Dienstag, 31. Oktober 2023

"Der namenlose Tote" von Bella Ellis


"Anti-Buchtipp" zu Halloween 🎃 

Happy Halloween! Aus diesem Anlass gibt es einen Anti-Buchtipp von mir. Warum "Anti"? Weil das Buch für mich persönlich nichts war, ich mir aber gut vorstellen könnte, dass es anderen Leser*innen sehr gut gefallen könnte. Gemeint ist "Der namenlose Tote", der zweite Teil der "Brontë-Geschwister-Krimi-Reihe" von Bella Ellis. Da ich den Roman schon letztes Jahr um diese Zeit gelesen habe (als ich nicht so viel Zeit für #bookstagram und meinen Buchblog hatte), kann ich keine ausführliche Rezension mehr darüber schreiben. Nach "Die verschwundene Braut" (darüber gibt es eine ausführliche Rezension auf meinem Blog) geht es in diesem Band weiter mit den berühmten schreibenden Geschwistern Anne, Charlotte, Emily und Branwell, die in den Büchern von Bella Ellis Kriminalfälle lösen. In diesem Roman wird ein fiktives Szenario aufgebaut, in dem Emily zu "Wuthering Heights" ("Sturmhöhe") inspiriert wird. Und zwar wird in einem abgelegenen verfallenen Anwesen namens Top Withens Hall das Skelett eines älteren Kindes gefunden. Und hier bin ich normal schon raus, weil ich eigentlich gar nichts darüber lesen möchte, wenn Kindern ein Leid geschieht. Weil mir der erste Band aber gut gefallen hat, habe ich es trotzdem versucht und kann euch sagen: Wenn ihr euch gruseln wollt, lest es! Ich fand das ganze Setting richtig schrecklich und furchtbar, man will eigentlich nur weg von dort. Schauerroman auf die Spitze getrieben. Für mich war es tatsächlich too much, die Handlung und Auflösung des Falls schon sehr konstruiert und an den Haaren herbeigezogen. Für alle, die für schaurige Settings und leicht ins Horror-Genre fließende Plots etwas übrig haben (und natürlich das England des 19. Jahrhunderts und speziell die Brontës mögen), dürften an diesem Roman durchaus ihre Freude haben.

Mittlerweile gibt es schon vier Bände der Reihe, die neuesten beiden nur auf Englisch. Band 1 und 2 wurden für den Pendo Verlag von Kathi Linden ins Deutsche übersetzt. Ich finde es immer schade, wenn die Übersetzung einer Reihe plötzlich eingestellt wird, weil man dann im Zweifelsfall verschiedene Bücher ins Regal stellen oder die Lektüre sogar einstellen muss, wenn man der Originalsprache nicht mächtig ist. Die Reihe ist auf Deutsch auch wirklich sehr schön gestaltet, mit tollen Covern und Klappenbroschur, weshalb ich die Bücher auch behalten habe. 

Freitag, 27. Oktober 2023

"Die Geister von Triest" von Christian Klinger


"Die Geister von Triest" ist der zweite Band der historischen Krimireihe um den jungen Ispettore Gaetano Lamprecht von der Triestiner Kriminalpolizei, der mit seiner italienisch-österrreichischen Familie in Triest lebt und arbeitet. Triest, die Hafenstadt an der Adria, gehörte im Jahr 1914, in dem die Reihe beginnt, noch zum Österreichisch-Ungarischen Kaiserreich. Der zweite Band zieht eine Spanne vom August 1914, drei Wochen nach der Handlung von "Ein Giro in Triest", bis zum Mai 1915. 

Im Herbst 1914 ereignet sich der Mord an einer alten Frau, die im Bett ihres Hauses tot und mit Kreuzen in der Haut übersät aufgefunden wird. Gaetano muss in diesem obskuren Fall ermitteln. Er wird dabei mit Aberglauben, Flüchen aus der Vergangenheit, Riten, mysteriösen Artefakten und vielem mehr konfrontiert, was den eher nüchternen Ermittler zeitweise ganz schön aus dem Konzept bringt. Dabei hängt über allem das Damoklesschwert der Einberufung zum Militär, der der Offizier der Reserve nur allzu gern entgehen möchte. Wird er den Fall noch rechtzeitig lösen, bevor er vielleicht in den Krieg, dessen Ausgang sehr ungewiss ist, ziehen muss?

