Und täglich grüßt der 18. November
“Ich wünsche mir eine Welt, in der die Zeit vergeht. Eine Welt, in welcher der achtzehnte November ein Tag wie alle anderen ist, ein Tag, den man zu den Akten legen kann.” (S. 153)
Was ich bei einer Lektüre suche, ist immer das Einzigartige und Besondere, etwas, das kein anderes Buch hat. Und wieder einmal habe ich es gefunden, ein Herzensbuch. Schon vor Längerem habe ich mir “Über die Berechnung des Rauminhalts I” von Solvej Balle (aus dem Dänischen von Peter-Urban Halle, bei Matthes & Seitz Berlin) gekauft, die Lektüre aber noch etwas herausgeschoben. Das hat einen ganz besonderen Grund: Ich wollte warten bis zum 18. November, bis ich damit beginne. Warum? Der 18. November ist der Schicksalstag der Protagonistin aus "Rauminhalt I”, Tara Selter, denn sie ist in einer Zeitschleife gefangen und erlebt den Tag immer und immer wieder. Einer meiner Lieblingsfilme ist “Groundhog Day” bzw. “Und täglich grüßt das Murmeltier”, wo der Meteorologe Phil Connors den 2. Februar immer wieder und wieder erlebt. Den gleichen Tag als repetitive Dauerschleife zu erleben, ist - zumindest für mich - eine faszinierende Horrorvorstellung. Umso gespannter war ich auf eine literarische Bearbeitung des Themas.
Während der Film dieses auf tragikomische Weise umsetzt und vor allem mit Humor arbeitet, zeichnet den Roman ein fast schon heiliger Ernst und eine skandinavisch-schnörkellose Klarheit aus. Eine starke Bildsprache, die die Wiederholung des immer Gleichen auf unvergleichliche Weise einfängt.
Tara Selter ist wie Phil Connors aus “Groundhog Day” allein in “ihrem” 18. November. Ihr Mann Thomas, der gemeinsam mit Tara mit antiquarischen Büchern handelt - sie wohnen in einem ländlichen französischen Ort in der Nähe von Lille - weiß nichts von der zeitlichen Anomalie, in der seine Frau lebt. Und so leben sie nebeneinander her, Tara bezeichnet sich als Monster und Thomas als Muster. Er lebt den Tag in ihrer Abwesenheit, denn eigentlich ist sie am 18. November geschäftlich in Paris. Als sie aber beschließt, nach Hause zu kommen, erzählt sie ihm alles über den 18. November und die Zeitschleife, was er dann aber am nächsten Morgen, der für Tara nur der Beginn eines weiteren 18.11 (sie werden nummeriert) ist, wieder vergessen hat. Tara beginnt, Thomas aus dem Weg zu gehen, lebt immer wieder in ihren Tag hinein und denkt sich Pläne aus, wie sie ihm wieder entkommen kann.
Ich bin keine Physikerin oder verstehe viel von der Materie, ich kenne mich nicht näher mit zeitlichen Unregelmäßigkeiten, Quantenmechanik und Mehrere-Welten-Theorie aus. Ich bin einfach nur eine Leserin, die fasziniert ist von einem Buch. Ich bin von dieser eindringlichen Prosa fasziniert, die sich mit kleinsten Veränderungen auseinandersetzt, mit Beobachtungen des Wetters und der Landschaft, mit dem Vergehen bzw. dem Nicht-Vergehen der Zeit. Die Reihe macht süchtig und ich hätte am liebsten sofort zu Buch II. gegriffen, wenn ich es denn schon da hätte und wenn nicht andere Bücher auf mich warten würden. Auch bin ich in keiner Zeitschleife gefangen und ich werde definitiv nicht bis zum nächsten 18.11 mit Band II warten. Ich bin so froh, dass die Reihe auf sieben Bände angelegt ist und hoffe sehr, dass sie alle auch von Peter Urban-Halle aus dem Dänischen übersetzt und bei Matthes & Seitz Berlin verlegt werden.
Absolute Leseempfehlung - großartig, einzigartig und von höchster literarischer Qualität.