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Sonntag, 18. August 2024

"A Midsummer's Nightmare" von Noah Stoffers

"Die Grenze zwischen den Welten hier auf der Insel war schon immer dünn. Und jemand macht sich das zunutze. Er hat sie aufgebrochen.” (S. 105)

Was viele vergessen: Shakespeare hat in seinen Dramen nicht nur die Realhistorie, philosophische Fragen oder die Urthemen der Menschheit wie Liebe und Tod in unsterbliche Kunst verwandelt - er war auch ein “Fantasyautor”, wie man heute sagen würde. Das wahrscheinlich berühmteste Werk der fantastischen Literatur ist - neben “Der Herr der Ringe” - Shakespeares “Sommernachtstraum”. Es ist schön zu sehen, dass auch moderne Autor:innen dieses Stück in ihren eigenen Werken rezipieren und somit - auch außerhalb der Bühne - lebendig werden lassen. 

Auch Noah Stoffers hat den Shakespeare-Stoff adaptiert und in sierem Roman in einen neuen Kontext gesetzt. Diesmal wird das Stück auf der (fiktiven) schottischen Insel St. Hilma aufgeführt und zwar von Studierenden des “Murray College”. Hauptfigur in diesem Roman ist Ari Campbell, ein:e nonbinäre:r Studiernde:r. Ari ist im letzten Semester vor dem Abschluss in Archäologie und Kunstgeschichte. Dey sind wie gesagt nonbinär und transmaskulin. Ari hat ein erhöhtes Körperbewusstsein und ist sehr sensibel, was die Fremdwahrnehmung von denen selbst durch Mitmenschen angeht. Umso erfreuter ist dey, dass denen die Rolle des Elfenfürsten Oberon angetragen wurde, da deren maskuline Seite damit gewürdigt wird. Doch Ari fängt plötzlich an Geister zu sehen und auch mit Aris Freund:innen und Schauspielpartner:innen Rayna, Ren und Jamie scheint etwas nicht zu stimmen. Was ist nur am Murray los und wird der Sommernachtstraum von Shakespeare zu einem Sommernachtsalbtraum?

“A Midsummer's Nightmare” hat mich total überzeugt. Nicht nur ist die Geschichte ultra spannend und ein sehr abwechslungsreich geplotteter Pageturner, sie besticht auch durch die einzigartige Atmosphäre, die auf der abgelegenen schottischen Nordseeinsel herrscht. Dass die keltische Mythologie und die Legenden von der Anderswelt bzw. Feenwelt geschickt in die Story eingeflochten wurden, hat mir besonders gefallen. Alle Figuren waren schlüssig in ihrer Charakterisierung, aber die Hauptfigur Ari und Jamie, der verspielte extrovertierte Adelsspross, haben einen extra großen Eindruck bei mir hinterlassen. Wenn man nach der Lektüre noch über die Charaktere nachdenkt und sich fragt, wie es mit ihnen weitergeht, dann hat die schreibende Person definitiv etwas richtig gemacht.

Das Schubladendenken unserer Gesellschaft wird in diesem Roman zurecht kritisiert. Es stellt sich die Frage, ob eine strikte Trennung der Geschlechter, wie z.B. bei Toiletten oder College-Schlafsälen, überhaupt noch zeitgemäß ist. Schließlich entspringt diese einer heteronormativen Denkweise, die in einer offenen Gesellschaft wie der unseren, die eine Gleichbehandlung aller Menschen zumindest anstrebt, als rückständig anzusehen ist. Man konnte sich gut in die Sichtweise einer nonbinären Person einfühlen. Schließlich sind diese Menschen in der Literatur noch unterrepräsentiert und deswegen ist ein Roman mit einer solchen Hauptfigur umso wertvoller.

Wer nichts mit Grusel, Fantasy und leichtem Horror (für mich als Angsthase in dieser Beziehung absolut erträglich) anfangen kann, für den/die ist dieser Roman freilich nichts. Sehr schön fand ich auch “Pucks Worte zum Geleit” am Anfang - ich habe noch nie so eine poetische Triggerwarnung gelesen.

Alles in allem ein atmosphärischer, queerer und spannender Dark-Academia-Fantasy-Roman, den ich euch allen sehr ans Herz und an die Knochen (werdet ihr verstehen, wenn ihr das Buch gelesen habt), legen möchte.


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