Mittwoch, 14. März 2012

"Die Gebeine von Avalon" von Phil Rickman


Heute möchte ich ein Buch vorstellen, welches ich bereits im Herbst letzten Jahrs bei vorablesen gewonnen und auch rezensiert habe (die nachfolgende Rezension ist dieselbe, die ich dort eingestellt habe). Weil es für mich so spannend und interessant war, möchte ich es nun auch auf meinem Blog veröffentlichen und allen empfehlen, die in Großbritannien spielende Historienromane lieben (so wie ich).

Bei diesem Mix aus dem History und Mystery-Genre (mit einer Prise Thriller) handelt es sich um den ambitionierten und, wie ich finde äußerst gelungenen Versuch, ein Geheimnis aus der tiefen Vergangenheit (in diesem Fall der mystischen Vorzeit Britanniens) durch eine historische Figur aus der ebenfalls tiefen, aber nicht ganz so lange vergangenen Vergangenheit (dem England des 16. Jahrhunderts) zu lösen.
Der Hofwissenschaftler der jungen Königin Elizabeth Tudor (zum Zeitpunkt der Handlung erst 2 Jahre auf dem Thron), Dr. John Dee, wird mit der schier unlösbaren Aufgabe konfrontiert, die seit der Auflösung der Klöster verschollenen Gebeine ihres „Vorfahren“ König Artus aus Glastonbury nach London zu holen, um ihre Regentschaft gegen ihre Feinde und Gegner abzusichern , aber auch, wegen ihrer Ängste und ihres Aberglaubens. In einer Zeit, in der die neue Religion, der Protestantismus, von Staatswegen wieder durchgesetzt wird und es dennoch unterschwellig im ganzen Volk brodelt, einem Volk, dass sich seine eigenen Götter sucht, dem Aberglauben anhängt und in der Höflinge bereit sind die Religion wie die Kleidung zu wechseln, ist es für den Wissenschaftler Dee ein Canossagang in die einstige Hochburg des britischen Katholizismus und gleichzeitig des vorchristlichen Heidentums zu gehen. Er trifft auf ehemalige Mönche, Kräuterfrauen und Reliquienhändler und muss einen grausamen Ritualmord an einem Diener seiner Königin erleben, um näher zum Geheimnis der „Gebeine von Avalon“ zu gelangen.
Was an diesem Buch so besonders ist und mich absolut anspricht: obwohl es um Altes und Abgelebtes geht, also um Jahrhunderte alte Knochen, um das Zurücklassen des Überholten (sei es um Religion oder den  Aberglauben, der sich in Hexenverbrennungen etc. geäußert hat) und schließlich um das ultimative Nicht-Sein, den Tod (zartbesaitete Leser – zu denen ich mich auch zähle – müssen sich hin und wieder auf äußerst morbide und teilweise grausame Szenarien einstellen) und die Angst davor (das „memento mori“-Motiv wird oft anzitiert), atmet dieser Roman auf jeder Seite Lebendigkeit. Rickman schafft es wie kaum ein anderer das Glastonbury des 16. Jahrhunderts so greifbar werden zu lassen, als wäre man selbst ein Teil dieser Stadt, die – durch die zerstörte Abtei repräsentiert – nur noch ein Anachronismus ihrer Selbst ist. Man spürt förmlich die kalte Luft des Februarmorgens, wenn der Schmied seine Pferde beschlägt, man isst mit Dr. John Dee die verschrumpelten Winteräpfel auf dem Markt und spürt schließlich die unwirklich schleierhafte Atmosphäre, den Spirit an diesem Ort, der etwas ganz Besonders ist.
John Dee ist in der Überlieferung eine eher dunkle Gestalt, die sich der Alchemie und Astrologie verschrieben hat. Diese Vorstellung von ihm geht aber ganz und gar nicht mit der sympathisch-menschlichen Charakterisierung von ihm durch Phil Rickman einher. Dr. Dee ist Anfang dreißig und beschreibt sich selbst ganz faustisch als einer, der zwar viel Wissen angesammelt, aber wenig erlebt hat und mit Menschen nicht so gut umzugehen weiß. Sehr bescheiden lebt er trotz seiner (unbezahlten) Eigenschaft als Haus- und Hofwissenschaftler der Königin mit seiner Mutter zusammen auf dem Land, die spärlichen erotischen Kenntnisse hat er bei der heimischen Magd gesammelt. Im ruinenhaften Glastonbury begegnet er nun bewusstseinserweiternden Zuständen und: der Liebe.
Das Gegenteil von Dee ist der großsprecherische Sir Robert Dudley, Geliebter, Höfling und Oberstallmeister der Königin, der Dee auf seiner Reise nach Glastonbury begleitet und unfreiwillig durch Krankheit in die Rolle des Untätigen gelangt. Auch er ist trotz seiner vielen Fehler und inneren Zerrissenheit (er schwankt zwischen der Liebe zu seiner Frau Amy und der zur Königin) sympathisch charakterisiert. Die beiden geben ein fast schon amüsantes neuzeitliches „Ermittler-Duo“ ab, ihre lebendigen Dialoge sind ein sehr schöner Nebenaspekt des Buches.
Außerdem: Rickman schafft es bei aller schwierigen Thematik sowohl Lesbarkeit zu erzeugen als auch den: „Muss-weiterlesen“-Effekt zu kreieren – und das ohne spektakuläre Cliffhanger (wobei die Kapitel sehr gut in sich strukturiert und angenehm kurz sind). Einfach die Story an sich ist so gut, dass man unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht und was Dr. Dee auf die Spuren der Gebeine von Artus bringen wird.
Zum Schluss noch ein Lob für die geniale Covergestaltung mit dem erhabenen haptischen Titel und überhaupt den Softumschlag, der beim Lesen sehr angenehm ist und auch nachher im Regel viel hermacht.
Ich bin froh dieses Buch gelesen zu haben und kann es nur allen empfehlen, die gerne durch das Zwielicht dringen und sich für historische Mysterien interessieren: 5 Sterne!

 Meine Ausgabe:
Originaltitel: "The Bones of Avalon"
Verlag: Rowohlt Polaris

Erscheinungsjahr: 2011

Seiten: 
656
ISBN:  3862520013