Freitag, 7. November 2025

"Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels" von Vea Kaiser

 


Ein Roman zum Sattessen


“Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels” von Vea Kaiser, die Geschichte einer “Betrügerin aus Mutterliebe”, hat mich restlos begeistert und wunderbar unterhalten. Ganz besonders schön finde ich, dass der Verlag hier mal wieder einem umfangreichen zeitgenössischen Roman von 556 Seiten eine Bühne bereitet hat. Schön, dass Autor*innen mal wieder episch werden dürfen in unserer schnelllebigen Tik-Tok-Zeit, dass man auch mal die kleinen Details erwähnen kann, die das Leben ausmachen. Die Geschichte von Frau Moser wird ausführlich beschrieben und sie braucht diesen Raum, um die Lesenden auf ihre Seite zu ziehen.


Es geht eben um Angelika Moser, die wir im Wien der Achtziger Jahre kennenlernen, wo sie im Grandhotel Frohner als Buchhalterin anfängt. Sie ist Ende zwanzig, als wir sie zum ersten Mal während der Haupthandlung “treffen” und in ihren 60ern, als wir sie wieder verlassen. Wir erleben sozusagen Angelikas Aufstieg und Fall in der “Rushhour ihres Lebens”, in der Zeit, in der das Leben in die entscheidenden Bahnen gelenkt wird, hautnah mit. Eine wichtige Rolle spielen dabei ihre “Männergeschichten”, mal mehr mal weniger relevant - vom langweiligen Apotheker Berti über die Liebe ihres Lebens Freddy, künstlerischer Freigeist und Vater ihres Sohnes bis hin zu Julius Frohner, dem Jüngeren und Thomas, dem agilen Augenarzt. Konstanten in ihrem Sozialleben sind natürlich die Mutter Erna Moser, die sie als strenge Alleinerziehende im Gemeindebau (dem Veza-Canetti-Hof) großgezogen hat und natürlich die liebevolle Beziehung zu ihrem Sohn Sebastian, der schließlich der Grund ist, warum sie zur Verbrecherin wird.


Ich habe selten - eigentlich noch nie so realistisch - die Beschreibung der Mühsal gelesen, die es neben dem übervollen Tank an Liebe auch bedeutet, einen Säugling und später ein Kind zu haben. Die Problematik der frühen - also der gerade eben erst geschehenen - Mutterschaft - all die Schmerzen, all die Schlaflosigkeit, all die Selbstaufgabe und schließlich all die “großen Sorgen”, wenn die Kinder älter werden. Sehr gut gefallen haben mir auch die “autofiktionalen” Passagen, in denen Vea Kaiser wie ungefiltert über ihren langwierigen Schreibprozess am Roman berichtet bzw. über den der nicht namentlich genannten Autorin. Sie reflektiert darin auch über die Problematik schreibender Mütter, für die das Freischaufeln von schriftstellerischer Arbeitszeit mit einem Balance- und Kraftakt gleichzusetzen ist: “Wie soll man mit einem Kleinkind unauffällig recherchieren? Wo bringt man ein Kleinkind unter, um drei Monate lang im Rahmen eines Aufenthaltsstipendium konzentriert zu schreiben? Wie vereinbart man Schulpflicht mit Lesereisen?” (S.117)


Ein Roman wie das Leben, ein Roman voller Wiener Lebenslust und Todessehnsucht. Voller fetttriefender Debreziner, “Opernballleichen” und Wirtschaftskriminalität. Beeindruckend, welches Finanzwissen Vea Kaiser an den Tag legt. Beeindruckend, wie satt und schön und unterhaltsam sie erzählt. Hier muss wirklich kein/e Leser*in Hunger leiden. Absolute und uneingeschränkte Empfehlung.


Herzlichen Dank an Kiepenheuer & Witsch für das Rezensionsexemplar und die Gimmicks!


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