Lady Macbeth ist mit Sicherheit eine der spannendsten Bühnenfiguren Shakespeares. Eine wahre Bösewichtin, getrieben vom Willen zur Macht, alles blutrünstig aus dem Weg räumend was sich zwischen sie und ihre Ambition stellt, Königin von Schottland zu werden. Ihr Mann Macbeth, ein grüblerischer Krieger, der sich von ihr - und einer Prophezeiung dreier Hexen ("Wann treffen wir uns das nächste Mal/Bei Regen, Donner, Wetterstrahl?") - zu den schlimmsten Taten hinreißen lässt, die ein Mensch begehen kann: Der Mord an Kindern, der Mord an einem König, der Mord an Gästen im eigenen Haus (was im damaligen Wertesystem wohl als das größte Sakrileg galt, wie es auch Shakespeare in seinem Stück immer wieder betont).
Isabelle Schuler hat mit "Ich, Lady Macbeth" quasi ein Prequel zum Stück von Shakespeare geschrieben. Tatsächlich sollte der Roman eigentlich eine Fernsehproduktion werden, wie es im Nachwort der Autorin heißt. Dies merkt man dem sehr szenisch gestalteten Romanwerk auch durchaus an, aber nicht im negativen Sinne. Durch die schnelle Abfolge von Szenen, Rückblenden und unterschiedlichen Schauplätzen wird es niemals langweilig. Schuler konnte sich, wie sie sagt, nur auf wenige historische Fakten stützen - tatsächlich hat Lady Macbeth wirklich gelebt - vieles ist erfunden, aber das sehr kreativ und stimmig. Zudem gibt es einige im Plot versteckte "Easter Eggs" für die Shakespeare-Fans. Eine Kenntnis des Stücks ist nicht nötig, aber sicherlich wird man Figuren wie Duncan und Malcolm wiedererkennen (und natürlich die Protagonistin sowie MacBethad), wenn man es gelesen oder gesehen hat.
Wir erleben die Geschehnisse aus der Ich-Perspektive von Gruoch, die ihre eigene Geschichte erzählt - von ihrer Geburt bis zu dem Punkt, an dem sie zu Lady Macbeth wird. Im Schottland des 11. Jahrhunderts hat der neue christliche Glaube Einzug gehalten, viele Menschen aber begehen heimlich noch die inzwischen verbotenen heidnischen Bräuche. So auch die weibliche Linie von Gruochs Familie, die von den Pikten abstammt. Ihre Großmutter ist Druidin, ihre Mutter praktizierende Heidin. Gruochs Vater Boedhe ist der Sohn des ehemaligen schottischen Königs Coinneach, der vom jetzigen König Malcolm gestürzt wurde.
Der zentrale Moment in Gruochs jungem Leben ist eine Prophezeiung, die ihr ihre Großmutter im Alter von fünf Jahren macht: "Du wirst die Größte von uns allen sein. Dein Ruhm wird sich in ganz Schottland und England verbreiten. [...] Du wirst unsterblich sein."
Als Enkelin eines ehemaligen Königs und Tochter eines Earls wird Gruoch schnell zum Spielball von dynastischen Interessen, doch die Prophezeiung hilft ihr, alle Schmach zu erdulden: Sie muss überleben, sie muss Königin, sie muss unsterblich werden. Schuler gibt dem ruchlosen Verhalten von Shakespeares Bösewichtin einen nachvollziehbaren Hintergrund. Sie versucht zu erklären, wie sie zu der wurde, die das Blut nicht mehr von ihren Händen bekommt und schließlich an ihrer Schuld zugrunde geht. Und das macht die Autorin auf sehr nachvollziehbare und unterhaltsame Art und Weise. Dass der stille Macbethad waldgrüne Augen und schwarze Locken hat, sei nur am Rande erwähnt.
Am Ende wäre es zwar schön gewesen, wenn die handelnden Personen einmal weniger ihre Lippen "geschürzt" hätten, aber das tut dem Eindruck eines sehr gut lesbaren, spannenden Historienepos, dessen Handlung auf einem der berühmtesten dramatischen Werke der Weltliteratur beruht, keinen Abbruch. Ein wunderbarer Schmöker für den Herbst und Winter, den ich wahnsinnig gerne gelesen habe.
Herzlichen Dank an das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar.
Aus dem Englischen von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann.
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