Mittwoch, 31. März 2021

"Das Verschwinden der Adèle Bedeau" von Graeme Macrae Burnet

 

Hochspannend und psychologisch ausgefeilt

Im kleinen elsässischen Ort Saint-Louis nahe Basel und ca. 80 Kilometer von Straßburg entfernt, lebt es sich wie aus der Zeit gefallen. Und auch dieser Roman selbst scheint, als wäre er zeitlos. Zuerst veröffentlicht im Jahr 2014, nun in Neuauflage bei btb erschienen, gaukelt uns der Autor Graeme Macrae Burnet im Nachwort vor, er wäre lediglich der Übersetzer des Romans. Der echte Autor wäre ein Raymond Brunet, der das Buch bereits 1982 veröffentlicht habe. Hier muss man als Leser tatsächlich genauer recherchieren um nicht aufs Glatteis geführt zu werden.

Die Handlung könnte sich jedenfalls in der Tat auch in den frühen 1980er Jahren abgespielt haben, so auffällig ist die Abwesenheit der technischen Meilensteine Mobilfunk und Internet.

Im unbekannten Jahr der Handlung sind die Hauptmedien die Regionalzeitung "L'Alsace" und der Dorfklatsch im Restaurant de la Coche. Hier arbeitet die titelgebende Kellnerin Adèle Bedeau (19) und hier geht auch der Bankdirektor Manfred Baumann (36) aus und ein. Der unscheinbare Single und Einzelgänger geht einer strengen Lebensroutine nach, doch als die Kellnerin Adèle verschwindet, gerät diese von einem auf den anderen Tag aus den Fugen. Kriminalkommissar Georges Gorski beginnt im Fall Adèle Bedeau zu ermitteln, wobei Manfred Baumann immer mehr in den Fokus seines Interesses gerät. Hat der seltsame Mann etwas mit Adèles Verschwinden zu tun?

Erzählt wird abwechselnd aus der Perspektive Baumanns und Gorskis, wobei wir peu à peu die Lebensgeschichte der beiden Antagonisten serviert bekommen. Der allwissende Erzähler führt dabei alle Erzählstränge sowie Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges zusammen. Die Erzählweise ist dadurch sehr apart und man hat das Gefühl ein Komplize des Erzählers zu sein bzw. einen Film zu schauen.

Wenn ich nun definieren würde ob “Das Verschwinden der Adèle Bedeau” ein Kriminalroman ist oder nicht, würde ich schon zuviel verraten, denn ein Großteil der Handlung besteht aus der Frage ob sie tot ist bzw. ermordet wurde oder nicht. Wenn es aber in einem Krimi nicht nur um getötete Leichen geht, sondern auch um die Abgründe und Tragödien der menschlichen Existenz, dann ist dieser Roman definitiv ein solcher. Am ehesten würde ich ihn aber als psychologischen Spannungsroman bezeichnen, denn hochspannend ist er allemal. Hauptsächlich wird eine hochdetaillierte Charakterstudie des - so kann man es wohl sagen - Protagonisten Manfred Baumann angefertigt, die die Tiefenschichten seines psychologischen Profils analysiert. Der Roman ist zusätzlich eine schöne Milieustudie des Lebens in der französischen Provinz der (jüngeren?) Vergangenheit.

Wer “leise”, “unblutige” Krimis mit viel Charakter und Ermittlerstory mag, dem kann ich diesen kleinen feinen Roman nur wärmstens ans Herz legen.

Herzlichen Dank an das Bloggerportal von Random House bzw. btb für das Rezensionsexemplar!



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