Heute möchte ich ein Buch vorstellen, welches ich bereits im Herbst letzten Jahrs bei vorablesen gewonnen und auch rezensiert habe (die nachfolgende Rezension ist dieselbe, die ich dort eingestellt habe). Weil es für mich so spannend und interessant war, möchte ich es nun auch auf meinem Blog veröffentlichen und allen empfehlen, die in Großbritannien spielende Historienromane lieben (so wie ich).
Bei diesem Mix aus dem History und Mystery-Genre
(mit einer Prise Thriller) handelt es sich um den ambitionierten und,
wie ich finde äußerst gelungenen Versuch, ein Geheimnis aus der tiefen
Vergangenheit (in diesem Fall der mystischen Vorzeit Britanniens) durch
eine historische Figur aus der ebenfalls tiefen, aber nicht ganz so
lange vergangenen Vergangenheit (dem England des 16. Jahrhunderts) zu
lösen.
Der Hofwissenschaftler der jungen Königin Elizabeth
Tudor (zum Zeitpunkt der Handlung erst 2 Jahre auf dem Thron), Dr. John
Dee, wird mit der schier unlösbaren Aufgabe konfrontiert, die seit der
Auflösung der Klöster verschollenen Gebeine ihres „Vorfahren“ König
Artus aus Glastonbury nach London zu holen, um ihre Regentschaft gegen
ihre Feinde und Gegner abzusichern , aber auch, wegen ihrer Ängste und
ihres Aberglaubens. In einer Zeit, in der die neue Religion, der
Protestantismus, von Staatswegen wieder durchgesetzt wird und es dennoch
unterschwellig im ganzen Volk brodelt, einem Volk, dass sich seine
eigenen Götter sucht, dem Aberglauben anhängt und in der Höflinge bereit
sind die Religion wie die Kleidung zu wechseln, ist es für den
Wissenschaftler Dee ein Canossagang in die einstige Hochburg des
britischen Katholizismus und gleichzeitig des vorchristlichen Heidentums
zu gehen. Er trifft auf ehemalige Mönche, Kräuterfrauen und
Reliquienhändler und muss einen grausamen Ritualmord an einem Diener
seiner Königin erleben, um näher zum Geheimnis der „Gebeine von Avalon“
zu gelangen.
Was an diesem Buch so besonders ist und mich
absolut anspricht: obwohl es um Altes und Abgelebtes geht, also um
Jahrhunderte alte Knochen, um das Zurücklassen des Überholten (sei es um
Religion oder den Aberglauben,
der sich in Hexenverbrennungen etc. geäußert hat) und schließlich um das
ultimative Nicht-Sein, den Tod (zartbesaitete Leser – zu denen ich mich
auch zähle – müssen sich hin und wieder auf äußerst morbide und
teilweise grausame Szenarien einstellen) und die Angst davor (das
„memento mori“-Motiv wird oft anzitiert), atmet dieser Roman auf jeder
Seite Lebendigkeit. Rickman schafft es wie kaum ein anderer das
Glastonbury des 16. Jahrhunderts so greifbar werden zu lassen, als wäre
man selbst ein Teil dieser Stadt, die – durch die zerstörte Abtei
repräsentiert – nur noch ein Anachronismus ihrer Selbst ist. Man spürt
förmlich die kalte Luft des Februarmorgens, wenn der Schmied seine
Pferde beschlägt, man isst mit Dr. John Dee die verschrumpelten
Winteräpfel auf dem Markt und spürt schließlich die unwirklich
schleierhafte Atmosphäre, den Spirit an diesem Ort, der etwas ganz
Besonders ist.
John Dee ist in der Überlieferung eine eher dunkle
Gestalt, die sich der Alchemie und Astrologie verschrieben hat. Diese
Vorstellung von ihm geht aber ganz und gar nicht mit der
sympathisch-menschlichen Charakterisierung von ihm durch Phil Rickman
einher. Dr. Dee ist Anfang dreißig und beschreibt sich selbst ganz
faustisch als einer, der zwar viel Wissen angesammelt, aber wenig erlebt
hat und mit Menschen nicht so gut umzugehen weiß. Sehr bescheiden lebt
er trotz seiner (unbezahlten) Eigenschaft als Haus- und
Hofwissenschaftler der Königin mit seiner Mutter zusammen auf dem Land,
die spärlichen erotischen Kenntnisse hat er bei der heimischen Magd
gesammelt. Im ruinenhaften Glastonbury begegnet er nun
bewusstseinserweiternden Zuständen und: der Liebe.
Das Gegenteil von Dee ist der großsprecherische Sir
Robert Dudley, Geliebter, Höfling und Oberstallmeister der Königin, der
Dee auf seiner Reise nach Glastonbury begleitet und unfreiwillig durch
Krankheit in die Rolle des Untätigen gelangt. Auch er ist trotz seiner
vielen Fehler und inneren Zerrissenheit (er schwankt zwischen der Liebe
zu seiner Frau Amy und der zur Königin) sympathisch charakterisiert. Die
beiden geben ein fast schon amüsantes neuzeitliches „Ermittler-Duo“ ab,
ihre lebendigen Dialoge sind ein sehr schöner Nebenaspekt des Buches.
Außerdem: Rickman schafft es bei aller schwierigen
Thematik sowohl Lesbarkeit zu erzeugen als auch den:
„Muss-weiterlesen“-Effekt zu kreieren – und das ohne spektakuläre
Cliffhanger (wobei die Kapitel sehr gut in sich strukturiert und
angenehm kurz sind). Einfach die Story an sich ist so gut, dass man
unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht und was Dr. Dee auf die
Spuren der Gebeine von Artus bringen wird.
Zum Schluss noch ein Lob für die geniale
Covergestaltung mit dem erhabenen haptischen Titel und überhaupt den
Softumschlag, der beim Lesen sehr angenehm ist und auch nachher im Regel
viel hermacht.
Ich bin froh dieses Buch gelesen zu haben und kann
es nur allen empfehlen, die gerne durch das Zwielicht dringen und sich
für historische Mysterien interessieren: 5 Sterne!
Meine Ausgabe:
Originaltitel: "The Bones of Avalon"
Verlag: Rowohlt Polaris
Erscheinungsjahr: 2011
Seiten: 656
Originaltitel: "The Bones of Avalon"
Verlag: Rowohlt Polaris
Erscheinungsjahr: 2011
Seiten: 656
ISBN: 3862520013