"Die Geister von Triest" ist ein klassischer Ermittlerkrimi, denn alles dreht sich um Gaetano und sein Leben. Es geht um seine Gedanken und Handlungen in Bezug auf Familie, Liebe & Beziehungen, zu Identität, Heimat und Vaterland, sozialen Fragen, den Radsport (hier nicht so stark thematisiert wie in Band 1) und natürlich auch zum noch jungen Krieg, dem in der Handlung überpräsenten Thema Nr. 1. Auch was den Fall betrifft, haben wir es hier mit einem Krimi zu tun, in dem es hauptsächlich darum geht, wie der Ermittler den Fall löst. Wer die Tat(en) ausgeführt hat, wird relativ schnell klar. Es gibt auch nur wenige Verdächtige, weswegen man den Roman nicht als klassischen "Whodunit" bezeichnen kann. Die Beschaffenheit des Falls an sich ist eher komplex, was ich wirklich gut, aber auch etwas herausfordernd fand.

Was mir sehr gefallen hat, ist die Darstellung der historischen Situation, die rund um den Protagonisten aufgebaut wird. Man bekommt wirklich einen klaren Einblick in dieses Triest zu Anfang des 1. Weltkriegs, ein Schmelztiegel der Nationen, in dem die unterschiedlichsten Kräfte und Gruppierungen mit- und gegeneinander walten. Die sozialpolitische Lage, die sich kurz nach Kriegsbeginn (der Krieg wurde zum Zeitpunkt der Handlung noch als absehbar angesehen) eröffnet, wird vom Autor wirklich sehr präzise eingefangen. Zum Beispiel, dass Frauen nun statt der männlichen Polizeibeamten, die einberufen wurden, deren Aufgaben im Büro übernahmen, ihnen aber oftmals nicht mehr als Kaffeekochen zugetraut wurde. 

Was mir nicht so gut gefallen hat, waren die langen Kapitelüberschriften, die schon ein wenig von der Handlung vorwegnehmen. Außerdem fand ich, dass die Krimihandlung selbst etwas stark auf Zufällen basierte, zum Beispiel dass Gaetanos sympathische Schwester Adina just zu dem Zeitpunkt ein gesteigertes Interesse für die Etrusker im Geschichtsunterricht entwickelt, wo es doch im Mordfall um eine etruskische Statuette geht. Der Titel verspricht auch ein wenig mehr Gruselatmosphäre, als ich tatsächlich vorfinden konnte (und ich bin wirklich sehr leicht zu gruseln). Mich hat es dementsprechend auch nicht so gestört.

Alles in allem aber ein schöner historischer Krimi einer interessanten Reihe, deren dritter Band im Vorsatz für 2024 bereits angekündigt wird.




Samstag, 21. Oktober 2023

"Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten..." von Axel Hacke


Eines dürfte feststehen: Die Welt wird immer deprimierender. Katastrophen, Klimawandel, Kriege - wie sollen wir bei all dem noch gelassen bleiben und einigermaßen positiv in die Zukunft blicken? Wie sollen wir Lebensfreude, gar Heiterkeit an den Tag legen, wenn alles um uns zusammenbricht? Dieser Frage hat sich Axel Hacke in seinem neuesten Sachbuch angenommen: "Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wichtig uns der Ernst des Lebens sein sollte". 

Hacke hat den Anspruch, einen klassischen Essay, also eine Abhandlung über die Heiterkeit aka Fröhlichkeit aka Lebensfreude zu schreiben. Er mäandert mit seinen Gedanken durch die Kulturgeschichte und scannt dabei Filme, Literatur, Psychoanalyse, Philosophie, Zeitgeschichte sowie das Werk von genuinen Humoristen wie Loriot in Hinblick auf das Thema ab. Immer wieder eingestreut finden sich passend zum Thema Heiterkeit, Humor und Lachen Anekdoten aus seinem eigenen Leben, gilt Hacke selbst doch eher als heiterer Autor und humorvoller Kolumnist, sowohl in der Eigen- wie auch in der Fremdwahrnehmung. Ganz unverblümt gibt Hacke zum Besten, mit welchen Lobhudeleien er schon bedacht wurde, weil er seine Leser*innen zum Lachen brachte. Auch Eigenwerbung wie der Verweis auf seine früheren Bücher ist mit von der Partie. Aber why not. Er erzählt im Plauderton mit vielen Abschweifungen ("übrigens" und '"by the way", "kennen Sie den schon", "wussten Sie eigentlich"…). Er gibt den Inhalt von ganzen Büchern wieder (z.B. "Der Name der Rose") und zitiert ausführlich aus der Primär- und Sekundärliteratur, so dass das kleinformatige gelbe Hardcover-Büchlein mit dem fröhlichen gleichfarbigen Lesebändchen und den aufgedruckten Sonnen (sonnig also heiter) schnell voll wird. Zuweilen mutet das sehr eklektizistisch an. 

