, leuchten.

Auch wenn ich kein Backkünstler bin, werde ich mich demnächst wohl an das ein oder andere Rezept heranwagen. Vor allem der Irische Apple Pie von Oma Kate hat es mir angetan.

Wenn man sich aus Gründen z.B. der Platzknappheit nur noch ein Backbuch anschaffen wollen würde, dann würde ich dieses hier guten Gewissens empfehlen.






Herzlichen Dank an vorablesen.de und den GU-Verlag für dieses Rezensionsexemplar!
Nähere Infos zum Buch: Link
Website von Kuchentratsch: Link


       

"Flirting with Fire" von Piper Rayne

(Foto: Forever Ullstein)


Flirting with Klischees und Langeweile

Gewünschtes Ziel: Romantischer Roman für junge Erwachsene mit einem Schuss Erotik.
Man nehme folgende Zutaten: Eine Vergangenheitserinnerung, die sich zur Verklärung eignet. Also in dem Fall die erste richtige Begegnung des schüchternen Mauerblümchens Maddie mit dem gut aussehenden Highschoolschwarm Mauro.
10 Jahre später: Madison wird von ihrer Freundin überredet, an einer Junggesellenversteigerung teilzunehmen und ersteigert wird: Mauro! Doch der erinnert sich - im Gegensatz zu Madison - leider nicht an sie.
Ach ja, er ist mittlerweile ein Feuerwehrmann und macht nebenbei in Immobilien, genau wie Madison hauptberuflich...
Ein Ereignis aus der jüngeren Vergangenheit belastet Mauro sehr, weshalb er sich nicht öffnen kann.
Maddie ist nach wie vor unsicher, gleichzeitig angezogen und abgestoßen und Mauro einfach unverschämt und unverschämt handsome zugleich ("Spoiler": Er sieht aus wie ein Hollywoodstar).

Dieses Buch ist vom Aufbau her jetzt nicht wirklich spannend oder besonders. Unnötig aufgeblasener, langweiliger und teils absurder Plot. Die Charaktere sind relativ flach, die Story absolut vorhersehbar. Ein bisschen "Drama", Liebes-Hin und Her, Missverständnisse - Soaphandlung! Das Buch wird abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Madison und Mauro erzählt. Es geht in beider Köpfen viel um Attraktivität und Oberflächlichkeiten. Sie riecht nach Erdbeeren und er nach Zedernholz. Sehr ausgefallen und differenziert - not! Und Mauro sieht ja so perfekt aus, sie ist seiner nicht würdig, etc. Wenn Frauen ihr Aussehen in Bezug auf ihre Chancen bei Männern nach "Dating-Kategorien" bewerten, dann schalte ich gedanklich schon mal ab. Das ist mir echt zu "amerikanisch". Übrigens geht mir auch bei Männern, die das Aussehen von Geschlechtsgenossen nach dem Männlichkeits-Faktor desselben beurteilen, die Hutschnur hoch.
Schwarzweiß-Denken in Kategorien von Männlichkeit und Weiblichkeit ist in diesem Buch stark verankert.
Sie ordert beim ersten Date natürlich eine Gemüseplatte - seiner Ansicht nach "Vogelfutter" - und Weißwein und er fettiges Essen und Bier, das sie natürlich insgeheim auch gern hätte, aber sie ist ja eine Frau und achtet auf ihre Linie. Ach du Schreck, das Klischee geht nicht weg!
Die Erotikszenen sind dann auch mehr als plump und voller Klischees.

Dass es eine Trilogie ("Saving Chicago") werden soll, ahnt man schon, denn Mauros Brüder Cristian (Klischeeberuf: Polizist) und Luca (Klischeeberuf: Rettungssanitäter) scheinen auch sehr gutes "Hottie-Protagonistenmaterial" abzugeben. Zumal Madison auch noch zwei passende Freundinnen hat, Lauren und Vanessa.

Es stimmt schon, ich gehöre nicht (mehr) zur Zielgruppe dieses Romans und es ist auch nicht mein Genre. Da ich das Buch aber geschenkt bekommen habe, wollte ich ihm eine Chance geben. Man sollte ja immer mal wieder über den Tellerrand hinausschauen, auch bei Büchern (fast hätte ich "Literatur" geschrieben). Für dieses Buch hat es bei mir leider nicht funktioniert. Dennoch 2 Sterne, einer für das Cover und einer, weil im Buch ein süßer Hundewelpe vorkommt.


