Dienstag, 3. März 2020

"Das kann uns keiner nehmen" von Matthias Politycki



Reisebericht und Roadtrip


"Das kann uns keiner nehmen” ist ein Buch, das den Leser mitnimmt auf eine emotionale Reise durch Afrika - und auch durch die Lebenserinnerungen zweier Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten…

Der eine, Tscharli, ist ein bärbeißiger Exil-Bayer (Miesbach und München hat er hinter sich gelassen) mit dem Aussehen eines verlebten Altrockers, teilweise reaktionären Ansichten und einem sehr sensiblen Kern. Er ist ein Alltagsphilosoph vor dem Herrn und kann mit seinen Sentenzen und seiner Weltanschauung niemals hinter dem Berg halten. Er sagt, was er denkt und tut, wonach ihm der Sinn steht. Er hat nämlich nichts mehr zu verlieren...

Der andere, Hans aus Hamburg oder wie ihn der Tscharli aufgrund seiner improvisierten Kopfbedeckung auch - erst despektierlich dann zunehmend liebevoll - nennt, "Windelhans", ist das Alter Ego des Autors. 63 ist er, das deckt sich sehr genau mit dem Jahrgang seines "Erfinders" Matthias Politycki (1955) zur Zeit der Handlung 2018. Genau wie der Ich-Erzähler hat dieser einen rasierten Schädel und ist - es liegt in der Natur der Sache - Schriftsteller. Sicher teilt der Protagonist auch die iberal-weltoffene Gesinnung mit seinem Autor und die Vorliebe für das Reisen, schließlich ist Polyticki als polyglotter Schriftsteller bekannt, dessen Bücher in den unterschiedlichsten Erdteilen und Kulturen angesiedelt sind. Bei allen Analogien ist der Ich-Erzähler als nicht deckungsgleich mit dem realen Autor zu betrachten. Beide trennen die Vornamen, die Gutmenschen-Hornbrille (auch eine Beobachtung des Tscharlie) und der Buch-Schriftsteller ist außerdem wesentlich weniger erfolgreich als der echte. Dass der Roman nur autobiographische Züge trägt, aber keine 1:1-Nacherzählung realer Erlebnisse ist, erfahren wir spätestens im Nachwort.

Beide Männer begegnen einander gleichsam "lebenszielabhakend" und bergsteigend auf dem Kibo, dem höchsten Gipfel des Kilimandscharo-Massivs. Als Zweckgemeinschaft erleben und überleben die schon etwas älteren Männer den Aufenthalt im afrikanischen Gebirge. Hier nähern sie sich an und hier beginnt ihre "Sekundenfreundschaft", wie der Tscharli es formuliert, die nicht längern dauern wird als eine Woche. Dennoch beeindruckt die Begegnung mit dem kranken Tscharli den Erzähler Hans so nachhaltig, dass er sogar ein Buch über die Geschichte schreiben möchte - mit dem dezidierten Segen vom Tscharli. Nach dem Abstieg folgt eine emotionale gemeinsame Reise, die die beiden Sinnsucher bis auf die Insel Sansibar und wieder zurück führt. Und auch in die eigene Vergangenheit werden die Männer noch einmal reisen - zu Kiki und Mara - bevor es Zeit wird, Abschied voneinander zu nehmen.

Das Buch hat einen gewissen Charme, der mich schnell um den Finger wickeln konnte, ähnlich wie der Tscharli den Hans. Von todtraurig bis lebensbejahend, von ernst bis skurril, humorlos bis albern hat diese Geschichte alle möglichen Nuancen zu bieten. Wer vielschichtige Reise- und Bekenntnisliteratur mag, der sollte sich diesen Roman nicht entgehen lassen!

Herzlichen Dank an Hoffmann und Campe und vorablesen für das Rezensionsexemplar!
Nähere Infos zum Buch: hier

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