Freitag, 30. November 2012

Bookcrossing-Post



Heute hat mich eine „vorweihnachtliche Präadventsüberraschung“ erreicht: ein Bookcrossing-Buch!
Ja, ihr denkt jetzt: wie kann einen das „erreichen“, schließlich findet man die Bücher doch irgendwo.
Das stimmt natürlich, aber es gibt bei Bookcrossing auch die Möglichkeit sich eine Wunschliste anzulegen und Bücher auf dem Postweg (oder anders z.B. bei Treffen) an andere Mitglieder weiterzugeben. Das kann man als „RAY“ „RABACK“, „RING“  etc. im Forum organisieren. Oder man schreibt einfach ein anderes Mitglied an, das ein Buch auf der Wunschliste hat das man selbst besitzt und gerne weitergeben möchte. Das hat auch die liebe „knutzel“ getan, bei der ich mich ganz herzlich für dieses Wunschbuch bedanken möchte.
Was es ist können alle Bookcrosser jetzt schon mal durch die BCID eruieren. Alle anderen dürfen sich auf die Rezension freuen, die trotz meinen zahlreichen Nicht-Lese-Verpflichtungen derzeit hoffentlich bald folgt.

Eine schöne Adventszeit euch allen und vielen Dank nochmal an knutzel!!

Dienstag, 27. November 2012

"So it goes" von Michael Tucker


Humorvolle Trauerarbeit wäre wohl die Kernaussage, auf die ich den Plot von „So it goes“ in zwei Wörtern herunter brechen würde. Der  Tod eines geliebten Menschen ist wohl mit das Schlimmste, was jemandem passieren kann. Auch im Fall von Herbie, eines New Yorker Schauspielers, ist der Verlust seiner Frau Annie (ebenfalls Schauspielerin), mit der er ca. 40 Jahre trotz Trublenzen und gegenseitiger Affären unzertrennlich war, wie der Einschlag eines Meteoriten indem er ein riesiges Loch hinterlässt. Bezeichnend ist die Tatsache, dass Herbie nach Annies Tod wieder mit dem Golfspielen anfängt (das könnte man so interpretieren, dass er – wo er nicht das eine riesige Loch ausfüllen kann – viele kleine Löcher zu füllen versucht).
Wie auch immer: die Liebesgeschichte von Herbie und Annie ist einzigartig. So einzigartig, dass Herbie wenige Tage vor dem Tod seiner Frau eine andere Muse (die 34jährige Olive) findet und sie ihr auf Annies Wunsch hin stolz präsentiert. Die Beziehung des New Yorker Schauspielerpaares wurde schon früher öfters durch eine zweite Frau bereichert, warum auch nicht kurz vor Annies Tod?
Dieses Plot-Element ist so sehr Woody Allen, dass man meint der Altmeister hatte bei der Produktion des Buches entweder seine Finger im Spiel gehabt oder die Filmrechte bereits gekauft (man könnte sich Diane Keaton perfekt in der Rolle der Annie vorstellen – vielleicht ist der Name ja auch eine Hommage an sie, schließlich war sie im „Stadtneurotiker“ schon „Annie Hall“).
Wie auch immer: Annie – Herbie – Olive, so lautet die Dreiecksgeschichte, die zunächst (und im Zuge von Annies Sterben und Tod) geistig-platonisch ist. Herbie und Olive wollen sich aber – trotz erheblichen Altersunterschieds – gegenseitig auch körperlich, so dass erst mal Abstand nötig ist. Herbie fährt in die Südstaaten zum Golfspielen, wo er  mit Billy und deren Schwester Roxanne wieder in eine Dreiecksbeziehung  (halb freundschaftlich, halb erotisch) gerät. Die bildhübsche Olive bekommt währenddessen im Staat New York durch Herbies und Annies Connections eine Rolle in einer internationalen Produktion von  Tschechows „Onkel Wanja“ (das hat mir auch sehr an dem Roman gefallen, denn ich liebe dieses Theaterstück!).
Annies Lebensenergie und ihr Schauspieltalent werden durch Olive quasi transformiert – sie lebt gewissermaßen durch die 34jährige Barfrau weiter. Und so kann auch Herbie – mit Annies Segen – sich überlegen, ob er eine Beziehung zu ihr eingehen will…
Der Roman ist eine Tragikomödie wie sie im Buche steht: subtil, witzig, sentimental und auf ihre Weise sehr amerikanisch. Es geht um Liebe, Tod, Freundschaft und Familie (Herbies und Annies Tochter Candy spielt eine wesentliche Rolle) und natürlich um das Theater.
Das Buch hat mir gut gefallen und ich kann es jedem empfehlen, der es etwas ruhiger angehen möchte beim Lesen.
Besonders gut hat mir das Bild auf der vorletzten Seite gefallen: Herbie macht sich Gedanken wie wesentlich eine alltägliche Entscheidung werden kann – welche Straße schlägt man ein! Solche Gedanken (nur eine kleine, winzige Veränderung kann so viel nach sich ziehen und das eigene Leben für immer und nachhaltig verändern) mache ich mir auch oft. Trotzdem: man muss sich letztlich entscheiden und es kommt ohnehin so, wie es kommen muss - so it goes!

Vielen herzlichen Dank an vorablesen und den Graf-Verlag für das Leseexemplar!