Dankeschön an netgalley und Forver Ullstein für das Rezensionsexemplar!
Nähere Infos zum Buch: Link

Sonntag, 8. Dezember 2019

"Die verzauberte Stunde. Warum Vorlesen glücklich macht" von Meghan Cox Gurdon



Von der Erhabenheit des Vorlesens 


Die Amerikanerin Meghan Cox Gurdon, Kinderbuchkritikerin und selbst Mutter von fünf Kindern, schreibt über den Mehrwert des Vorlesens im "Zeitalter der Zerstreuung" (S. 16). Wenn vor allem Bildschirme und unser konstanter Umgang damit unser menschliches Zusammenleben und unsere kognitive Wahrnehmung bestimmen, ist das von Mensch zu Mensch gesprochene Wort umso wertvoller geworden. In einer Zeit, in der wir durch den Einfluss der Smartphones und des Internets eine immer geringere Aufmerksamkeitsspanne haben, sind Bücher wieder der Königsweg zu einer umfassenden Bildung von klein an.

Auf Basis fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse aus der Neurologie und Hirnforschung einerseits und andererseits aus Sicht der Mutter von fünf Kindern will dieses Buch uns die enorme Wichtigkeit des Vorlesens (nicht nur, aber vor allem des Vorlesens für Kinder) nahebringen. Natürlich ist das in gewisser Weise ein schwieriges Unterfangen, da gerade die bildungsfernen Familien bzw. die "wortarmen Haushalte" (S. 140), die diese Erkenntnis verinnerlichen sollten, wohl eher nicht zu einem Buch über das Vorlesen greifen werden. Andererseits werden die Familien, die ohnehin schon regelmäßig vorlesen, nach der Lektüre vielleicht noch öfter und passionierter das Vorlesebuch in die Hand nehmen.

Nicht nur der Status Quo des Vorlesens und seiner Bedeutung, auch die Geschichte der oralen Vermittlung von Sprache wird im Buch ausführlich beleuchtet. Die Tradition des Geschichtenerzählens sei so alt wie die Menschheit, so Gurdon. Erst später kam die Verschriftlichung von Geschichten auf und schließlich das gedruckte Wort.

Die Autorin zitiert sehr viel, sowohl aus der Primär- als auch aus der Sekundärliteratur, weshalb dem Buch auch ein umfangreiches Quellenverzeichnis zugefügt ist. Das Buch hat demnach einen dezidiert wissenschaftlichen Anspruch. An manchen Stellen wird es auch literaturwissenschaftlich, z.B. wenn die Autorin in die Analyse von Texten aus der Kinderliteratur geht. Andererseits geht es um empirische Beobachtungen, die sie oder andere gemacht haben, wenn Kinder vorgelesene Bücher rezipiert und darauf reagiert haben.

Immer wieder illustriert Cox Gurdon an Beispielen, wie wichtig ein großer Wortschatz für Kinder, ja bereits für Babys, ist, damit sie sich die Welt erschließen können. Die Eltern sind in der Verantwortung. Sie müssen für ihre Kinder den Grundstein des Wortschatzaufbaus legen und eine geeignete "Sprachumgebung" (S. 138) schaffen. Dafür gibt uns die Autorin auch konkrete Tipps an die Hand, wie z.B. "dialogische Techniken" (S. 148). Diese bilden auch abseits des Vorlesens eine wunderbare Möglichkeit, den Sprachschatz unserer Kinder anzureichern.

Auch dass es wichtig ist die Kinder ab einem gewissen Alter mit Märchen und Klassikern aus der "großen kulturellen Schatztruhe" (S. 200) der Menschheit zu konfrontieren, betont die Autorin.

Cox Gudron lehrt uns schließlich, wie man die titelgebende "verzauberte Stunde" durchführen, ja zelebrieren kann. So können wir uns wenigstens einmal am Tag eine Auszeit nehmen in diesem Zeitalter der Zerstreuungen. Und das tut nicht nur unseren Kindern, sondern auch uns selbst gut.

Kritisch anmerken muss ich aber dennoch, dass die Autorin sich oft sehr in (manchmal redundante) Detailanalysen und Zitate flüchtet. Darüberhinaus ist dieses populärwissenschaftliche Sachbuch sehr eklektizistisch. Die Autorin pickt sich mal hier mal da etwas heraus, um ihre Grundthese von der Bedeutung des Vorlesens, die tatsächlich unbestritten ist, zu illustrieren. Sie springt sehr viel in ihrer Argumentationskette. Mir fehlte manchmal etwas der rote Faden, an dem ich mich beim Lesen festhalten konnte. Der sprachliche Duktus, den Cox Gurdon verwendet, ist mir für ein Sachbuch auch teilweise zu pathetisch und die Argumentationslinie nicht objektiv genug. Man spürt zuweilen einen bildungsbürgerlichen Impetus im Subtext und fühlt sich dadurch beim Lesen auch etwas unzulänglich, wenn man es als Elternteil bislang versäumt hat seinem Kind "Die Chroniken von Narnia" vorzulesen oder es kein Interesse an kunstgeschichtlichen Fühlbüchern zeigt.

