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"The Intoxicating Mr. Lavelle" von Neil Blackmore
Queere historische Romane sind immer ein wenig traurig, möge auch noch so viel Humor, Ironie und Leichtigkeit in ihnen stecken. So kam es doch in früheren Jahrhundeten in den meisten Ländern (heute erschreckender Weise mancherorts immer noch) einem Todesurteil gleich, seine Homosexualität offen zu leben. "Benjamin and Lavelle aren't based on real people, but a love story like theirs wouldn't have been allowed to be told at the time." Diesen Satz sagt Neil Blackmore über seinen Roman "The Intoxicating Mr. Lavelle", dessen Handlung im Jahr 1763 beginnt.
Es geht um zwei Brüder aus London, beide Anfang zwanzig, namens Edgar und Benjamin Bowen. Der Vater, Waliser, ist Inhaber einer Reederei, die Mutter, Holländerin, eine Intellektuelle, die den Idealen der Aufklärung verpflichtet ist. Für die Eltern ist es selbstverständlich, die nunmehr erwachsenen Söhne auf ihre "Grand Tour" über das europäische Festland zu schicken, bevor sie ins elterliche Unternehmen eintreten. Sie sollen die Kulturschätze des Abendlandes kennenlernen und wertvolle Kontakte für das spätere Leben als Kaufmänner knüpfen. Während Edgar die Vorstellungen der Eltern in die Tat umzusetzen versucht, rebelliert Benjamin dagegen. Er lernt Horace Lavelle kennen, einen enigmatischen jungen Mann von außergewöhnlicher Schönheit.
Lavelle macht sich über jeden und alles lustig,was nicht bei Drei auf den Bäumen ist. Er pfeift auf Konventionen und gesellschaftliche Gepflogenheiten, wie z.B das damals für Männer einer gewissen Schicht übliche Tragen einer Perücke: "reject"/"ablehnen". Sein Mantra ist die Wahrheit, seine Wahrheit und das Dagegensein als Selbstzweck. Ein Philosoph, der Sophisterei betreibt. Ein Liebender, der die Liebe ablehnt. Aber natürlich steckt hinter seiner Fassade eine tiefe Verletzlichkeit, ein Mensch, der Traumata durchlitten hat. Benjamin und Lavelle beginnen eine Liebesbeziehung miteinander, die das Leben der beiden - und auch das von Benjamins Bruder Edgar - für immer verändern wird…
Ich habe selten so einen präzisen, intelligenten und erotischen historischen Roman gelesen, der auf relativ wenigen Seiten (300) eine so tragische und doch so lebensbejahende Geschichte erzählt wie diese hier. Man soll leben, wie man es selbst möchte, so das Credo Lavelles. Lavelle ist einer der tragikomischsten und vielschichtigsten Protagonisten, die ich seit Langem kennengelernt habe.
Es gibt Bücher, bei denen man sich fragt, warum um alles in der Welt sie noch nicht (ins Deutsche) übersetzt wurden. Bei diesem queeren historischen Roman stelle ich mir diese Frage.