Sonntag, 26. Oktober 2025

"Ennos Tanz" von Frank Holger Schneider

 



Frecher und erfrischender Coming-of-Age-Roman


Es ist tiefster Herbst, aber heute gibt es nochmal ein Sommerbuch. Einfach, weil es erst im Oktober erschienen ist.


Frank Holger Schneiders Protagonist, der 14-jährige Enno, ist keiner, der ein Blatt vor den Mund nimmt. In seinem Gedankenstrom kommen sowohl Kraftausdrücke am laufenden Band vor, als auch gnadenloses Bodyshaming. Doch was sich nach außen hin als politisch inkorrekt und vulgär präsentieren könnte, ist eigentlich nur eins: authentisch. Jugendliche denken so. Genau so. Und deswegen hat der Roman es auch nach wenigen Seiten bereits geschafft, mich auf seine Seite zu ziehen, mich zu Ennos Komplizin zu machen. Ich habe mitgefiebert, was bei diesem Ausreißer-Sommerferien-Trip durch Ba-Wü als nächstes passiert und mich immer mehr an Enno und seine unverblümte Ausdrucksweise gewöhnt. Man fühlt sich wirklich 1:1 im Kopf dieses Jungen, der keine schlimme Kindheit hat oder hatte, aus einem “Besserverdiener-Elternhaus” stammt und einfach nur einmal ein wenig Dampf ablassen möchte, während seine Eltern im immergleichen Ostsee-Urlaub weilen. Die Leichtigkeit von Ennos Situation lässt eine gewisse Schwerelosigkeit und ein Wohlgefühl entstehen, da die Lesenden mit ihm eigentlich kein Mitleid haben müssen und sich an seiner unverstellten Jugendlichkeit, an seinen adoleszenten, ungeschliffenen Gedanken erfreuen dürfen. Man merkt ganz klar, dass Schneider einen Theaterhintergrund und sich u.a. mit Brecht auseinandergesetzt hat, denn immer wieder durchbricht sein Protagonist die dritte Wand und spricht die Lesenden direkt an.


Was mir besonders an “Ennos Tanz” gefällt und ich dementsprechend hervorheben möchte, ist die Tatsache, dass das Buch ohne viel Pathos auskommt und eine große Schreibfreude ausstrahlt. Man merkt hier, dass das Buch für die Leser*innen geschrieben wurde und nicht etwa für Kritiker*innen bzw. das Feuilleton. Auch wenn sehr kluge Gedanken darin vorkommen und die Belesenheit des Autors an vielen Stellen durchblitzt, verschmelzen auch diese Inhalte ganz natürlich mit der authentischen Prosa, die hier verfasst wurde. So könnte ein 14-jähriger - bis auf kleine Abstriche (wie Goethe schon gesagt hat, etc.) - wirklich denken. Und natürlich weiß Schneider genau, was er tut: da kommen knufflige Omas mit auf den ersten Blick sehr fragwürdigen Hobbies vor und Menschen, die sich auf den zweiten Blick als anders erweisen, als sie es auf den ersten Blick schienen. Klar, solche Elemente kennt man aus vielen literarischen Werken, aber warum sollte man sie nicht nutzen, wenn man weiß, dass sie funktionieren?


Einen kleinen Kritikpunkt habe ich dennoch: Ich hätte mir gewünscht, dass die schon sehr seltsame Situation rund um Lotti aufgeklärt werden würde. Aber leider lässt der Autor uns - und auch Enno - diesbezüglich im Dunkeln. 


Nichtsdestotrotz ist dieser sympathische Roman eine große Empfehlung für alle Lesenden, die Coming-of-Age-Romane lieben und außerdem interessant für diejenigen, die Baden-Württemberg und die Gegend um Konstanz gut kennen oder sogar dort verwurzelt sind. 4,5 Sterne (aufgerundet) mit Herz.


Herzlichen Dank an Kröner Edition Klöpfer und Frank Holger Schneider für das Rezensionsexemplar!


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