Cox Gurdon hat dennoch ein sehr wertvolles Buch geschrieben, das uns die Wichtigkeit des (Vor-)Lesens vor Augen hält. Eltern lernen daraus, wie kindliche Gehirne ticken, indem sie neue Worte wie Schwämme aufsaugen. Allen werdenden Eltern oder Eltern kleiner Kinder sei dieses Buch deshalb wärmstens empfohlen. Es ist in seiner Aussage besser als so mancher Erziehungsratgeber.

Ich möchte mich recht herzlich beim Suhrkamp/Insel-Verlag für dieses Buch bedanken, das mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt wurde.

Nähere Infos zum Buch findet man hier: Link zur Buchseite beim Insel-Verlag

Donnerstag, 5. Dezember 2019

"Der achtsame Mr. Caine und die Tote im Tank" von Laurence Anholt


Der "Veggie-Cop" ermittelt im Kunstmilieu


Um im Krimigenre hervorstechen, muss man sich heutzutage schon etwas Besonderes ausdenken, um nicht in der Masse unterzugehen. Laurence Anholt, seines Zeichens Kinderbuch-Autor und Illustrator, hat sich nun an diese Aufgabe herangewagt und ich würde sagen: mit Erfolg.

Sein Ermittler Detective Vincent Caine ist so ganz anders als alle anderen, die diesen Job in der Kriminalliteratur je gemacht haben (zumindest soweit es mir bekannt ist). Caine ist praktizierender Buddhist, er wohnt wie ein Eremit in einer einsamen Hütte in der Natur, seine Credos heißen Achtsamkeit, Karma, Meditation, Serendipität und Symbiose, statt eines Handys verlässt er sich auf seinen "Boten" und er isst bevorzugt selbst angebautes Gemüse aus dem Garten. Darüberhinaus ist er noch überaus belesen und clever. Gutes Aussehen (lange Haare und durchtrainierter Körper) gehört ebenfalls zu seinen Vorzügen.

Seine Kollegin, DI Shanti Joyce, ist das vermeintliche Gegenteil vom in sich ruhenden Caine. Nachdem sie von London nach Südwestengland "strafversetzt" wurde, muss sie sich nun an Caines alter Position erneut beweisen. Neu in Somerset, frisch geschieden und alleinerziehend, hat sie keine Zeit, sich auch noch um gesunde Ernährung, ein aufgeräumtes Büro und inneren Frieden zu kümmern.

Der Fall ist dann ähnlich skurril wie der Ermittler Caine, der eigentlich krank geschrieben ist, weil er eine Zeit der inneren Reinigung durchmacht. Die kurz vor ihrem großen Comeback stehende Performance-Künstlerin Kristal Havruen wurde in ihrer eigenen Installation - einem mit Formaldehyd gefüllten Glastank - ermordet aufgefunden.

Anholt hat eine herrlich skurrile Ansammlung von Figuren erschaffen, die alle irgendwie verdächtig sind. Vom dürren Kurator mit einer Vorliebe für karierte Anzüge, der kettenrauchenden alten Kunstlehrerin, über den ewig in das Opfer verliebten "tumben Tor", der gerne Tauben füttert bis hin zum lebenden Kunstwerk ("A boy named Art"), dessen hervorstechendste Eigenschaft zum Leidwesen seiner Künstler-Mutter die Gewöhnlichkeit ist, ist an markanten Charakteren alles dabei.

Besonders gefallen hat mir - neben dem ungewöhnlichen Ermittlerduo, den skurrilen Charakteren und der Story an sich - die Struktur dieses Krimis. Die Kapitelüberschriften sind zum Großteil allegorisch ("Die tödliche Sirene", "Das Haus der Knochen", etc.). Sie geben den Inhalt des jeweiligen Kapitels auf metaphorische Art und Weise wieder.

Bei dem sehr linearen Aufbau und den malerischen Schauplätzen in Südwestengland sowie den eingängigen Charakteren, hatte der Autor sicher schon eine Verfilmung im Hinterkopf, was für mich auch stimmig wäre.

Dieser Whodunit-Krimi ist außerdem voll von Zwischentönen und zwischen den Zeilen gestellten, indirekten Fragen: Wo verläuft die Grenze zwischen Kunst und Personenkult? Kann ein Mensch ein Kunstwerk sein? Wie "human" darf ein Polizist - der Arm des Gesetzes - sein?

Objektiv gesehen hat der Fall an sich eine sehr bizarre, wenn man so will "unrealistische" Komponente, die nicht bei allen Lesern auf Gefallen stoßen dürfte. Ich persönlich konnte damit sehr gut umgehen, wollte es aber dennoch erwähnen, dass der Krimi doch etwas speziell und abseits des Mainstream ist.

