Triggerwarnung: In diesem Roman geht es um Rassismus.
Hautfarbe ist eigentlich nur eine genetische Variation, so wie Augen- und Haarfarbe. Leider wird die Hautfarbe aber anders gesehen. Sie ist mit soziokultureller Bedeutung aufgeladen und Rassismus ist leider real und existent. Das war er auch schon so vor 200 und 100 Jahren, etc. Im Rahmen des “Black History Month” habe ich jetzt endlich ein Buch gelesen, das ich schon lange lesen wollte. Es macht den Rassismus im Amerika der 1920er Jahre so erfahrbar, wie ich es selten in der Literatur gelesen habe. Es handelt sich um “Passing” von Nella Larsen (1891-1964), eine Autorin, die in den Kreis der Autor:innen der “Harlem Renaissance” einzuordnen ist.
Wow, was für eine erzählerische Kraft steckt in diesem kleinen Büchlein, in diesem Kurzroman. Es geht um die Zugehörigkeit zu gesellschaftlichen Schichten und die Frage, ob es durch die Hautfarbe für immer determiniert ist, zu welcher dieser Schichten man gehört. Ist ein “Passing” also ein Wechsel auf die andere Seite möglich? Ist es im Amerika der 1920er Jahre (die Handlung spielt 1925/27, der Roman ist 1929 erschienen) für eine Person of Colour machbar, diesen Seitenwechsel in eine vermeintlich “bessere” Schicht zu vollziehen? Ist es der gesellschaftliche Aufstieg wirklich wert, die eigenen Wurzeln, die Community, in der man aufgewachsen ist und die einen geprägt hat, hinter sich zu lassen und die eigene Herkunft zu verleugnen?
Es geht um die beiden Kindheitsfreundinnen Clare und Irene, beide eher hellhäutige schwarze Frauen aus Harlem, New York. Während Irene einen schwarzen Arzt heiratet und in der Black Community von Harlem lebt, versucht Clare als weiß durchzugehen und heiratet einen weißen Mann aus Chicago. Clares Mann ist durch und durch Rassist und sie verschweigt ihm ihre wahre Ethnie. Die beiden Frauen treffen sich im Erwachsenenalter wieder und Clare möchte gern mit Irene befreundet sein. Die findet es aber schwierig, eine freundschaftliche Beziehung mit Clare aufzubauen, da sie sich ja für die Gesellschaft von weißen Menschen entschieden hat. Auch dass Clare ihrem Mann ihre wahre Herkunft verschweigt, wird immer mehr zu Irenes Problem und schließlich nimmt das Unglück seinen Lauf…
Der Rassismus in diesem Buch ist einfach erdrückend und schockierend. Es ist zum einen der Rassismus von Women of Colour, die gut situierte und in ihrem Beruf erfolgreiche weiße Männer geheiratet haben und nun ihr ethnisches Erbe hinter sich lassen wollen. Diese Frauen diskutieren beim Five o'Clock Tea darüber, wie schlimm es gewesen wäre, wenn ihre Kinder schwarz auf die Welt gekommen wären: “But, of course, nobody wants a dark child.” Und hat man diesen Schock gerade hinter sich als Leser:in, kommt auch schon der weiße Ehemann um die Ecke und begrüßt seine Frau vor ihren Freundinnen mit einem rassistischen Spitznamen (ohne ihre ethnische Herkunft zu kennen, einfach weil er findet, dass sie immer “dunkler” wird).
Nella Larsen ist eine beeindruckende Autorin. Ihre Protagonistinnen Clare und Irene sind trotz der Kürze des Romans fein ausgearbeitet und wären nicht die historischen Marker, hätte man wirklich das Gefühl, man würde einen modernen Roman lesen. Leider ist auch der Inhalt erschreckend aktuell, wenn man sich die politische Lage derzeit wieder anschaut und mit der Situation vor 100 Jahren vergleicht. In jedem Fall ist dieses Buch ein Appell an die Menschlichkeit und daran, die eigenen Stereotype (wenn man sie denn haben sollte), zu hinterfragen und den Rassismus endlich in die Mottenkiste der Vergangenheit zu verbannen.
“Passing” ist für mich ein wiederentdeckter Klassiker, den ich wirklich allen empfehlen kann, die sich mit (historischem) Rassismus auseinandersetzen wollen.
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