Freitag, 16. August 2024

"Holding her breath"

Irische Literatur ist in Deutschland gerade ein bisschen “in” habe ich das Gefühl. Dabei kommt es mir vor, als würde gar nicht mehr so sehr auf das Werk und seine Qualität geachtet werden, sondern nur auf das Prädikat “Made in Ireland”. Jedenfalls wundere ich mich bei all der deutschen Irland-Verehrung derzeit, dass der Debütroman “Holding her breath” von Eimear Ryan - immerhin schon 2021 bei Penguin UK erschienen - noch nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Denn dieser Roman ist großartig. 

In diesem wirklich besonderen Gegenwartsroman geht es um die zwanzigjährige Beth, die in Dublin gerade ihr Psychologiestudium begonnen hat. Sie ist leidenschaftliche Schwimmerin und war sogar auf dem Weg zu Olympia. Warum das nicht geklappt hat, will ich hier nicht spoilern. Jedenfalls ist Beth die Enkelin des (fiktiven) irischen Dichters Ben(jamin) Crowe, der sich in den 1980er Jahren mit 43 das Leben genommen hat, indem er von den Klippen ins Meer sprang. Das war lange vor der Geburt von Beth, die bis zu ihrem Unistart in einem kleinen Haus mit ihrer Mutter Alice und Ben's Witwe Lydia, die Nachlassverwalterin ihres Mannes, zusammenlebte. An der Uni wohnt sie mit Sadie zusammen, die Literaturwissenschaft studiert. Über sie Iernt sie den jungen Anglistik-Dozenten Justin Kelleher kennen. Sein Spezialforschungsgebiet ist ausgerechnet das lyrische Werk von Ben Crowe. Beth und Justin kommen sich näher und dabei stellt sich natürlich die Frage: Ist Justin wirklich an Beth als Mensch interessiert oder nur an ihren Genen und dem Nachlass ihres Großvaters? Und welche Vorkommnisse aus der Vergangenheit versucht ihre Großmutter vor ihr zu verbergen?

Wenn ich ein Motiv in der Literatur besonders liebe, dann sind das Wissenschaftler:innen, die ein bisschen zu sehr verliebt sind in ihr Forschungsthema. Wenn sich diese, ich nenne es mal Besessenheit, auf einen Schriftsteller bzw. Schriftstellerin bezieht, dann ist das ein Trope, den ich immer gern gelesen habe. Meisterhaft wurde er ausgeführt in A. S. Byatts “Possession” (dt. “Besessen”) und an dieses Buch hat mich “Holding her breath” auch in manchen Passagen etwas erinnert, auch das Motiv nicht bis zur Gänze ausgeführt wird.

Aber nicht nur die Tatsache, dass es um einen Dichter und seinen Nachlass geht, hat mich von diesem Roman überzeugt. Beth ist auch eine ganz starke Protagonistin. Die Autorin schafft es durch die Vermittlung ihrer Gedanken eine unglaubliche Intimität herzustellen, die eine besondere Nähe zwischen der Hauptfigur und den Lesenden erzeugt. Aber auch die Nebenfiguren sind sehr interessant und auf ihre Weise nahbar. Lydia, die dominante Schriftsteller-Witwe und selbst Autorin, hat mich an Virginia Woolf erinnert. Und auch Julie mochte ich sehr in ihrer Verletzlichkeit. Die Sache mit Justin gibt dem Ganzen einen leichten “Dark Academia-Touch”, obwohl sie letztlich sehr unspektakulär aufgelöst wird.

Dieses Buch ist eine Mischung aus Sportlerinnendrama, Campus-Novel, Liebesgeschichte(n), Coming- of-Age und Künstler:innenroman. Es geht zudem um transgenerationale Traumata und deren Überwindung sowie darum, wie uns die Erlebnisse unserer Vorfahren prägen und beeinflussen. Ein Buch, von dem ich relativ sicher bin, dass ich es ein zweites Mal lesen werde und über das ich traurig bin, weil ich es nie mehr zum erste Mal werde lesen können. Hervorragend!

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