Dienstag, 26. Dezember 2023

"A Killer Christmas at Honeychurch Hall" von Hannah Dennison


Es gibt eine englische Cosy-Krimi-Reihe, die mich bereits seit einigen Jahren begleitet. Es handelt sich um die Honeychurch-Hall-Reihe mit der Protagonistin Kat Stanford. Sie ist eine Antiquitätenhändlerin aus London, die früher in einer Antiquitäten-Sendung im Fernsehen aufgetreten ist. Seit einigen Jahren wohnt sie aber im ländlichen Devon, in einem Nebengebäude des herrschaftlichen Anwesens Honeychurch Hall, dem Familiensitz des Earl of Grenville und seiner Familie, die sich mittlerweile eher zum verarmten Landadel zählen müssen. Kat ist ihrer Mutter nach Devon gefolgt, die sich als erste auf dem Anwesen der Grenvilles eingemietet hat. Hier kann sie ihrer Leidenschaft, unter einem Pseudonym Liebesromane zu schreiben, ungestört und vor allem unerkannt frönen. Im Umfeld von und mit Bezug zu Honeychurch Hall passiert nicht selten ein Mord, den bislang meistens der Enkelsohn der beiden ältesten Bediensten des Anwesens, Detective Inspector Shawn Cropper, lösen musste. Seit einiger Zeit ist der verwitwete Vater von Zwillingen Kats Lebensgefährte.

Der neunte Band der Serie spielt mal wieder zur Weihnachtszeit und Kat muss eine Benefizauktion zugunsten des örtlichen Esel-Gnadenhofs organisieren. Das Highlight der Auktion ist eine wertvolle Barbie mit einem noch wertvolleren Edelsteinschmuck, die kurz vor der Auktion gestohlen wird. Als dann Kat - wie bereits sehr oft zuvor - über eine Leiche auf dem Grundstück von Honeychurch Hall stolpert, ist das Chaos perfekt. 

Diese Reihe ist wirklich richtiges “Cosy Crime” mit ganz viel britischem Flair und einer guten Portion Humor. Einfach etwas zum Abschalten, was ich manchmal brauche, wenn ich mich von anspruchsvollerer Literatur erholen will. “A Killer Christmas at Honeychurch Hall” ist mittlerweile der neunte Fall der Reihe. Allerdings sollte man hier wirklich chronologisch vorgehen, da fortlaufend erzählt wird und die handelnden Charaktere eine Entwicklung durchmachen. Auch der Hund der “Dowager Countess”, der hier auf dem Cover abgebildet ist, hat wieder einen Kurzauftritt. Unser Familienhund Angel, dem es übrigens bestens geht und der nur ein wenig dramatisch guckt, hat mir freundlicherweise für dieses Bild Modell gestanden. Dafür gab es natürlich ein Leckeri, ist doch selbstverständlich.


Sonntag, 24. Dezember 2023

"Fröhliche Weihnacht überall. Geschichten aus aller Welt" - Anthologie, diverse AutorInnen

Allen, die Weihnachten, Yule, Jul, Noël, Navidad, Hanukkah oder was auch immer, heute und in den nächsten Tagen feiern, wünsche ich ein Frohes Fest. Leider gibt es heute, wie so oft und meistens, wieder nicht den lang ersehnten Schnee zu Weihnachten. Aber ich habe vor ein paar Wochen die Wetterlage genutzt, um dieses Foto zu machen. Ich finde es passt so gut zur Anthologie “Fröhliche Weihnacht überall. Geschichten aus aller Welt” aus dem Diogenes-Verlag. Das Buch war im #Adventsgeschmöker von @schmoekerbox am 1. Dezember. Und tatsächlich sind in diesem Büchlein genau 26. Geschichten versammelt, man könnte also den ganzen Advent lang jeden Tag eine andere Geschichte lesen, bis einschließlich zum zweiten Weihnachtsfeiertag.

