Mittwoch, 24. April 2024

"The Dangerous Kingdom of Love" von Neil Blackmore


Seid ihr interessiert am Genre “Queer Historical Novel”, in dem queere Charaktere und ihre Lebenswelten im historischen Kontext erzählerisch ausgearbeitet werden? Liebt ihr es, die Intrigenspiele an Königshäusern aus fernen Jahrhunderten so hautnah mitzubekommen, als wärt ihr eine Maus unter einem brokatbesetzten Mantel eines verschlagenen Höflings? Mögt ihr vielschichtige Ich-Erzähler:innen und Protagonist:innen, die die Leser:innen ansprechen und sie zu Kompliz:innen machen? Mögt ihr augenzwinkerndes, humorvolles Erzählen, was aber dennoch nachdenklich macht? Ihr lest gerne auf Englisch bzw. euch macht es nichts aus, wenn ein englischsprachiges Buch noch nicht ins Deutsche übersetzt wurde?

Wenn ihr nun all diese Fragen mit “ja” beantwortet habt, dann schnappt euch “The Dangerous Kingdom of Love” von Neil Blackmore und fangt an zu lesen.

Der Roman beruht - zumindest was den Großteil seines historischen Personals betrifft - auf wahren Tatsachen. Wir schreiben zunächst das Jahr 1613. Der Ich-Erzähler dieses Romans ist niemand geringeres als Francis Bacon (1561-1626), englischer Philosoph, Staatsmann und Schriftsteller. Bereits in der “Author's Note” schwärmt selbiger in höchsten Tönen von seinem schlagfertigen Protagonisten und Ich-Erzähler: “Oh, and Francis Bacon changed the world." And he changed your life.” Welche modernen Errungenschaften auf Bacon zurückgehen, kann man im Internet nachlesen. Aber zurück zum eigentlichen Plot: Bacon ist am Hof von König James (Jacob) I. als Staatsbeamter und königlicher Berater hoch angesehen. Doch mehr Einfluss auf den homosexuellen König als Bacon hat dessen Günstling und Liebhaber, der Höfling Robert Parr. Was ein offenes Geheimnis ist: Der unverheiratete Bacon ist selbst dem eigenen Geschlecht zugeneigt. Als Parr vom König mit der adeligen Frances Howard verheiratet wird, verlässt er auch James’ Bett, nimmt aber weiterhin Einfluss am höfischen Geschehen. Die verschmähte Königin Anne und ihr Vertrauter Bacon schmieden ein Komplott: Sie wollen einen neuen - jungen und wunderschönen - Günstling für das Schlafgemach des Königs. Dieser wird nicht schnell aber schließlich doch gefunden: George Villiers, der Sohn eines Landadeligen, soll den Platz von Robert Carr einnehmen. Doch als Bacon den jungen Mann kennenlernt, befördert er George nicht nur an die Seite des Königs, sondern auch noch direkt in sein eigenes Herz…

Im Roman geht es vor allem darum, am Beispiel von Bacon aufzuzeigen, wie schwierig das Leben für queere Menschen in früheren Jahrhunderten war. S*x war zwar zu bekommen, aber jedes Mal mit vielen Gefahren verbunden. Auch Bacon riskiert im Roman fast sein Leben, als er die schnelle Befriedigung eines körperlichen Bedürfnisses sucht. An Liebe oder eine Beziehung zwischen Menschen des gleichen Geschlechts war nicht mal zu denken. Schließlich riskierte man, wenn man als “Sodomite” angeklagt wurde, die Verurteilung und sichere Hinrichtung. Deshalb nennt Bacon die Liebe ein “gefährliches Königreich”. Als er sich in George verliebt, phantasiert dieser, wie es wäre, wenn sie heterosexuelle Eheleute wären, ein einfacher “country husband and his wife”. Und tatsächlich ist es auch diese “Kuschelszene”, in der George diese Phantasie gesteht, die die Leser:innen mitten ins Herz treffen dürfte. Zwar durfte sich der König einen Liebhaber halten (er war der König), aber selbst für einen Staatsmann wie Bacon war eine Offenbarung der eigenen Homosexualität ein Ding der Unmöglichkeit. 

Bei aller Tragik, bei allen Intrigen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (es gibt sogar ein Mordkomplott), die in diesem Buch beschrieben werden, vermittelt uns Blackmores Version von Bacon seine Geschichte in einem augenzwinkernd-selbstironischen Ton. Es gibt in diesem Roman Sätze, die haben fast schon das Niveau eines Aphorismus von Oscar Wilde, wenn Blackmore sie nicht bei ihm geklaut hat (“You never expect beautiful people to be funny.” S. 122). Außerdem werden die historischen Persönlichkeiten nicht wenig durch den Kakao gezogen. So ahmt Blackmore (Bacon) den schottischen Slang von James I. (“Beicon, there ye fucking are!”, S. 11) so herrlich nach, dass ich innerlich oft Tränen gelacht habe. Als Shakespeare-Fan kann ich allerdings Bacons Abneigung gegen den “Bard” nicht teilen. Shakespeare wird bei ihm als wenig schlagfertiger Bühnenschreiberling dargestellt, sein Zeit- und Berufsgenosse Ben Johnson kommt da schon etwas besser weg.

Dieser historische Roman ist einfach ein Wechselbad der Gefühle mit einem ganz starken Protagonisten und Ich-Erzähler. Um es auf Englisch zu sagen (weil das auf Deutsch ziemlich merkwürdig klingen würde): I very much enjoyed myself while reading it. I hope you do, too.

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