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Samstag, 13. Juli 2024

"Reichlich spät" von Claire Keegan


Die Hölle sind die anderen 

[Spoiler zur Handlung]

Reichlich dekadent und wunderbar bibliophil kommt die deutsche Übersetzung von Claire Keegans Erzählung “So late in the Day” (übersetzt von Hans-Christian Oeser), erschienen im Steidl Verlag, daher. Knapp 55 Seiten umfasst das Werk in dieser Ausgabe nur, wobei der Text schon etwas “aufgebläht” wurde. Eine hohe Schriftgröße kombiniert mit Blocksatz und einem sehr breiten Rand deuten darauf hin. Weniger Seiten hätten das schöne, leinengebundene & geprägte Hardcover mit Lesebändchen auch fast nicht mehr gerechtfertigt. Wobei: Eigentlich kommt es doch auf den Text an und Claire Keegan ist wohl eine Meisterin der Kurzprosa. Sie kann auf wenigen Seiten - so ihr Ruf - das vollbringen, was manche Wälzer-Autor:innen nicht schaffen: verdammt gute Literatur mit “Aha-Garantie”.

Aber wird der Inhalt dieses schmalen Büchlein seiner extravaganten Ausstattung gerecht? Um das “große Thema Misogynie” soll es hier gehen, so verrät es die Klappentext-Lobeshymne. Ein Mann mit einem sehr irischen Namen (Cathal) beendet an einem heißen 29. Juli seinen langweiligen Dubliner Bürotag und fährt mit dem Bus nach Hause in seinen Vorort. Dort mehren sich die Zeichen, dass hier irgendetwas nicht stimmt: Ein vertrocknender Blumenstrauß vor der Eingangstür, eine penisförmige Junggesellenabschiedstorte, ein ungeöffneter Champagner im Kühlschrank... Wir erfahren nach und nach, dass der heutige Tag Cathals Hochzeitstag hätte sein sollen, aber er wurde sitzen gelassen - von Sabine. Auf wenigen Seiten werden die Diskrepanzen zwischen Cathal und der Anglo-Französin geschildert, die sich vor allem an Alltäglichkeiten festmachen lassen. Der unterschiedliche Umgang der beiden mit Geld ist dann letztlich auch der finale Fallstrick ihrer Beziehung. Festgemacht wird dies an dem Pfund Kirschen - das Leitmotiv der Novelle, sehr bezeichnend da Kirschen auch in der Natur als Paar auftreten -  das Cathal für empörende 6 Euro bei Lidl erwerben musste, damit Sabine eine Tarte damit backen konnte. Dass die Tarte nicht mal gelungen war und ergo ihr Geld nicht wert, trägt zur Ironie des Ganzen bei. Und weil Sabine Frauenfeindlichkeit mit Geiz bzw. der männlichen Eigenschaft, “nicht geben zu wollen”(43), gleichsetzt, scheitert die Beziehung. Das führt zu einer Hasstirade Cathals allen Frauen gegenüber, womit die Erzählung endet.

Diese Erzählung ist sicherlich sehr gut und clever gemacht, aber habe ich sie als literarische Epiphanie empfunden? Beileibe nicht. Ich mochte dass sich alles ganz gemächlich bis zum Höhepunkt steigert und den “normalen” Protagonisten, über den ich allerdings gern mehr erfahren hätte. Die perfekt geschilderte Atmosphäre des heiß-trägen Sommertages und die Zeichenhaftigkeit sprechen auch für die Novelle. Das Thema Misogynie ist ebenfalls immens wichtig, keine Frage, wobei ich finde, dass dies nicht nur eine Mann-Frau-Divergenz-Geschichte ist. Letztlich scheitern hier zwei Menschen an ihrer jeweiligen Andersartigkeit und daran, dass sie ihre Leben “zusammenlegen” wollen. “Die Hölle - das sind die anderen” - das Zitat von Sartre bringt die Essenz dieser Novelle meines Erachtens perfekt auf den Punkt. Und dabei ist es eigentlich gar nicht mehr so relevant, welches Geschlecht die anderen haben - sie sind anders und das Andere ist das, was wir selten ganz verstehen und uns zu eigen machen können oder wollen. Empfehlenswert für einen Sommernachmittag in der Hängematte.

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