Ich habe es nicht so gemacht, da ich ehrlicher Weise sagen muss, dass ich kein großer Shortstory-Fan bin. Die wunderbare Donna Tartt hat über Kurzgeschichten gesagt: “[...] they're not the form I enjoy most, as writer or reader. Just as you're starting to be interested, you're shown the door.” Ich stimme ihr absolut zu. Aber ich wollte dem Buch dennoch eine Chance geben und bin froh, dass ich es getan habe. Ein paar Geschichten haben mit nämlich wirklich gut gefallen und ein wohlig-warmes weihnachtliches Gefühl in mir erzeugt. Diese Geschichten waren: “Noemis Oma” von Agathe Mulot, “Weihnachten in New York” von Jeanette Winterson, “Weihnachten bei Familie Smith” von Zadie Smith und “Auggie Wrens Weihnachtsgeschichte” von Paul Auster. Sie alle haben eine gemeinsame Botschaft: Das Wichtigste an Weihnachten sind die Menschen, mit denen wir es verbringen und die gemeinsame Zeit, die wir ihnen schenken. In diesem Sinne: Euch und den von euch geliebten Menschen: Frohe Weihnachten!

Dienstag, 19. Dezember 2023

"Das Leuchten der Rentiere" von Ann-Helén Laestadius


Rentiere werden von den allermeisten Menschen mit der Weihnachtszeit assoziiert, sind es doch im amerikanischen Kulturkreis die Rentiere (allen voran “Rudolph mit der roten Nase”), die den Schlitten des Weihnachtsmannes ziehen. Laut Wikipedia sieht die Realität der Rentiere allerdings ein bisschen weniger “weihnachtsromantisch” aus. Der Klimawandel und die Wilderei sind heutzutage die schlimmsten Feinde der Rentiere, die in den nördlichen Polargebieten heimisch sind. Von dieser Problematik der bedrohten Rentiere handelt der Roman “Das Leuchten der Rentiere” von Ann-Helén Laestadius, der im schwedischen Original “Stöld” und auf Englisch “Stolen” heißt. Ins Deutsche wurde der Roman von Maike Barth und Dagmar Mißfeldt übersetzt, herausgegeben von Hoffmann und Campe.

Der Roman spielt in und um Jokkmokk (Nordschweden), einem Zentrum der samischen Kultur in der historischen Provinz Lappland. Wir befinden uns zunächst im Jahr 2008 und erfahren, wie die neunjährige Elsa, die mit ihrer Familie in Dálvi lebt, den Verlust ihres ersten eigenen Rentiers Nástegallu verkraften muss, das von einem Wilderer absichtlich getötet wurde. Die Tochter eines Rentierhalters hat zwar einen älteren Bruder (Mattis), weiß aber schon früh, dass sie selbst der samischen Kultur treu bleiben und Rentierhalterin werden möchte. Die restlichen Ereignisse spielen sich zehn bis elf Jahre später ab, als Elsa bereits erwachsen ist, die Täter von damals aber immer noch frei herumlaufen…

Ich habe mich noch nie zuvor mit dem Volk der Samen und ihrer Kultur befasst, daher hat mir dieser Roman eine ganz neue Welt aufgezeigt. Ich habe sehr viel Neues gelernt und war schockiert zu erfahren, dass sowohl die Samen als auch die Rentiere so vielen Bedrohungen durch Menschen ausgesetzt sind, vom Klimawandel ganz zu schweigen. Und hier möchte ich gleich eine Triggerwarnung aussprechen zum Thema Tierquälerei. Ich wusste zwar in etwa um was es im Buch geht, aber dass diese Stellen, in denen die Rentiere zu Tode gequält werden, so explizit ausgearbeitet sind, hat mich ziemlich geschockt. Tatsächlich sind Cover und Titel der deutschen Ausgabe auch eher romantisch angehaucht. Während der schwedische Originaltitel sowie die englische Ausgabe ein grafisch zerschnittenes Rentier zeigen, trotten die Rentiere auf der deutschen Ausgabe friedlich durch eine vom Polarlicht geflutete Schneelandschaft. Der aufgrund des sich wandelnden Klimas z.B. im Februar ausbleibende Schnee ist auch ein wichtiges Thema im Buch. Auch der Titel “Das Leuchten der Rentiere” weist nicht darauf hin, um was es hier wirklich geht: Um zu Tode gequälte Tiere, deren Überreste blutig zur Schau gestellt werden. Von der Polizei werden sie als “gestohlen” (deswegen der Originaltitel) klassifiziert, also als Sache, nicht etwa als ermordete Lebewesen. Extremer Rassismus (hier den Samen gegenüber), drohende Fehlgeburt und Suizid sind weitere vorkommende Trigger-Themen, die ich erwähnt haben möchte.

