Donnerstag, 20. November 2025

"Über die Berechnung des Rauminhalts II." von Solvej Balle

 


Der unerbittliche 18. November


Heute ist der 20. November. Ich bin in der Zeit fortgeschritten, der 18. November liegt für mich schon zwei Tage zurück. Der 18. November ist für die meisten Menschen ein ganz normaler Tag, es sei denn, sie haben Geburtstag oder ein anderes wichtiges Ereignis an diesem Tag zu begehen. Nicht so für Tara Selter, die Protagonistin und Ich-Erzählerin aus “Über die Berechnung des Rauminhalts” von Solvej Balle. Für die belgisch-britische Französin, die von Beruf antiquarische Buchhändlerin ist, wiederholt sich der 18.11 immer und immer wieder, sie ist in einer Zeitschleife gefangen.


Seit ich letztes Jahr am 18.11 mit der Reihe angefangen habe, bin ich großer Fan und doch habe ich im Laufe des Jahres nicht mehr weitergelesen. Vier Bände des auf sieben Bände angelegten Werks sind bereits von Peter Urban-Halle für Matthes & Seitz Berlin vom Dänischen ins Deutsche übersetzt worden und trotz der Begeisterung habe ich erst jetzt wieder, an einem 18.11, zu Band II gegriffen. Es kam mir irgendwie falsch vor, nicht am oder um den 18.11 den “Rauminhalt” zu lesen. Gleichzeitig werde ich am 18.11, so oft der Tag auch für mich wiederkehren möge, keine andere Buchreihe, keinen anderen Roman lesen können als: “Über die Berechnung des Rauminhalts” von Solvej Balle.


Dabei wäre es - zumindest was Band II betrifft - eigentlich passend gewesen. Denn in diesem Buch versucht Tara aus der Gleichzeitigkeit ihrer Umstände, dem Immergleichen “ihres” 18. November auszubrechen und sie fängt quasi an, im 18.11 die Jahreszeiten zu suchen. Sie konstruiert sich künstlich das Zeitvergehen, das sie anhand von meteorologischen Markern festmacht, die den Jahreszeitenwechsel indizieren. Sie reist durch ganz Europa, um richtigen Winter mit Schnee (in Skandinavien), einen Frühling mit neugeborenen Schafen (in Süd-Cornwall), einen warmen Sommertag (in Südrankreich) und schließlich milde Frühherbsttage (im Rheinland) zu erleben.


Die Szene, wo sie mit ihren Eltern in Brüssel Weihnachten feiert, ist geradezu rührend. Wie sie selbst versucht, eine Illusion zu erzeugen, die Zeitschleife zu überlisten, indem sie den Christmaspudding mit ins Bett nimmt. Denn die Sachen in ihrem Bett neigen dazu, nicht zu verschwinden, so wie sie selbst auch ihre Erinnerungen an die täglich wiederkehrenden 18. November behält - nur alle anderen nicht. Wir lernen in diesem Band mehr über Taras Vergangenheit und ihre Weltsicht. Thomas, ihr Mann, der im ersten Band viel Raum eingenommen hat, wird nicht so oft erwähnt. Er bleibt in ihrem Haus in Frankreich, Tara trifft ihn nicht, sie denkt nur an ihn, wenn sie an Körperlichkeit und Glück denkt.


Ich habe wieder so viel angestrichen, mir so viel von dieser ruhigen, philosophischen Prosa merken wollen. Zum Beispiel die Resignation, das Akzeptieren, dass ihre Jahressimulation eine Farce war: “Vielleicht soll ich einfach in der Welt leben, wie sie ist, und akzeptieren, dass es keine Feiertage mehr gibt, kein Weihnachten, kein Neujahr, dass ich nie mehr Winter oder Frühling erleben werde, kein Ostern, keinen Sommer. Nur November. November.” (S. 142)


Ich weiß nicht, ob ich ein ganzes Jahr auf Buch III warten will. Nicht nach dem Cliffhanger am Ende. Wie soll ich es aushalten, dass mein 18. November sich nur einmal im Jahr wiederholt?



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