Dienstag, 30. Mai 2023

"Wenn es Frühling wird in Wien" von Petra Hartlieb


Der Frühling neigt sich seinem Ende zu, aber ich möchte ihn für dieses Jahr noch gebührend verabschieden. Und zwar mit diesem - nicht nur äußerlich schönen - Buch.

"Wenn es Frühling wird in Wien" ist der zweite Band der vierteiligen Reihe um das aus ärmlichen Verhältnissen stammende Kindermädchen Marie, das im Jahr 1911 eine Anstellung bei der Familie des Arztes und Schriftstellers Arthur Schnitzler bekommt. Ich fand bereits den ersten Band "Winter in Wien" wahnsinnig bezaubernd und einnehmend. 

Als lesender Mensch und Buchliebhaber kann man dieser Reihe nur schwer widerstehen. Denn nicht nur tritt Marie in das Haus eines Schriftstellers ein, der heute als moderner Klassiker der deutschsprachigen Literatur gefeiert wird, sie verliebt sich auch in den Buchhändler Oskar Nowak. Dieser bringt der in einem bildungsfernen Milieu aufgewachsenen jungen Frau die Welt der Bücher und des Lesens nahe. 

Die Handlung ist wundervoll in die Jahreszeiten eingebettet und hier ist es eben der Frühling, der sich wie das berühmte "blaue Band" durch die Geschichte schlängelt. Ich mag sowas immer sehr gerne und kann Romane meistens nicht leiden, bei denen man gar nicht weiß welcher Monat oder sogar welche Jaheszeit gerade ist. Der Frühling des Jahres 1912 war eher nass und die zweite Hälfte des April war überschattet vom berühmtesten Schiffsunglück in der Geschichte der Menschheit, dem Untergang der "Titanic". Auch dieses spielt im Roman eine wichtige Rolle.

Und auch wenn in diesem Buch ein paar schlimme Dinge erzählt und - wie im wahren Leben auch - erlebt werden, so hat Petra Hartlieb historische "Wohlfühlliteratur" geschrieben, ohne einen Moment trivial zu sein. Soul Food in Buchform quasi. Ich bin froh, dass ich die nächsten beiden Bände passend zu den kommenden Jahreszeiten noch vor mir habe. Ein weiterer Pluspunkt (ohne zu viel zu verraten): Es gibt eine sehr sympathische LGBTQ-Person im Roman.



Freitag, 12. Mai 2023

"Durch das große Feuer" ("In Memoriam") von Alice Winn

Vorneweg: Schade, dass sich der Verlag nicht für den Originaltitel "In Memoriam" entschieden hat, denn er hätte deutlich besser zu diesem Roman gepasst. Es sind nämlich die "In Memoriams", also die Nachrufe bzw. Traueranzeigen, die das Leben dieser jungen Menschen, um die es im Buch geht, schon viel zu früh bestimmen. Wie fasst man das Leben eines 18-jährigen jungen Mannes in wenigen Worten zusammen, der außerhalb des Internats und den Schützengräben kaum Lebenserfahrung sammeln konnte. Der nichts hinterlässt, außer Hoffnungen und Vorfreude auf ein Leben, das jäh beendet wurde?

Um den Tod und auch um die Liebe geht es in diesem Roman, also die beiden Themen, die die Literatur schon immer durchsetzt hat. Es geht neben dem sinnlosen Sterben, das jeder Krieg hervorbringt, um die Liebe zwischen den Internatsschülern Sidney Ellwood und Henry Gaunt, zwei Jungen an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Als der Erste Weltkrieg im Jahr 1914 beginnt, sehen sich die beiden plötzlich damit konfrontiert, für das Vaterland kämpfen zu müssen, statt Shakespeare, Tennyson und Thukydides zu lesen, eigene Gedichte zu schreiben und den Mitschülern harmlose bis perfide Streiche zu spielen. Auch Geschlechtsverkehr untereinander ist an der Tagesordnung, allerdings darf von Liebe keine Rede sein. Schließlich müssen die Eliteschüler eines Tages ihre von der Gesellschaft vorgegebene Rolle erfüllen und ein bürgerliches Leben mit einer Ehefrau und Kindern anstreben. Dessen sind sich Ellwood und Gaunt nur allzu bewusst. Und trotzdem können sie nicht voneinander lassen. Zwar können "die Gesellschaft" und bürgerliche Konventionen noch warten, allerdings trifft sie dafür die Welt des Krieges, in der ganz eigene Vorstellungen von "Männlichkeit" existieren, wie ein Paukenschlag. Heute würde man wahrscheinlich "toxische Männlichkeit" dazu sagen. Vor allem Ellwood, der mit romantischen Vorstellungen in den Krieg zieht, wird schnell ernüchtert von der bitteren Realität der Gasangriffe und Granatsplitter. Der Roman ist ein Anti-Kriegsroman durch und durch. Kein grausames Detail wird ausgespart, die Lektüre gleicht stellenweise einem Horrorfilm.

Es geht auch viel um Rollenbilder in diesem Roman und um das Hinterfragen von Klischees und Schubladendenken. Schwarzweiß-Malerei ist dem Buch fremd. So werden die Deutschen nicht als die absolut Bösen hingestellt. Es sind ganz normale Menschen, die sich in einer vertrackten politischen Situation wiederfinden. Gaunts Mutter ist Deutsche und ihre schönsten Tage verbrachten Ellwood und er in München, wo seine Cousins leb(t)en.

 Auch die beiden Protagonisten sind trotz ihrer Homosexualität nicht davor gefeit andere zu drangsalieren und zu belächeln. Dies geschieht wahrscheinlich auch häufig aus Selbstschutz, um nicht selbst in den Verdacht zu kommen man könnte zu "weich" sein oder gar einen anderen Jungen lieben. Alice Winn setzt ihren Protagonisten keinen Heiligenschein auf, sondern versucht den ganzen komplexen Menschen in seiner Widersprüchlichkeit darzustellen. Obwohl sie in der Beschreibung der Gräuel des Krieges bis an die Schmerzgrenze des Erträglichen, arbeitet sie trotzdem mit den Stilmitteln Humor und Ironie. Denn auch Soldaten sind Menschen wie du und ich, die gerne lachen und scherzen oder ihre Sorgen beim Kartenspiel vergessen wollen. Und diese Echtheit, diese Darstellung der humanen Zerrissenheit zwischen der Normalität einer Liebe unter Männern (denn nichts anders ist es als eine Normalität) und der toxischen Welt des Krieges (und teilweise der Gesellschaft generell) macht das Buch so großartig.

Was mir auch sofort aufgefallen ist: Dieser Roman ist schon mit dem Hintergedanken einer Verfilmung geschrieben worden. Alles an ihm ruft: Leinwand. Sei es die durch Briefe und Zeitungstexte akzentuierte Multiperspektität oder der Plot an sich, der sich wunderbar szenisch umsetzten ließe. Zum Ende kann ich nur sagen ohne zu viel zu verraten. Es hat mich überrascht und: Ja. Ja, ja!

Ein wunderbarer, grausamer und wichtiger historischer Roman über den "Großen Krieg" und die Liebe zweier junger Männer dazwischen.

Übersetzt von Ursula Wulfekamp und Benjamin Mildner, erschienen im Eisele Verlag