Ich jedenfalls freue mich sehr auf den nächsten Fall des "Veggie-Cops" und seiner Kollegin Shantala, der im Sommer 2020 erscheinen wird. Bislang sind 3 Bände geplant. Das Buch kann ich allen empfehlen, die “Cosy crime”, schräge Krimis und ungewöhnliche Ermittler mögen.

Für das Rezensionsexemplar möchte ich mich recht herzlich beim Droemer Knaur Verlag bedanken!
Nähere Informationen zum Buch gibt es hier: Link

Montag, 2. Dezember 2019

"Die kleine Buchhandlung am Ufer der Themse" von Frida Skybäck



Feelgood-Literatur ohne große Ansprüche


Ja, dieses Buch ist absolut vorhersehbar und voller Frauenroman-Klischees. Wir haben eine skandinavisch nüchterne Protagonistin mit einer Phobie vor Keimen, Thirtysomething, attraktiv. Sie, Charlotte, ist eine erfolgreiche Selfmade-Geschäftsfrau, aber ihr Herz ist verschlossen, seit die Liebe ihres Lebens, Alex, verstorben ist.

Dann bekommt sie von einer Tante, über die sie bisher nichts wusste, eine Buchhandlung in Londoner Bestlage vererbt. Diese Buchhandlung hat auch zwei Wohnungen, von denen sie die eine bewohnen könnte - wenn sie das in Erwägung zöge - und die andere wird von einem sehr gut aussehenden, alleinstehenden und scheinbar mürrischen Schriftsteller mit Schreibblockade bewohnt (wäre Hugh Grant nicht schon zu alt, würde er natürlich die Rolle in der Verfilmung spielen). Es gibt auch noch eine Buchhandlungs-Katze mit Schriftstellernamen (Tennyson), die warmherzige langjährige Angestellte Martinique, die nicht “Nein” sagen kann und die vorlaut-schlagfertige junge Teilzeitangestellte Sam. Dem Setting Leben einhauchende Randfiguren (Kunden) wie der alte, aber adrett gekleidete Herbert, "Opfer" einer ihn mit Essen "stalkenden" Altersgenossin, das Mädchen Calliope oder die ewig krächzende Parnella, lassen dieses Buch vollends zu einem literarischen Wohlfühl-Accessoire werden.

Obwohl Bücher und Literatur eigentlich gar nicht ihr Metier sind, kommt die kühle Schwedin langsam auf den Geschmack dieses "hyggeligen" - wenn auch wenig hygienischen - Lebens in der britischen Metropole. Auch William - wer hätte das gedacht - übt eine gewisse Anziehungskraft auf sie aus. Es könnte alles so schön sein, wären da nicht die finanziellen Probleme der Buchhandlung und die Frage, warum ihre ihr unbekannte Tante ihr diese vererbt hat.

Die Gegenwartshandlung (ohne Jahresangabe) wird durch alternierend erzählte Ereignisse aus den Jahren 1982-1983 durchbrochen. In diesen Vergangenheitskapiteln geht es um die Geschichte der Schwestern Kristina und Sara, Charlottes Mutter bzw. Tante. Nach und nach wird das Geheimnis gelüftet, was deren Erlebnisse im London der Achtziger Jahre mit Charlottes Gegenwart zu tun haben.

Die Rückblenden sind tatsächlich sehr spannend. Man kann sich zwar schon früh ein wenig denken, was das große "Geheimnis" um Charlottes Existenz ist, aber die Innenwelt sowohl Kristinas als auch Saras wird hier sehr transparent und man bleibt als Leser dadurch an der Handlung dran.

Charlotte finde ich für eine Protagonistin aber dann doch wieder eher flach, an manchen Stellen sogar naiv. Die Nebenfiguren und auch die Figuren der Vergangenheitshandlung sind weitaus differenzierter ausgearbeitet worden.

Was die Bekehrung Charlottes zum “Büchermenschen” betrifft: auch das ist ganz nett gemacht. Literarische Referenzen sind geschickt eingebaut worden, nur die Geschichte mit J.K. Rowling wirkt sehr finde ich dann doch sehr unglaubwürdig - selbst für einen “Wohlfühl-Frauenroman”.

Nichtsdestotrotz:: Das Buch hat mir als Ganzes sehr gut gefallen. So wie einem ein alter Pulli oder ein bequemes Sofa gefällt mit einer heißen Tasse Tee daneben: einfach, nichts Neues, aber warm und kuschelig. Echte "Feelgood-Literatur" eben, wie sie im Buch auch an einer Stelle erwähnt wird.

Nähere Infos zum Buch: Link