Sonntag, 6. Mai 2012

"Der Duft von Erde und Zitronen" von Margherita Oggero


Ich hatte keine allzu hohen Erwartungen als ich an dieses Buch herangegangen bin. Die Beschreibung bei vorablesen.de klang interessant – es sollte um das Lesen und um Italien gehen sowie um ein Mädchen, das durch die organisierte Kriminalität dazu gezwungen wird unterzutauchen – und die Leseprobe war auch nach meinem Geschmack. Dennoch habe ich nicht viel mehr erwartet als einen soliden Roman. Letztlich hat sich das Buch aber als kleines Juwel herausgestellt. Obwohl ich es bei dem schweren Thema nicht erwartet hatte liest sich dieser Roman mit einer Leichtigkeit als würde man ein Dessert essen. Margherita Oggero, von der bereits zwei Krimis ("Mord zum Aperitivo" und "Espresso mit Todesfolge") im Piper-Verlag auf Deutsch erschienen sind, war mir vorher leider kein Begriff, aber ich bin sehr froh dass sich das jetzt geändert hat.

„Der Duft von Erde und Zitronen“ ist ein erzähltes Familienpanorama! Es geht um die Mitglieder einer italienischen Familie (mit Angeheirateten und „über-5-Ecken-Verwandten“) und ihre jeweilige Geschichte. Zwischendrin ist immer wieder die Ich-Erzählung der Protagonistin Imma geschaltet, die fernab ihrer süditalienischen Heimat bei einer Nenn-Tante inkognito leben muss, weil sie unfreiwillig mit der Mafia in Kontakt gekommen ist: sie hat den Sohn des örtlichen Mafia-Paten mit einem Stein attackiert, nachdem dieser sie vergewaltigen wollte. Mit dem Gedanken ihn erschlagen zu haben muss sie im Norden Italiens bei Rosaria untertauchen. Auch deren Hintergrundgeschichte erfährt der Leser nach und nach. Imma ist mit ihren 13 Jahren bereits schwer vom Schicksal gezeichnet: die Mutter (Melina) wurde vom untreuen Vater verlassen und starb früh bei einem Autounfall, den Imma mit ansehen musste. Auch von einem grausamen Verbrechen wurde die  träumerische Jugendliche Zeugin, verübt ausgerechnet von dem Mann, der ihr eigener Peiniger werden sollte…

Das Buch wurde als ein Roman verkauft, in dem es um das Lesen geht und darüber, wie es einem aus einer schlimmen Lebenssituation qua Eskapismus hinweghelfen kann. Ich würde sagen: es geht auch darum, aber nicht an erster Stelle. Imma verliebt sich am Ort ihres Exils in einen Studenten, der für seinen Onkel Bücher auf dem Markt verkauft. Auf Nachfrage nach ihren Lektürevorlieben sagt sie, dass sie Bücher über Kinder bzw. Jugendliche lesen möchte, die eingesperrt sind und sich stark angesichts ihren harten Schicksals verhalten. So kommt sie in Kontakt mit Anne Frank und Oliver Twist, aber auch mit Guy Montag, dem es in „Fahrenheit 451“ verboten ist zu lesen und der es trotzdem tut. Auch Immas Lesen ist zunächst geheim, hat sie doch von Zuhause nur Schulbücher mitgebracht und eigentlich darf sie nicht nach draußen (die neuen Bücher würden verraten, dass sie doch rausgegangen ist). Sie liest die Bücher und holt sich immer wieder Nachschub von Paolo.
Nebenbei wird die Geschichte Immas und ihrer Familie erzählt, der Leser erfährt immer mehr Details und kann sich aus der Rückschau ein kompletteres Bild machen.

Mir ist aufgefallen, dass das Buch weitaus weniger pathetisch ist, als es vermarktet wurde. Es ist von einem warmen Humor durchsetzt und stellt die Lebenswirklichkeit der Personen so dar dass es nie artifiziell oder konstruiert wirkt. Das ist für mich die absolute Stärke dieses Buches – weniger der scheinbarere Überbau (Emanzipation, Lektüre als Befreiung). Man fühlt sich in diese italienische Familie und ihr Umfeld hinein, kann mit ihr lachen und weinen ist nicht zuletzt entsetzt über die tatsächliche Allmacht der mafiösen Strukturen, die den italienischen Süden wie ein starres Korsett umschließen. Italienische Tradition (Familie steht an erster Stelle, die Schönheit des Landes, kulinarische Highlights, die Mafia) und globalisierte Moderne (Jobs in anderen Ländern, die Zerstreuung von Familien durch Mobilität und der hohe Einfluss der Technik) prallen aufeinander in diesem Roman. Hier wird Gegenwart erzählt und spürbar gemacht.

Man merkt zwar, dass Oggero eine Kriminalautorin ist, denn Mord, Tod und Totschlag spielen eine große Rolle. Dennoch durchzieht das Buch der Gedanke, dass man sich davon nicht einschüchtern lassen darf und das Leben feiern wo es geht – sei es durch Essen, Familie, Lektüre oder die bedingungslose Liebe eines Hundes.

Fazit: Ein einnehmender Roman voller Lebenswirklichkeit und Wärme, den ich jedem ans Herz legen möchte!
 
Meine Ausgabe:
Originaltitel: L’oro di pietra
Erscheinungsjahr der Ausgabe: 2012
Erstausgabe: 2011
Seiten: 320
ISBN: 978-3421045539


2 Kommentare:

  1. Hallo Vicky,

    das ist eine tolle Rezension, danke dir!
    Ich wollte dieses Buch auch unbedingt bei Vorablesen gewinnen, aber ich hatte kein Glück.
    Durch deine Rezension bin ich jetzt aber in der Versuchung es mir gleich zu kaufen.
    Deinen Blog finde ich übrigens sehr schön. Besonders gefallen mir deine Bilder zu den Buchrezis. Bin gleich mal Leserin geworden :-D.
    Werde jetzt also öfter mal vorbei schauen.

    Viele Grüße
    Niesie
    (http://niesieable.blogspot.de/)

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  2. Oh, hallo Niesie! Das freut mich aber, danke :) Das Buch ist wirklich gut - ich muss mir unbedingt auch die anderen von der Autorin anschauen.
    Ich schau auch gleich mal bei dir vorbei!
    Liebe Grüße
    Vicky

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