Historische Romane bieten uns die Möglichkeit, der Geschichte ein "Was-wäre-wenn" unterzujubeln. Als fiktionale Konstrukte haben sie nicht den Anspruch "wahr" zu sein. Geht es in ihnen aber um historische Persönlichkeiten, die tatsächlich existiert haben, wird es richtig spannend. Autor*innen können aus ihnen das machen, was ihre Vorstellungskraft ihnen ermöglicht und dabei müssen sie sich noch nicht mal an alle existierenden biographischen Fakten halten.
Natasha Siegel hat in ihrem Roman "Solomon's Crown" zwei mittelalterliche Herrscher genommen und ihnen etwas angedicht, von dem ich mir wünschen würde, es wäre wahr, was ich aber auch "nur" als rein fiktionale Realität akzeptieren und genießen kann: eine Liebesgeschichte. Sie sagt ganz klar, dass es nicht ihre Absicht war, die historische Realität abzubilden. Die ist, wie sie sagt, zum Großteil eine Tragödie, zumindest was die Beziehung ihrer beiden Protagonisten betrifft. Sie wollte einen historischen Liebesroman schreiben, in dem die queere Beziehung zwischen den beiden Figuren eine Chance hat. "Solomon's Crown" ist genau das: eine Fiktion, eine Romanze, etwas fürs Herz und auch ein bisschen Fan-Fiction für "History nerds".
Vieles stimmt aber doch im vorliegenden Roman. Richard I. "Löwenherz" (1157-1199) aus dem Hause Plantagenet und Philip II. aus dem Hause Capet (1165-1223) haben zumindest zur selben Zeit gelebt und eine Allianz geschlossen. Richard ist zu Beginn und während des Großteils der Handlung noch Herzog von Aquitanien, das er von seiner Mutter Eleanor erhalten hat. Im Verlauf der Handlung wird er durch den Tod seines Bruders Harry aber zum Erben des englischen Throns, den er aber eigentlich gar nicht will. Philip ist noch ein Teenager, als er den französischen Thron seines sehr gläubigen Vaters erbt. Er ist überaus pflichtbewusst und geht auch die Ehe mit der ihm seit Kindheit versprochenen Isabella von Hainaut ein. Als er aber Richard begegnet, gerät seine Welt ins Wanken und die Liebe tritt in sein Leben - in Form eines anderen Mannes, der ähnlich mächtig ist wie er selbst…
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Richard und Philip erzählt. Ich habe beide Protagonisten geliebt, denn sie sind auf ihre Weise einnehmend und sympathisch. Richard, der nach außen starke Kämpfer, dessen Persönlichkeit so tiefgründig und zart erscheint. Philip, der körperlich schwächliche, nach außen kalte und intellektuelle Regent, gefangen im Korsett der royalen Verantwortung, der fast zerbricht an seiner Neigung und seinen wahren Gefühlen für Richard.
Bei beiden spürt man das Gewicht der genealogischen Macht, die sie in eine Rolle zwingt, die sie sich selbst nicht ausgesucht haben und die sie seit Geburt - bei Philip - und seit dem Tod des Bruders Harry spielen müssen: die des (zukünftigen) Regenten eines mächtigen Reiches.
Isabella ist eine "Ally"-Figur. Sie möchte zwar einen Erben, bestärkt aber ihren Gatten Philip darin, seinem Herzen zu folgen und eine Beziehung mit Richard einzugehen bzw. diese zu vertiefen. Natürlich sagt der Verstand, dass die reale und sehr junge Isabella wohl kaum derart moderne liberale Vorstellungen gehegt haben dürfte. Aber es wäre doch so schön und man will es in diesem Roman auch einfach glauben dürfen.
Sprachlich hat mir das Buch auch ausnehmend gut gefallen. Naturmetaphorik spielt eine große Rolle. Die verwendete Sprache ist sehr bildlich und melodisch, bei manchen Sätzen musste ich ob ihrer erhabenen Schönheit innehalten und das Buch fest an mich drücken (ja, man kommt sich dabei idiotisch vor). Ein paar Wendungen und Sätze, die mir besonders gefallen haben (ich habe noch einige mehr angestrichen):
"names began to process like pageant players -Henry, Harry, Geoffrey, Philip [...] if the arrow had struck [...] What would I have left behind, except a corpse buried in wet leaves, and the thunder, and the beginning of rain?" (52)
"I did not have Philip, but at least I now had the sense I had marked him somehow. I could pretend that my touch would remain with him permanentely, a stain upon his lip where my thumb had brushed over his mouth, like the inkblot on his papers." (133)
"I am nothing like the stars." "You are," he replied. "You are as lovely, and almost as distant." (174)
"I only knew that, if he was never to be mine, I might at least lose him here; in the snow under blue skies, with only the cold as our audience." (190)
"You are the sky above me and the ground below, you are the rain and the sun and the snow and the grass. You are winter and you are spring. I cannot escape you." (216)
Für mich war Solomon's Crown (übrigens der Name einer Pflanze, die nur im Winter blüht) ein wunderbares Wiedersehen mit den Plantagenets, mit denen ich mich schon oft in Form historischer Romane beschäftigt habe. Es gab die obligatorischen Schlachten- und Kriegsszenen, die royalen Verschwörungen, etc. Aber das alles wurde homogen in die Haupthandlung um Philipp und Richard eingeflochten. Die queere Komponente war die Kirsche auf der Torte und hat dem Roman das gewisse Etwas verliehen. Es lebe die Fiktion, in der alles möglich ist!
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