Mein Hauptproblem mit dem Buch ist, ich habe wirklich gedacht, mir würde dieses Werk zwei bis drei "heitere" Stunden bereiten. Also die, die die Sonnenuhr nur bereit ist zu zählen. Stattdessen sah ich mich eher mit dem "Ernst des Lebens", den Hacke unheilvoll im Untertitel heraufbeschwört, konfrontiert. Der Tod, Krankheiten, Krisen und Klimawandel, schlimme Kindheiten und Konflikte: Hacke bewegt sich in denkbar "unheiteren" Gefilden, um sich zu fragen, wie man bei all dem noch heiter bleiben kann. Lachen bei der Lektüre? Fehlanzeige. Werden hier falsche Erwartungen geweckt: Bei mir persönlich ja.

Ferner merkt man dem Buch an, dass sein Autor als nicht-marginalisierter weißer Mann, geboren in der Mitte der 1950er Jahre, mit der Humorvorstellung der heutigen Zeit nichts mehr anfangen kann. Seine Analyse unserer unheiteren Lebensrealität: "Wir leben in einer Welt permanenter Kränkungen und dauernden Gekränktseins, in einer Ära des Narzissmus." (S. 101). Eine Welt, in der man mit jeder witzigen Äußerung ein Minenfeld betritt, weil man sich nicht mehr über Menschen lustig machen darf und das ist sein Problem, wie er ausführt, denn Humor funktioniere nur in Hinblick auf das Menschliche. Und das sei in unserer Welt der "Verbotskultur der Jungen" (S. 105), in der man weder in Innenräumen Rauchen noch Woody Allen verehren darf, eben fast unmöglich geworden.

Ich muss sagen, ich finde Axel Hacke irgendwie sympathisch als Mensch, als Autor und Journalist durchaus intelligent und witzig. Was er hier abgeliefert hat, hat sich mir allerdings nicht erschlossen. Wieso, weshalb, warum das Ganze, im Hardcover mit Lesebändchen für 20 Euro? Es hätten auch 20 Kolumnen werden können und das hätte dem Thema wahrscheinlich besser zu Gesicht gestanden. Oder, stark gekürzt, ein Vortrag vor Mitarbeitenden der Süddeutschen Zeitung, vielleicht im Rahmen der Weihnachtsfeier. Die sollten aber schon mindestens zwei Wein und fünf Lachshäppchen intus haben, sonst lacht keiner. Leider keine Empfehlung von mir.

Herzlichen Dank an Dumont Verlag und Vorablesen für das Rezensionsexemplar.

Mittwoch, 18. Oktober 2023

"Solomon's Crown" von Natasha Siegel


Historische Romane bieten uns die Möglichkeit, der Geschichte ein "Was-wäre-wenn" unterzujubeln. Als fiktionale Konstrukte haben sie nicht den Anspruch "wahr" zu sein. Geht es in ihnen aber um historische Persönlichkeiten, die tatsächlich existiert haben, wird es richtig spannend. Autor*innen können aus ihnen das machen, was ihre Vorstellungskraft ihnen ermöglicht und dabei müssen sie sich noch nicht mal an alle existierenden biographischen Fakten halten. 

Natasha Siegel hat in ihrem Roman "Solomon's Crown" zwei mittelalterliche Herrscher genommen und ihnen etwas angedicht, von dem ich mir wünschen würde, es wäre wahr, was ich aber auch "nur" als rein fiktionale Realität akzeptieren und genießen kann: eine Liebesgeschichte. Sie sagt ganz klar, dass es nicht ihre Absicht war, die historische Realität abzubilden. Die ist, wie sie sagt, zum Großteil eine Tragödie, zumindest was die Beziehung ihrer beiden Protagonisten betrifft. Sie wollte einen historischen Liebesroman schreiben, in dem die queere Beziehung zwischen den beiden Figuren eine Chance hat. "Solomon's Crown" ist genau das: eine Fiktion, eine Romanze, etwas fürs Herz und auch ein bisschen Fan-Fiction für "History nerds". 

