Dienstag, 4. August 2020

"Alles Geld der Welt" von Gerhard Loibelsberger


 
Heinrich, mir graut vor dir!

Der wenig sympathische Protagonist des vorliegenden Romans, Heinrich von Strauch, ist begeistert von Goethes Faust und liest immer wieder die Szenen, in denen Mephisto dem Faust "alles Geld der Welt" in Aussicht stellt. Vor allem im Faust II geht es ums Geld und seine allumfassende Wichtigkeit - insbesondere dann, wenn es nicht vorhanden ist. "Wo fehlt's nicht irgendwo auf dieser Welt? Dem dies, dem das, hier aber fehlt das Geld“ (Goethe: Faust II, Akt 1) sagt Mephisto dort.

Auch in Loibelsbergers "Roman aus Wien im Jahr 1873" ist das Geld und wie man es "machen" kann, in aller Munde und im Überfluss leider nur in den Taschen der Reichen, Neureichen, Immobilienhaie und Börsenspekulanten vorhanden. Zu diesem “Berufsstand” gehört der Privatbankier und Börsianer Heinrich von Strauch. Ihm ist das ererbte und erworbene Geld an sich eigentlich "wurscht". Solange er es hat und die Annehmlichkeiten, die damit verbunden sind (im Wesentlichen Wein, Weib und Gesang), interessiert es ihn nicht besonders. Dafür hat er seinen Freund, Kollegen und Handlanger Ernst Xaver Huber, der die Geschäfte für ihn erledigt.

Der historische Börsenkrach am 9. Mai 1873 ist der Dreh- und Angelpunkt dieses Romans. Die Handlung, beginnend im Januar 1873, steuert zielgerichtet auf dieses Ereignis zu, gruppiert sich um es herum. Überhaupt hat der Roman eine sehr dramatische Struktur. Der Held oder in unserem Fall, der Antiheld, prosperiert, steigt gesellschaftlich auf und wird schließlich zu Fall gebracht.

Die Gier nach dem schnöden Mammon ist das beherrschende Thema des Romans. Aber neben der Todsünde Gier, kombiniert mit Neid, kommen auch die Wollust und die Völlerei nicht zu kurz. Es wird beständig gegessen und oft auch "gepudert" (und damit meine ich nicht die Nase der Damen). Loibelsbergers Wien von 1873 ist ein Sündenpfuhl wie er im Buche steht.

Der Roman hat satirische Züge und entbehrt nicht einer gewissen unfreiwilligen oder auch intendierten Komik. Wie sich die gierigen neureichen Mannsbilder in diesem Roman verhalten, ist schon mehr als lächerlich. Da ist es kein Wunder, wenn der ungeliebten Frau Heinrichs von Strauch Gretchens berühmte Worte: "Heinrich, mir graut vor dir" durch den Kopf gehen. Sehr gefallen und zum Schmunzeln gebracht haben mich auch die intertextuellen Referenzen zum Autor Gerhard Loibelsberger. (Es folgt ein kleiner Spoiler!) Neben seinem Urgroßvater Karl, der eine kleine Szene als Schriftsetzer bekommt, kann sich der Leser von Loibelsbergers historischer Krimireihe auf einen “Cameo-Auftritt” des jugendlichen Kommissars Nechyba freuen.

Zur Lesbarkeit: Sehr oft werden fiktive (oder gelegentlich auch originale) Textpassagen aus Zeitungen, die die Figuren gerade lesen, in die Handlung eingeschoben. Diese Texte, in denen es im Altwiener Sprachduktus um die Börse, "Actien", "Actionäre" und "Effekten" sowie juristische Spitzfindigkeiten geht, sind sehr sperrig und für mich teilweise anstrengend zu lesen gewesen. Etwas weniger dieser Texte, mit denen meiner Meinung nach eher Wirtschaftshistoriker etwas anfangen können, wäre für mich mehr gewesen. Der Altwiener Dialekt wird sowohl in den Fußnoten als auch in einem Glossar im Anhang für den Leser aufgeschlüsselt. Dies unterbricht den Lesefluss, so man denn von den Fußnoten Gebrauch macht.

Alles in allem ist "Alles Geld der Welt" ein starker historischer Roman, der von der Vergleichbarkeit damaliger und heutiger Finanzgeschäfte lebt. Der Kapitalismus in seiner Reinform, der die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer macht, wird hier unverhohlen kritisiert. Durch seine historisierende Form erinnert der Roman oft an zeitgenössische Werke des 19. Jahrhunderts. Es ist daher kein Buch für Jederfrau & Jedermann, aber sicher für viele ein interessanter und erschreckend aktueller Roman.


Herzlichen Dank an den Gmeiner Verlag für das Rezensionsexemplar!

Nähere Infos zum Buch (Klick aufs Cover): 

https://www.gmeiner-verlag.de/buecher/titel/alles-geld-der-welt.html

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