Meine Ausgabe:
Originaltitel: After Annie
Verlag: Graf Verlag
Erscheinungsjahr der Ausgabe: 2012
Erstausgabe: 2012
Seiten: 
ISBN:  978-3-86220-029-0

Mittwoch, 21. November 2012

"Kapital" von John Lanchester

 
„Kapital“ kommt einem von seiner Struktur her vor wie einer der großen englischen Gesellschaftsromane. „Vanity Fair“ und andere sind von daher sicher als Vorbild für diesen „Wälzer“ zu sehen, der nichts anderes will als den Makrokosmos London anhand des Mikrokosmos „Pepys Road“ darstellen. Der Name ist natürlich symbolisch und eine Referenz an den großen Chronisten und Politiker Samuel Pepys, dessen Tagebuchaufzeichnungen unser Bild vom England des 17. Jahrhunderts entscheidend geprägt haben. Vielleicht versteht sich John Lancaster in seiner Tradition als Chronist der Londoner „Nuller-Jahre“, die mit der Finanzkrise eines ihrer großen Themen hatten, das sich bis in die Gegenwart zieht. Eine Straße namens „Pepys Road“ gibt es übrigens wirklich im Südwesten Londons.
Die Haupthandlung von „Kapital“ (im englischen „Capital“, was Hauptstadt bedeutet, gegenüber dem deutschen Titel also eine Bedeutungsverschiebung markiert) spielt zur Zeit der beginnenden Wirtschaftskrise, beginnend Dezember 2007-endend November 2008.
Wir lernen mehrere Menschen verschiedenen Alters und unterschiedlicher Herkunft kennen, die erst einmal nur eint, dass sie in der Südlondoner Straße „Pepys Road“ leben, arbeiten oder sonst mit ihr in Verbindung gebracht werden können.
Ihre Geschichten werden abwechselnd weitergesponnen und manche laufen über Kreuz. Da ist die zweiundachtzigjährige Frau Petunia Howe, die in der Pepys Road geboren wurde und vermutlich auch dort stirbt. Sie steht für die alten Werte, die Traditon, wenn man so will auch für das „alte Geld“, das nach und nach seine Kraft verliert und keine Relevanz mehr für die Zukunft hat. Ihre Familie lernen wir kennen, vor allem ihre Tochter Mary, die auf dem Land lebt und ihren Enkel Graham, der sein Geld als Künstler verdient.  Dann gibt es die neureiche Familie Yount, bei der Roger Yount für den modernen kapitalistischen Aktienmenschen steht, der viel zu viel arbeitet, viel zu viel verdient und dennoch  ein viel zu falsches Leben führt. Seine Frau Arabella ist sich trotz Hausfrauentums zu schade ihre zwei kleinen Söhne selbst aufzuziehen und gibt stattdessen das von Roger verdiente Geld mit vollen Händen für Botox, Fitesstrainer und Klamotten aus. Auch seine geschäftliche Umwelt wird präsentiert und mit ihr Neid- und Missgunst, die im Bankenwesen an der Tagesordnung sind (u.a. verkörpert von Mark, der sich für besser als Roger hält (es wahrscheinlich auch ist) und deshalb seinen Job will.)
 Es gibt den jungen Fußballprofi aus Afrika, Freddy Kamo, der mit seinem Vater Patrick erst vor kurzem in die Straße gezogen ist. Außerdem gibt es den polnische Hilfsarbeiter Zbigniew, das ungarische Kindermädchen Matya und die afrikanische Politesse Quentina (die illegal in England ist), die pakistanische Verkäuferfamilie Kamal (drei Brüder, einer verheiratet mit zwei Kindern, die anderen beiden noch auf der Suche nach ihrem Platz im Leben), die sich in England etwas aufgebaut haben und doch immer wieder auf ihre Herkunft reduziert werden.
Zusammengenommen stehen alle  für das weltoffene (manchmal mehr, manchmal weniger) England der Zuwanderung und des Multikulturalismus. Sie alle hoffen auf ein besseres Leben in dieser Milch-und-Honig-Stadt London. Ihr Problem ist die Diskrepanz zwischen Hoffnung auf eine Veränderung und Verzweiflung über die Entwurzelung und Heimatlosigkeit in der Fremde.
Dann gibt es da plötzlich eine namenlose Bedrohung, die alle betrifft und die sich sowohl real als auch im Medium Internet eine Plattform und damit Gehör verschafft: „Wir wollen was ihr habt“ – künstlerische Installation oder gieriges Symptom der Neidgesellschaft?

Geld spielt eine große Rolle im Roman, Gentrifizierung und Globalisierung sind die anderen großen Themen. Wo Menschen sind da ist auch Liebe, Tod und Hoffnung. Diese Eckpfeiler und Menschheitsthemen sind die Folie für  „Kapital“ oder „Capital“, das von den neuen Themen so vereinnahmt wird dass die großen Fragen oft zu einer Nebensächlichkeit verkommen, aber sich natürlich nicht zurückdrücken lassen: trotz Finanzkrise und Immobilienmarkt: Liebe und Tod sind weiterhin das, was die Welt im Innersten zusammenhält – auch in der Pepys Road.

Das Buch hat einen erzählerischen Reichtum der in dieser Form seinesgleichen sucht. Er lebt vor allem von den Charakterschilderungen, die in ihrer Summe ein perfektes Panorama Londons und seiner Bewohner abgibt, die natürlich fiktiv sind, aber irgendwie für Typen stehen, die das Bild der englischen Hauptstadt genau so prägen.

Der Gesellschaftsroman – er ist wieder da! Aktuell, stark , erbarmungslos und unterhaltsam. So soll es sein!

Vielen herzlichen Dank an vorablesen und den KlettCotta-Verlag für das Rezensionsexemplar!

Meine Ausgabe:
Originaltitel: Capital
Verlag: Klett-Cotta
Erscheinungsjahr der Ausgabe: 2012
Erstausgabe: 2012
Seiten: 682
ISBN:  3608939857