Donnerstag, 24. Juni 2021

"Bretonische Idylle" von Jean-Luc Bannalec

 

Agatha Christie meets Bretagne

Eigentlich sollte man meinen dass Kommissar Georges Dupin, der seit mittlerweile zehn Jahren in der Bretagne ermittelt, seine neue Heimat in- und auswendig kennt, aber weit gefehlt! Nach zehn Jahren beherrscht er weder die bretonische Sprache in Perfektion (seine Kollegen schenken ihm einen Kurs zum Jubiläum), noch kennt er alle bretonischen Eigenheiten oder war schon in jeder Gegend. Die Bretagne ist für den Pariser Kommissar immer für eine Überraschung gut, so auch in seinem zehnten Fall.

Ein Bewohner der Belle-Île wird im Hafen des bretonischen Festlandes tot aufgefunden - ermordet. Schnell stellt sich heraus, dass es sich um den reichen Schafzüchter Provost handelt, gegen den so ziemlich jeder der Bellilois, wie die Einwohner der größten bretonischen Insel genannt werden, einen Groll hegte. Perfekte Verhältnisse also für alle LiebhaberInnen von "Locked-Room-Mysteries", denn natürlich kommen nur BewohnerInnen der Belle-Île als TäterIn in Frage. Dupin hat seine liebe Not mit der singenden Augusthitze, die in diese. Jahr versucht und damit, überhaupt auf die Insel zu gelangen, leidet er doch an Seekrankheit. Aber als die Reise endlich überstanden ist, lässt er sich von den geografischen Schönheiten und kulinarischen Besonderheiten der Insel verzaubern.

Alles in allem muss ich sagen: Ein typischer Dupin-Wohlfühl-Krimi, der sehr an Agatha Christie erinnert diesmal. Nicht nur die Insel als geschlossener Tatort, sondern auch die Tat selbst und die exzentrischen Charaktere gemahnen an die große Queen of Crime. Die Spannung war auf jeden Fall gegeben, die Auflösung war mir dann ein wenig zu konstruiert-unglaubwürdig und gleichzeitig zu offensichtlich. Eine spannende Wendung zum Schluss hätte mir auch noch gut gefallen.

Dennoch wieder ein toller und sehr lesenswerter Sommerkrimi-Schmöker aus der Feder von Jean-Luc Bannalec.

Herzlichen Dank an Kiepenheuer & Witsch sowie netgalley.de für das Rezensionsexemplar!

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"Eine Freundin für Mia" (Leserabe-Vorlesestufe) von Alexandra Fischer-Hunold und Lena Hesse

 

Tolles "Vor-Lesebuch" gegen Gender-Klischees

Meine Tochter ist fünf und zeigt sich seit kurzem frustriert über die Tatsache, dass sie noch nicht lesen kann. Dem kann Abhilfe geschaffen werden indem man zu den Leserabe-Büchern von Ravensburger greift. Hier gibt es speziell eine Reihe, die "Vor-Lesestufe", die sich an Leseanfänger bzw. Vorschulkinder richtet. In dieser Stufe (die Cover der Bände sind grün hinterlegt) werden Schlüsselwörter in Form von gezeichneten Piktogrammen in den Textblock integriert. Die Wörterliste findet sich im Anhang des Buches zum Ausklappen. Auch die Geschichte "Eine Freundin für Mia" folgt diesem Prinzip und kann so den Vorschulkindern die Scheu vor dem Text nehmen. Kinder sind ja erstmal Bilderbücher gewohnt, der Text ist in der Regel "für die Erwachsenen" da. Indem die Bilder hier den Text sozusagen "unterwandern", lernen die Kinder sich auch mit selbigem auseinanderzusetzen. Bei meiner Tochter kam dies gut an - Ich lese den Text bis zum Bild und sie entschlüsselt die Hauptwörter. Im Zweifel kann man den Wörterschlüssel zurate ziehen.

Zur Geschichte selbst kann man sagen, dass sie sich natürlich speziell an Mädchen richtet. Es geht um ein Mädchen namens Mia, das ihren ersten Schultag an einer neuen Schule erlebt. Sie wünscht sich eine neue Freundin, die wie eine Prinzessin aussehen sollte. Dass ihre spätere Freundin Leo, die sie im Lauf der Geschichte kennenlernt, dann gar nicht diesem Stereotyp entspricht, ist sozusagen der Twist der Story. Mädchen können Prinzessinnen sein, aber auch Fußball mögen und Jungsklamotten tragen, so die Moral. Also eine richtig gute Story am Puls der Zeit sozusagen, die das Thema Gender-Klischees thematisiert.

