Ich hatte keine allzu hohen Erwartungen als ich an dieses
Buch herangegangen bin. Die Beschreibung bei vorablesen.de klang interessant –
es sollte um das Lesen und um Italien gehen sowie um ein Mädchen, das durch die
organisierte Kriminalität dazu gezwungen wird unterzutauchen – und die
Leseprobe war auch nach meinem Geschmack. Dennoch habe ich nicht viel mehr erwartet
als einen soliden Roman. Letztlich hat sich das Buch aber als kleines Juwel
herausgestellt. Obwohl ich es bei dem schweren Thema nicht erwartet hatte liest
sich dieser Roman mit einer Leichtigkeit als würde man ein Dessert essen.
Margherita Oggero, von der bereits zwei Krimis ("Mord zum Aperitivo" und "Espresso mit Todesfolge") im Piper-Verlag auf Deutsch
erschienen sind, war mir vorher leider kein Begriff, aber ich bin sehr froh
dass sich das jetzt geändert hat.
„Der Duft von Erde und Zitronen“ ist ein erzähltes
Familienpanorama! Es geht um die Mitglieder einer italienischen Familie (mit
Angeheirateten und „über-5-Ecken-Verwandten“) und ihre jeweilige Geschichte.
Zwischendrin ist immer wieder die Ich-Erzählung der Protagonistin Imma
geschaltet, die fernab ihrer süditalienischen Heimat bei einer Nenn-Tante
inkognito leben muss, weil sie unfreiwillig mit der Mafia in Kontakt gekommen ist:
sie hat den Sohn des örtlichen Mafia-Paten mit einem Stein attackiert, nachdem
dieser sie vergewaltigen wollte. Mit dem Gedanken ihn erschlagen zu haben muss
sie im Norden Italiens bei Rosaria untertauchen. Auch deren
Hintergrundgeschichte erfährt der Leser nach und nach. Imma ist mit ihren 13
Jahren bereits schwer vom Schicksal gezeichnet: die Mutter (Melina) wurde vom
untreuen Vater verlassen und starb früh bei einem Autounfall, den Imma mit
ansehen musste. Auch von einem grausamen Verbrechen wurde die träumerische Jugendliche Zeugin, verübt ausgerechnet
von dem Mann, der ihr eigener Peiniger werden sollte…
Das Buch wurde als ein Roman verkauft, in dem es um das
Lesen geht und darüber, wie es einem aus einer schlimmen Lebenssituation qua
Eskapismus hinweghelfen kann. Ich würde sagen: es geht auch darum, aber nicht
an erster Stelle. Imma verliebt sich am Ort ihres Exils in einen Studenten, der
für seinen Onkel Bücher auf dem Markt verkauft. Auf Nachfrage nach ihren
Lektürevorlieben sagt sie, dass sie Bücher über Kinder bzw. Jugendliche lesen möchte,
die eingesperrt sind und sich stark angesichts ihren harten Schicksals
verhalten. So kommt sie in Kontakt mit Anne Frank und Oliver Twist, aber auch
mit Guy Montag, dem es in „Fahrenheit 451“ verboten ist zu lesen und der es
trotzdem tut. Auch Immas Lesen ist zunächst geheim, hat sie doch von Zuhause
nur Schulbücher mitgebracht und eigentlich darf sie nicht nach draußen (die
neuen Bücher würden verraten, dass sie doch rausgegangen ist). Sie liest die
Bücher und holt sich immer wieder Nachschub von Paolo.
Nebenbei wird die Geschichte Immas und ihrer Familie
erzählt, der Leser erfährt immer mehr Details und kann sich aus der Rückschau
ein kompletteres Bild machen.
Mir ist aufgefallen, dass das Buch weitaus weniger
pathetisch ist, als es vermarktet wurde. Es ist von einem warmen Humor durchsetzt
und stellt die Lebenswirklichkeit der Personen so dar dass es nie artifiziell
oder konstruiert wirkt. Das ist für mich die absolute Stärke dieses Buches –
weniger der scheinbarere Überbau (Emanzipation, Lektüre als Befreiung). Man
fühlt sich in diese italienische Familie und ihr Umfeld hinein, kann mit ihr
lachen und weinen ist nicht zuletzt entsetzt über die tatsächliche Allmacht der
mafiösen Strukturen, die den italienischen Süden wie ein starres Korsett
umschließen. Italienische Tradition (Familie steht an erster Stelle, die
Schönheit des Landes, kulinarische Highlights, die Mafia) und globalisierte
Moderne (Jobs in anderen Ländern, die Zerstreuung von Familien durch Mobilität
und der hohe Einfluss der Technik) prallen aufeinander in diesem Roman. Hier
wird Gegenwart erzählt und spürbar gemacht.
Man merkt zwar, dass Oggero eine Kriminalautorin ist, denn
Mord, Tod und Totschlag spielen eine große Rolle. Dennoch durchzieht das Buch
der Gedanke, dass man sich davon nicht einschüchtern lassen darf und das Leben
feiern wo es geht – sei es durch Essen, Familie, Lektüre oder die
bedingungslose Liebe eines Hundes.
Fazit: Ein einnehmender Roman voller Lebenswirklichkeit und
Wärme, den ich jedem ans Herz legen möchte!
Meine Ausgabe:
Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt (DVA)
Originaltitel: L’oro di pietra
Erscheinungsjahr der Ausgabe: 2012
Erstausgabe: 2011
Seiten: 320
ISBN: 978-3421045539
Hallo Vicky,
AntwortenLöschendas ist eine tolle Rezension, danke dir!
Ich wollte dieses Buch auch unbedingt bei Vorablesen gewinnen, aber ich hatte kein Glück.
Durch deine Rezension bin ich jetzt aber in der Versuchung es mir gleich zu kaufen.
Deinen Blog finde ich übrigens sehr schön. Besonders gefallen mir deine Bilder zu den Buchrezis. Bin gleich mal Leserin geworden :-D.
Werde jetzt also öfter mal vorbei schauen.
Viele Grüße
Niesie
(http://niesieable.blogspot.de/)
Oh, hallo Niesie! Das freut mich aber, danke :) Das Buch ist wirklich gut - ich muss mir unbedingt auch die anderen von der Autorin anschauen.
AntwortenLöschenIch schau auch gleich mal bei dir vorbei!
Liebe Grüße
Vicky