Dieses Buch ist also keine fröhliche Fahrt mit dem Weihnachtsmannschlitten, sondern eine ziemlich ernste Angelegenheit. Elsa ist eine starke Protagonistin, die sich ihren Platz in der Männerwelt der Rentierhalter wie selbstverständlich erobert, obwohl ihr allerhand Steine in den Weg gelegt werden. Das Unrecht, das ihr, den Rentieren und den Samen angetan wird, ist schwer zu ertragen. Die Tatsache, dass ein sinnloses Töten von Tieren nicht als Mord gilt, ist auch in “Gesang der Fledermäuse” von Olga Tokarczuk Thema gewesen, das ich kürzlich gelesen habe. Irgendwie lässt mich dieses Thema nicht los.

Ich kann “Das Leuchten der Rentiere” allen empfehlen, die sich bewusst mit dieser blutigen Realität auseinandersetzen wollen. Ein zweifelsohne wichtiger Roman über Schuld und Sühne sowie das problematische Verhältnis zwischen Mensch, Tier und Umwelt.

Mittwoch, 13. Dezember 2023

"Weihnachten in der wundervollen Buchhandlung" von Petra Hartlieb


Heute möchte ich euch einen weihnachtlichen Buchtipp geben. Das Büchlein “Weihnachten in der wundervollen Buchhandlung” von Petra Hartlieb ist zwar schon von 2018, dennoch möchte ich es allen Buchliebhaber*innen wärmstens ans Herz legen.

Die beliebte Buchhändlerin und Schriftstellerin Petra Hartlieb (u.a. Autorin der Marie-Reihe über das Kindermädchen der Familie Arthur Schnitzlers, beginnend mit “Ein Winter in Wien”) hat bereits in “Meine wundervolle Buchhandlung” erzählt, wie ihr Mann und sie in Hamburg alle Zelte abbrechen, um eine Buchhandlung in der Währinger Straße in Wien zu übernehmen. Im vorliegenden Sequel dazu geht es im Kern um das Vorweihnachtsgeschäft, der arbeitsreichsten Zeit des Jahres für das Buchhändler-Paar und seine Mitarbeiter. Wir dürfen hier mitfiebern, ob alle in der umsatzstärksten Zeit des Jahres die Nerven behalten, gesund bleiben und genug zu essen sowie Schlaf bekommen, etc. pp. Und natürlich ob jedes vorbestellte Buch der Kund*innen auch unter dem richtigen Weihnachtsbaum landen wird. Dies alles wird natürlich mit ganz viel Augenzwinkern und einem charmant-selbstironischen Erzählton präsentiert. 

Ein herzerwärmendes Buch für alle Bücherfreund*innen, das leider viel zu schnell wieder zu Ende war. Die wunderbaren Illustrationen von Martin Haake und das goldene Vorsatzpapier machen das Ganze auch noch zu einem wahren Fest für die Augen. Unbedingte Leseempfehlung für die Vorweihnachtszeit!


Samstag, 9. Dezember 2023

"Echtzeitalter" von Tonio Schachinger

Zunächst möchte ich sagen, ich bin froh, dass es nicht nur die ganz schweren Themen sind, die einem Roman den Deutschen Buchpreis einbringen. Das hat der Gewinner Tonio Schachinger dieses Jahr mit seinem Bildungs- und Entwicklungsroman 2.0 “Echtzeitalter” bewiesen. Natürlich stimmt es nicht ganz, dass es in diesem Roman keine so genannten schweren Themen gibt. Während der Handlung und ziemlich in der Mitte von Tills Schulzeit am Wiener Privatgymnasium “Marianum”, ereignet sich der Tod von Tills Vater. Allerdings steht nicht die Trauerbewältigung im Zentrum des Buches, sie ist nur ein Teil des Ganzen. Etwas, das Till während der Schulzeit quasi wie nebenbei zusätzlich bewältigen muss, wie so viele andere Jugendliche in seinem Alter. “Echtzeitalter” ist vor allem ein nach klassischem Muster gestrickter Adoleszenzroman, der in den 2010er Jahren spielt. Am Ende, zu Beginn der “Corona-Zeit” 2020, macht Till seinen Abschluss.

