Seit ich mich mit Buchbloggen beschäftige, schaue ich mit Faszination und Skepsis auf den Hype um den japanischen Autor Haruki Murakami. Die glühende, nahezu kultische Verehrung, die ihm zuteil wird, ist ein Phänomen, das ich sonst nur aus der Literaturwissenschaft kenne, wo diese Verehrung bereits lange verstorbenen klassischen Autor*innen entgegengebracht wird. Aber Murakami erfreut sich mit seinen frisch 75. Jahren zum Glück bester Gesundheit, sein Gesamtwerk ist (wahrscheinlich) noch nicht abgeschlossen und auch die jedes Jahr im frühen Oktober aufflammende Hoffnung, dass er nun endlich den Nobelpreis für Literatur erhalten möge, ist bei seinen Anhänger*innen noch nicht erloschen. Ich persönlich hatte bis zu “Die Stadt und ihre ungewisse Mauer” noch nichts von ihm gelesen. Im Haus meiner Mutter, wo die Bücher von mir lagern, die ich nicht unbedingt um mich haben muss, gilbt eine an die 20 Jahre alte englische Taschenbuchausgabe von “Kafka am Strand” vor sich hin. Wahrscheinlich habe ich während meines Studiums mal gehört, dass der Autor gut sein soll und es dann einfach nicht weiterverfolgt.
Warum ich dann jetzt doch zum Bestseller und Hype-Buch des Jahres gegriffen habe? Die reine Neugier - und ein bisschen auch das omnipräsente Marketing sowie das Gefühl, ich könnte die beste Literatur des Jahres verpassen. Eigentlich wollte ich das Buch nach dem Kauf noch etwas länger auf dem SUB lassen, doch meine Tochter wollte unbedingt meine nächste Lektüre auswählen und wurde von dem pastellfarbenen Cover mit der schwarzen Schrift nahezu magisch angezogen. Und um Magie geht es ja auch in diesem Werk, wo das Irrationale zwischen dem Rationalen wie ein Fluss in seinem natürlichen Lauf hindurchfließt. Dieser Roman ist wie ein einziger großer surrealistischer Traum. Einer, den jemand bis ins kleinste Detail erinnert und aufgeschrieben hat. Nicht umsonst geht es ja in der Handlung um Traumleser und ein Archiv der Träume. Das Buch ist so vieles. Es ist kryptisch, skurril, kafkaesk, philosophisch, magisch, surreal. Es ist romantisch und melancholisch. Und noch so viel mehr.
Ich muss sagen, es hat ein wenig gedauert, bis ich mich in die Geschichte “reingefuchst” habe. Die imaginierte bzw. geträumte Story mit der Stadt innerhalb der Mauer wirkte auf mich sehr skurril und auch ein wenig befremdlich. Die Sache mit den Schatten trug noch mehr zu meiner Verwirrung bei, die Handlung in der Stadt ist eine einzige große Wiederholung und man hat das Gefühl, man würde sich zusammen mit den Figuren durch Wackelpudding bewegen. Ich dachte also schon: Murakami und ich, das wird nichts. Je mehr aber der Erzählstrang des Ich-Erzählers auf der “realen” Ebene ausgearbeitet wurde, desto mehr hat mir das Gelesene gefallen. Bei Teil II hatte mich dann der Sog erwischt und ich legte das Buch immer widerwilliger zur Seite. Das Ineinandergreifen von Magie und Realismus hat mich überzeugt und ich verstand immer mehr, warum Murakami so geliebt und verehrt wird.
Was mir auch sehr gefallen hat, war die Intertextualität und die vielen Metaebenen, die der Roman vorweisen kann. Murakamis Bücher werden ja häufig mit der Gattungszuschreibung “Magischer Realismus” in Verbindung gebracht. Gegen Ende des Romans (S. 557f) verwendet der namenlose Ich-Erzähler den Begriff quasi selbstreferenziell in Bezug auf “Die Liebe in Zeiten der Cholera” von Gabriel García Márquez, das seine Freundin aus dem Coffeeshop liest. Da der Ich-Erzähler als Buchhändler bzw. später als Bibliothekar arbeitet, kommen solche Referenzen häufig vor und auch literarische Vorbilder von Murakami, wie z.B. Kafka, werden im Laufe der Handlung erwähnt.
Und aus diesen Grund möchte ich diesen Leseeindruck - denn eine fundierte Rezension dieses 631 Seiten starken, von Ursula Gräfe kongenial übersetzten Werks traue ich mir nicht zu, da ich einfach keine Murakami-Kennerin bin - mit den Worten eines Dichters abschließen. Murakami hat seinem Roman ein Zitat aus “Kubla Khan” von Samuel Taylor Coleridge vorangestellt. Seltsamerweise habe ich auch oft, während ich den Roman gelesen habe, an ein Gedicht von Coleridge denken müssen. Dieses Gedicht ist für mich die Essenz dessen, welches Gefühl es erzeugt, “Die Stadt und ihre ungewisse Mauer” zu lesen und zu verinnerlichen.
What if you slept
And what if
In your sleep
You dreamed
And what if
In your dream
You went to heaven
And there plucked a strange and beautiful flower
And what if
When you awoke
You had that flower in your hand
Ah, what then?
(Samuel Taylor Coleridge)
Bin ich jetzt auch Murakami-Fan? Jein. Ich glaube nach diesem Roman bin ich erstmal vorsichtig interessiert, mehr von ihm zu lesen.
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