Vieles stimmt aber doch im vorliegenden Roman. Richard I. "Löwenherz" (1157-1199) aus dem Hause Plantagenet und Philip II. aus dem Hause Capet (1165-1223) haben zumindest zur selben Zeit gelebt und eine Allianz geschlossen. Richard ist zu Beginn und während des Großteils der Handlung noch Herzog von Aquitanien, das er von seiner Mutter Eleanor erhalten hat. Im Verlauf der Handlung wird er durch den Tod seines Bruders Harry aber zum Erben des englischen Throns, den er aber eigentlich gar nicht will. Philip ist noch ein Teenager, als er den französischen Thron seines sehr gläubigen Vaters erbt. Er ist überaus pflichtbewusst und geht auch die Ehe mit der ihm seit Kindheit versprochenen Isabella von Hainaut ein. Als er aber Richard begegnet, gerät seine Welt ins Wanken und die Liebe tritt in sein Leben - in Form eines anderen Mannes, der ähnlich mächtig ist wie er selbst…

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Richard und Philip erzählt. Ich habe beide Protagonisten geliebt, denn sie sind auf ihre Weise einnehmend und sympathisch. Richard, der nach außen starke Kämpfer, dessen Persönlichkeit so tiefgründig und zart erscheint. Philip, der körperlich schwächliche, nach außen kalte und intellektuelle Regent, gefangen im Korsett der royalen Verantwortung, der fast zerbricht an seiner Neigung und seinen wahren Gefühlen für Richard.

Bei beiden spürt man das Gewicht der genealogischen Macht, die sie in eine Rolle zwingt, die sie sich selbst nicht ausgesucht haben und die sie seit Geburt - bei Philip - und seit dem Tod des Bruders Harry spielen müssen: die des (zukünftigen) Regenten eines mächtigen Reiches.

Isabella ist eine "Ally"-Figur. Sie möchte zwar einen Erben, bestärkt aber ihren Gatten Philip darin, seinem Herzen zu folgen und eine Beziehung mit Richard einzugehen bzw. diese zu vertiefen. Natürlich sagt der Verstand, dass die reale und sehr junge Isabella wohl kaum derart moderne liberale Vorstellungen gehegt haben dürfte. Aber es wäre doch so schön und man will es in diesem Roman auch einfach glauben dürfen.

Sprachlich hat mir das Buch auch ausnehmend gut gefallen. Naturmetaphorik spielt eine große Rolle. Die verwendete Sprache ist sehr bildlich und melodisch, bei manchen Sätzen musste ich ob ihrer erhabenen Schönheit innehalten und das Buch fest an mich drücken (ja, man kommt sich dabei idiotisch vor). Ein paar Wendungen und Sätze, die mir besonders gefallen haben (ich habe noch einige mehr angestrichen):

 "names began to process like pageant players -Henry, Harry, Geoffrey, Philip [...] if the arrow had struck [...] What would I have left behind, except a corpse buried in wet leaves, and the thunder, and the beginning of rain?" (52)

"I did not have Philip, but at least I now had the sense I had marked him somehow. I could pretend that my touch would remain with him permanentely, a stain upon his lip where my thumb had brushed over his mouth, like the inkblot on his papers." (133)

"I am nothing like the stars." "You are," he replied. "You are as lovely, and almost as distant." (174)

"I only knew that, if he was never to be mine, I might at least lose him here; in the snow under blue skies, with only the cold as our audience." (190)

"You are the sky above me and the ground below, you are the rain and the sun and the snow and the grass. You are winter and you are spring. I cannot escape you." (216)

Für mich war Solomon's Crown (übrigens der Name einer Pflanze, die nur im Winter blüht) ein wunderbares Wiedersehen mit den Plantagenets, mit denen ich mich schon oft in Form historischer Romane beschäftigt habe. Es gab die obligatorischen Schlachten- und Kriegsszenen, die royalen Verschwörungen, etc. Aber das alles wurde homogen in die Haupthandlung um Philipp und Richard eingeflochten. Die queere Komponente war die Kirsche auf der Torte und hat dem Roman das gewisse Etwas verliehen. Es lebe die Fiktion, in der alles möglich ist!