Im Roman geht es am Beispiel des Protagonisten Till um den Problemparcours der privilegierten Jugendlichen der Wiener Oberschicht. Das Marianum (der Autor Tonio Schachinger ist auf das Theresianum gegangen) ist ein “Halbinternat”, wo die SchülerInnen bis zum späten Nachmittag und auch samstags auf die Matura (Abitur) vorbereitet werden. Till spielt das Computerspiel “Age of Empires 2” und erlangt darin während seiner Schulzeit Profi-Status. Das Buch stellt also die Frage, wie schlimm ist die Schulzeit an einem Elitegymnasium? Und: Kann man parallel dazu eigene Interessen verwirklichen und eine eigenständige Persönlichkeit ausbilden?

Ein weiteres Kernthema ist die Literaturrezeption an Gymnasien bzw. das Aufeinandertreffen pubertierender Jugendlicher mit Hochliteratur. Vermittelt durch die Erz-Nemesis der Schüler, Deutsch- und Französischlehrer Dolinar, dem man zugute halten muss, dass er tatsächlich mit den Schülerinnen hauptsächlich die Klassiker der deutschen, österreichischen und französischen Literatur liest, statt andere Inhalte im Unterricht zu behandeln. Ungewöhnlich in der heutigen Zeit. Tonio Schachinger ist selbst studierter Germanist, wollte sogar Lehrer werden, wie er bei der Lesung erzählt hat, an der ich teilgenommen habe. Und weil sich das - im Wortsinne, kein Zitat - masochistisch angefühlt habe, habe er es gelassen. Dennoch merkt man “Echtzeitalter” an, dass hier jemand sitzt, der seine Klassiker (von denen manche in Deutschland eher in keinem Literaturkanon zu finden sind, wie der moderne Austro-Klassiker Franz Innerhofer) und Klassikerinnen (Marie von Ebner-Eschenbach!) wirklich gelesen hat und sich nicht nur die Zusammenfassungen im Internet angesehen hat. (Auch wenn er die Jane-Austen-Romane und Verfilmungen an einer Stelle etwas falsch zusammenwürfelt). Durch die häufige Erwähnung von Thomas Bernhard gibt es sowieso einen Extrapunkt von mir.

Da der Roman in Wien spielt und der Autor Wiener ist, begegnen uns viele österreichische Ausdrücke (“ur”), Befindlichkeiten, Eigenheiten und politische Ereignisse, wie z.B. der “Strache”-Skandal, der im Jahr 2019 die erste Regierung von Kanzler Kurz zu Fall brachte. Vor allem Tills “Love Interest” Feli (die Freundinnen Fina und Feli waren beim Lesen teils sehr schwer auseinanderzuhalten) kennt ihr Land sehr gut und schreibt darüber im Laufe der Handlung die ein oder andere Abhandlung.

Wer den Roman jetzt seinen pubertierenden, PC-Games-spielenden Jugendlichen zu Weihnachten schenken wollen würde, dem gebe ich zu bedenken, dass das Rauchen in der Handlung eine zentrale Rolle spielt. Es wird ständig geraucht und teilweise fühlt man sich wie in einer TV-Diskussionsrunde der 1970er Jahre, bei der unter anderem Helmut Schmidt zugegen ist. Das Rauchen wird keinesfalls kritisch gesehen, auch die sonst politisch sehr bewusste Feli, die u.a. Veganerin ist, frönt dem ungesunden Laster ausgiebigst. Als jugendlicher Akt der Rebellion erscheint mir dies ziemlich veraltet, sind die meisten Jugendlichen heutzutage doch bestens über die ungesunden Nebenwirkungen des Rauchens aufgeklärt und auch nicht mehr so von rauchenden Erwachsenen umgeben, wie das früher der Fall war.

Es war dennoch für mich interessant, mal wieder in die Psyche von Jugendlichen abzutauchen. Auch wenn man schon länger eine erwachsene Person ist, schadet es nicht, hin und wieder einen Adoleszenzroman zu lesen. Ohne Zweifel ist Tonio Schachinger mit “Echtzeitalter” ein sehr guter Roman gelungen. Ob er der verdiente Sieger des Deutschen Buchpreis 2023 ist, kann ich nicht sagen, da ich die anderen Nominierten nicht gelesen habe.



Sonntag, 3. Dezember 2023

"Gesang der Fledermäuse" von Olga Tokarczuk

"Gesang der Fledermäuse” ist der erste Roman, den ich von der Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk gelesen habe. Nach der Lektüre kann ich sagen: Sie hat ihn absolut zurecht bekommen. Ich habe lange keine so gute Figurenzeichnung mehr gelesen, kein so perfektes Setting, kein im Ganzen bis ins kleinste Detail so stimmiges literarisches Werk. 