Das Buch wird abgerundet durch einen interaktiven Anhang. Hier können die Kinder nach der Lektüre noch einige Rätsel lösen, die im Zusammenhang mit dem Text stehen. Man kann sogar etwas gewinnen und hat dadurch eine zusätzliche Motivation, die Bilderrätsel zu lösen.

Ein super Gesamtpaket für einen fairen Preis, in bewährter Ravensburger-Qualität. Ich habe auch bereits ein anderes Buch aus der Reihe bestellt und freue mich darauf, es mit meiner Tochter durchzugehen. Volle Punktzahl.

Herzlichen Dank an vorablesen junior und Ravensburger für das Rezensionsexemplar!

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Samstag, 5. Juni 2021

"Das Geheimnis von Zimmer 622" von Joël Dicker

 


Willkommen in Absurdistan!

"Das Geheimnis von Zimmer 622" war mein erster Dicker, weshalb ich zwar unvoreingenommen, aber doch auch mit gewissen Befürchtungen was die Qualität desselben betrifft, an die Lektüre des Romans herangegangen bin. Dickers Bücher werden von euphorisch bis unterirdisch schlecht sehr unterschiedlich rezipiert, der Autor ist mittlerweile berühmt-berüchtigt für seine Spannungsromane.

Der Roman besteht aus mehreren Erzählschichten, könnte man sagen. Ummantelt wird er von einer Autofiktion bzw. einer Rahmenhandlung, in der der tatsächliche Autor, also Joël Dicker, den vorliegenden Roman schreibt bzw. dafür recherchiert. Diesmal ist also Dicker selbst eine literarische Figur in seinem eigenen Buch.

Die Handlung des eigentlichen Romans, in dem es um das "Geheimnis von Zimmer 622" geht, ist im Schweizer Bankenmilieu angesiedelt. Die Haupt-Handlungsorte sind Genf, wo die Privatbank Ebezner ihren Sitz hat und Verbier, der Nobelskiort in den Alpen, wo sich das Luxushotel befindet, in dem das Verbrechen verübt wird. Die Handlung hier auch nur ansatzweise wiedergeben zu wollen, erscheint mir unmöglich und auch redundant. Der/die potenzielle LeserIn sollte sich aber darüber bewusst sein, dass er/sie in die Handlung eintritt wie in einen Zirkus skurriler Figuren, ein Varieté der unwahrscheinlichsten Lebensgeschichten und grotesken Handlungselemente, die einerseits an eine südamerikanische Telenovela, andererseits an einen (schlechten) Spionagethriller erinnern. Und das ist eigentlich der Pluspunkt des Romans, denn wer gerne Bücher liest, die sich selbst aufs Korn nehmen, ist hier gerade richtig. Wer freilich authentische Charaktere mit Tiefgang in einer stringent verlaufenden Geschichte sucht, ist hier mehr als Fehl am Platz.

Aufgebläht ist dieses Buch, voller Belanglosigkeiten und Wiederholungen. Die Enthüllung der Frage, wer eigentlich umgebracht wurde, erfolgt erst nach ca. zwei Dritteln der Handlung. Der Leser hat bis dahin die Lebensgeschichte aller Beteiligten minutiös vorgekaut bekommen.

Der Kern und die Idee an sich hätten ja spannend werden können, aber Dicker versucht sich immer selbst zu übertrumpfen und scheitert hier auf dem schmalen Grat, der zwischen anspruchsvoller Unterhaltung und niveauloser Trivialität verläuft. Die Dialoge aus der Haupthandlung scheinen zum größten Teil einer Schmierenkomödie oder schlechten Vorabendserie nachempfunden. Die Handlungselemente und Plot-Twists stehen der Dialogregie allerdings an Unglaubwürdigkeit in nichts nach.

Das einzige, was etwas Niveau hat, ist die Hommage Dickers an seinen (1926 geborenen) Verleger Bernard de Fallois, der im Jahr der Rahmenhandlung, 2018, verstarb. Passenderweise geht es auch im Roman selbst oft um das spezielle Verhältnis zwischen (Ersatz-)Vätern und ihren Söhnen. Dicker stellt indirekt die Frage, ob Wahlverwandtschaft nicht vielleicht die bessere Verwandtschaft ist.

Das Ende trieft von einer trivial-banalen Kitschigkeit, das selbst die schlechteste Soapopera der Welt nicht besser hätte hinbekommen können. Leider nur 2,5 Sterne.

Herzlichen Dank an Piper und netgalley.de für das digitale Rezensionsexemplar, das Printexemplar habe ich selbst gekauft.

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