Donnerstag, 12. Oktober 2023

"Leonard and Hungry Paul" von Rónán Hession

Im Frühjahr konnte man das deutsche Bookstagram kaum öffnen, ohne dass einem "Leonard und Paul" entgegen sprang. Dies hat mit der deutschen Übersetzung zu tun, die bei Woywood&Meurer erschienen ist, die den Verlag extra für diesen Roman gründeten. Puh, ganz schöne Vorschusslorbeeren. Natürlich dachte ich mir, dann muss das ja wirklich extrem gut sein, das Buch. Die Rezensionen überschlugen sich mit Superlativen, die entsprechende Buchbox war schneller ausverkauft als ich Schmökerbox sagen konnte. Statt die neu erschienene Übersetzung für stolze 26 Euro zu kaufen, war ich etwas böse und habe mir das wesentlich günstigere - und wie ich finde optisch sehr grenzwertige (was soll das mit diesem Fisch auf dem Cover? Wahrscheinlich weil Fische so stumm sind wie Leonard und Paul und Pantomimen?) - englische Taschenbuch gekauft (es war immerhin nicht beim bösen A…). Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich englische Bücher auch meistens lieber auf Englisch lese, das Studium der Englischen Literaturwissenschaft muss sich ja wenigstens ein bisschen auszahlen. Zur deutschen Übersetzung kann ich also nichts sagen.

Ich habe lange gezögert, meine Rezension zu posten, weil einfach so viele hier dieses Buch geliebt haben. Da will man dann auch nicht sagen: Häh, was habt ihr alle, das Buch ist doof. Aber ich will ehrlich bleiben und dazu gehört eben auch meine "honest review" zu einem Hypebuch.

Also, es sollte um diese zwei "normalen" Typen gehen, die so herrlich normal sind, dass die/der LeserIn sich ob dieser Normalität so sehr mit den Protagonisten identifiziert und freut und Tränen der geteilten Normalitätsfreude vergießt. So und jetzt kommt's: Ich bin scheinbar nicht "normal" und würde es so gerne sein. Ich will dieses Buch auch feiern und genial und nerdig süß finden und vor allem: so herrlich normal. Ich möchte wirklich niemandem auf die Füße treten, der/die das Buch toll fand/en. Das ist jetzt wirklich eine Minderheitenmeinung. Aber erstmal habe ich ewig gebraucht, den Roman zu lesen. Es passiert einfach sehr wenig. Ja, man könnte jetzt sagen, das ist so gewollt, aber dann ist das halt nicht mein Ding. Dies hier ist nicht "Warten auf Godot" von Hessions genialem irischen Landsmann Samuel Beckett, wo das Warten als Selbstzweck ein Ausdruck der existentialistischen Situation des Individuums in einer sinnentleerten Welt ist. Hier ist das Warten einfach: Warten auf eine unterhaltsame Handlung ohne Erfüllung dieses Wunsches (aber scheinbar nur in meinem Fall).

 Der "komödiantische" Höhepunkt ist die Szene mit der Keksdose und ich habe bei vergleichbaren Memes mehr gelacht. Die Beziehung zwischen den Freunden wirkt auf mich nicht herzlich, sondern eher wie eine zwanghafte Schicksalsgemeinschaft, der beide am liebsten entfliehen möchten. Die Dialoge gefüllt mit Binsenweisheiten, die einem Lebenshilferatgeber  von Dale Carnegie entstammen könnten. Ein bisschen interessiert hat mich eigentlich nur Leonard. Seine Geschichte ist zumindest etwas "realistischer" und nachvollziehbarer. Die Figur Paul hingegen (warum heißt er im Original eigentlich "Hungry Paul"?) wirkte auf mich zu gewollt "nerdig". Die Sache mit der seltsamen Preisverleihung und den Pantomimen ließ bei mir nur zwei Gefühlsregungen zu, nämlich: "Cringe" und "Gähn". Und die ausführliche Nebenhandlung mit der Hochzeit von Pauls Schwester. Why? (Spoiler) Ich dachte, die Situation würde eskalieren, sie würden nicht heiraten, es gäbe einen Seitensprung…aber nein, sie haben einfach nur ganz normal geheiratet. Normal halt, das Credo dieses Romans.

Ich hab noch nicht ganz herausgefunden, ob ich ein Herz aus Stein habe oder einfach nur blind bin, weil ich nicht sehe, was dieses Buch so toll und cosy und nice macht…Falls es jemandem ähnlich geht, dann bitte sagt Bescheid, ich würde mich dann nicht so allein mit meiner Meinung fühlen.