Wir begleiten im Roman eine Ich-Erzählerin, die sich mit ihrem bürgerlichen Namen Janina Duszejko nicht identifizieren kann, auf einem Stück ihres Lebensweges, den sie aus der Retrospektive vor uns ausbreitet. Sie ist nicht mehr die Jüngste, wird als “die Alte” wahrgenommen. Vom Gefühl her dürfte sie aber nicht älter als Mitte sechzig sein. Eine genaue Altersangabe verweigert uns der Roman. Sie lebt alleine in einem Haus auf einem Hochplateau an der Grenze zwischen Polen und Tschechien in einem Dorf, das sie selbst “Lufcug” (Luftzug) nennt, weil der Wind dort das tonangebende metereologische Phänomen ist. Im Sommer leben hier viele Städter aus Glatz und Wrocław (Breslau) in Ferienhäusern, im Winter ist es fast verwaist. Sie passt dann auf die leerstehenden Ferienhäuser auf und unterrichtet eine Grundschulklasse in Englisch. Ihre Lieblingsbeschäftigungen sind das Lesen und Übersetzen der Texte des englischen Dichters und Mystikers William Blake sowie das Erstellen von Horoskopen. Nicht nur Letzteres macht die Erzählerin zu einer Person, die von den meisten belächelt wird. Es ist auch noch ihr inniges Verhältnis zu Tieren und ihr Vegetarismus, die bei vielen Mitmenschen anecken. Als sie und ihr Nachbar Matoga (den sie mag) den ihr unsympathischen gemeinsamen Nachbarn Bigfoot - die Erzählerin verweigert nicht nur ihren eigenen Namen, sie gibt auch den Menschen, mit denen sie zu tun hat, meist von ihr erfundene Namen, die ihrer Meinung besser zu ihnen passen - tot in seinem Haus auffinden, nehmen die Ereignisse ihren Lauf. 

Alle Figuren des Romans sind auf die ein oder andere Weise körperlich versehrt. Die Ich-Erzählerin spricht von ihrem Leiden, was es ihr schon früh unmöglich machte ihren gelernten Beruf Brückenbauingenieurin auszuüben. Sie umschreibt es, ohne es wirklich zu benennen. Im Laufe der Handlung ist sie körperlich immer stärker eingeschränkt. Wie gesagt sind auch die anderen, sie umgebenden Figuren in irgendeiner Weise gesundheitlich angeschlagen: Sie haben: Allergien (Dyzio), Skoliose (Gisella), Alopezie (Buena Noticia), Hexenschuss (Matoga). Als sie sieht, dass auch der Entomologe Boros Tabletten nehmen muss, sagt sie: “Gut, dass auch er ein Leiden hatte. Die Gesundheit ist ein ungewisser Zustand, der nichts Gutes verheißt.”

Dieser Roman ist unfassbar originell, total witzig und zutiefst erschütternd zugleich. Wir haben eine unzuverlässige Ich-Erzählerin, die von der Welt nicht ernst genommen wird, sich aber auf ihre Weise Gehör verschafft. Das Ganze als lesende Person zu beobachten fühlt sich fast voyeuristisch an, denn wir bekommen einen äußerst tiefen Einblick in die differenziert ausgearbeitete Psyche der Erzählerin. Tokarczuk stellt in ihrem Buch grundlegende philosophisch-moralische Fragen, wie z.B. dürfen wir als Menschen Tiere ausbeuten oder ist das moralisch gesehen nicht höchst verwerflich? Ist das Töten von Tieren nicht mit dem Massenmord an Menschen gleichzusetzen? Warum erheben wir uns über die Tiere, obwohl wir ihnen nur die Sprache und unser komplexes Gedankensystem voraus haben? Darf der Mensch generell die Natur ausbeuten (Stichwort: Klimawandel)? 

Als Mensch, der schon seit der Kindheit kein Fleisch ist, konnte ich mich sehr gut mit der unkonventionellen Ich-Erzählerin identifizieren. Zudem mag ich Bücher, in denen trotz aller Schwere der Thematik auch Humor als Stilmittel zum Einsatz kommt. Tokarczuk hat einen sehr trockenen Humor.

"Gesang der Fledermäuse” ist ein faszinierender Appell an die Menschlichkeit in uns allen, ein wahrhaft großer Roman und bestimmt nicht das letzte Buch, das ich von Olga Tokarczuk gelesen haben werde.