Sonntag, 8. Oktober 2023

"Ich, Lady Macbeth" von Isabelle Schuler

Lady Macbeth ist mit Sicherheit eine der spannendsten Bühnenfiguren Shakespeares. Eine wahre Bösewichtin, getrieben vom Willen zur Macht, alles blutrünstig aus dem Weg räumend was sich zwischen sie und ihre Ambition stellt, Königin von Schottland zu werden. Ihr Mann Macbeth, ein grüblerischer Krieger, der sich von ihr - und einer Prophezeiung dreier Hexen ("Wann treffen wir uns das nächste Mal/Bei Regen, Donner, Wetterstrahl?") - zu den schlimmsten Taten hinreißen lässt, die ein Mensch begehen kann: Der Mord an Kindern, der Mord an einem König, der Mord an Gästen im eigenen Haus (was im damaligen Wertesystem wohl als das größte Sakrileg galt, wie es auch Shakespeare in seinem Stück immer wieder betont). 

Isabelle Schuler hat mit "Ich, Lady Macbeth" quasi ein Prequel zum Stück von Shakespeare geschrieben. Tatsächlich sollte der Roman eigentlich eine Fernsehproduktion werden, wie es im Nachwort der Autorin heißt. Dies merkt man dem sehr szenisch gestalteten Romanwerk auch durchaus an, aber nicht im negativen Sinne. Durch die schnelle Abfolge von Szenen, Rückblenden und unterschiedlichen Schauplätzen wird es niemals langweilig. Schuler konnte sich, wie sie sagt, nur auf wenige historische Fakten stützen - tatsächlich hat Lady Macbeth wirklich gelebt - vieles ist erfunden, aber das sehr kreativ und stimmig. Zudem gibt es einige im Plot versteckte "Easter Eggs" für die Shakespeare-Fans. Eine Kenntnis des Stücks ist nicht nötig, aber sicherlich wird man Figuren wie Duncan und Malcolm wiedererkennen (und natürlich die Protagonistin sowie MacBethad), wenn man es gelesen oder gesehen hat. 

Wir erleben die Geschehnisse aus der Ich-Perspektive von Gruoch, die ihre eigene Geschichte erzählt - von ihrer Geburt bis zu dem Punkt, an dem sie zu Lady Macbeth wird. Im Schottland des 11. Jahrhunderts hat der neue christliche Glaube Einzug gehalten, viele Menschen aber begehen heimlich noch die inzwischen verbotenen heidnischen Bräuche. So auch die weibliche Linie von Gruochs Familie, die von den Pikten abstammt. Ihre Großmutter ist Druidin, ihre Mutter praktizierende Heidin. Gruochs Vater Boedhe ist der Sohn des ehemaligen schottischen Königs Coinneach, der vom jetzigen König Malcolm gestürzt wurde. 

Der zentrale Moment in Gruochs jungem Leben ist eine Prophezeiung, die ihr ihre Großmutter im Alter von fünf Jahren macht: "Du wirst die Größte von uns allen sein. Dein Ruhm wird sich in ganz Schottland und England verbreiten. [...] Du wirst unsterblich sein." 

Als Enkelin eines ehemaligen Königs und Tochter eines Earls wird Gruoch schnell zum Spielball von dynastischen Interessen, doch die Prophezeiung hilft ihr, alle Schmach zu erdulden: Sie muss überleben, sie muss Königin, sie muss unsterblich werden. Schuler gibt dem ruchlosen Verhalten von Shakespeares Bösewichtin einen nachvollziehbaren Hintergrund. Sie versucht zu erklären, wie sie zu der wurde, die das Blut nicht mehr von ihren Händen bekommt und schließlich an ihrer Schuld zugrunde geht. Und das macht die Autorin auf sehr nachvollziehbare und unterhaltsame Art und Weise. Dass der stille Macbethad waldgrüne Augen und schwarze Locken hat, sei nur am Rande erwähnt. 

Am Ende wäre es zwar schön gewesen, wenn die handelnden Personen einmal weniger ihre Lippen "geschürzt" hätten, aber das tut dem Eindruck eines sehr gut lesbaren, spannenden Historienepos, dessen Handlung auf einem der berühmtesten dramatischen Werke der Weltliteratur beruht, keinen Abbruch. Ein wunderbarer Schmöker für den Herbst und Winter, den ich wahnsinnig gerne gelesen habe. 

Herzlichen Dank an das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar.

Aus dem Englischen von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann.