Samstag, 11. November 2023

"Sisi" von Karen Duve


Karen Duve wollte eigentlich einen Roman über Pferde schreiben. Nun ist es aber ein Roman über die berühmteste Pferdenärrin der Geschichte geworden: Kaiserin Elisabeth von Österreich, Königin von Ungarn, genannt Sisi (1837-1898). In “Sisi” bekommen wir einen Ausschnitt des Lebens der Kaiserin gegen Ende der 1870er Jahre erzählt. Sie ist mit Mitte/Ende dreißig bereits mehrfache Großmutter durch ihre älteste Tochter Gisela und hat panische Angst vor körperlichem Verfall. In Wien und bei ihrem Gatten Kaiser Franz Joseph fühlt sie sich unwohl, viel lieber ist sie zu Besuch auf Jagdschlössern in England oder ihrem ungarischen Landsitz Gödöllő, wo sie ihrer Pferde- und Reitleidenschaft fast ungestört frönen kann.

Auch ich war immer fasziniert von Kaiserin Sisi, ihrer Anmut, Eleganz und Schönheit. Hat man aber diesen Roman gelesen, fallen einem eigentlich nur noch negative Zuschreibungen für sie ein. Eine überaus anstrengende Diva, die vor allem auf ihren eigenen Vorteil bedacht war. Wehe dem, der nicht in ihrer Gunst stand, sei es Adeliger, Höfling oder sogar ihre eigenen drei überlebenden Kinder, von denen sie eigentlich nur Erzherzogin Valerie vergötterte und die anderen mied, wo es nur ging. Im Roman entwickelt sie eine enge Verbindung mit ihrer Nichte Marie Sophie, die sie allerdings am Ende auch in eine Konvenienzehe mit einem schlesischen Grafen zwingt.

Im Roman steht unter anderem Sisis Leidenschaft für Tiere, speziell Pferde und große Hunde, im Mittelpunkt. Zwischen den Zeilen der Handlung kann man ein flammendes Plädoyer für den Tierschutz herauslesen. Die Tierquälereien der Aristokratie und Oberschicht des 19. Jahrhunderts werden schonungslos angeprangert, indem sie überhaupt thematisiert werden. Da wäre zum einen die nicht-artgerechte Haltung von exotischen Tieren. Der Jagd- und Reitsport an sich ist schon fragwürdig, damals wurden die Pferde aber ohne Skrupel über teils unüberwindbare Hindernisse gehetzt. Ihnen wurden absichtlich Verletzungen zugefügt, um sie gefügig zu machen. Dass Tiere auch heute noch stark unter dem Menschen leiden müssen, ist ein trauriger Fakt. Zumindest sind die brutalen Fuchs- und Treibjagden, die Kaiserin Sisi und ihr Gefolge mit großem Vergnügen betrieben haben, in England seit 2004 verboten.

Duves Text besticht nicht durch Sprachpoesie oder Wortmagie. Und doch hat er mich total durch seinen bodenständigen Realismus von sich eingenommen. Ich hatte zu fast jedem Zeitpunkt das Gefühl, dass es genau so gewesen sein könnte. Und tatsächlich hat sich die Autorin ausführlichst mit historischen Quellen auseinandergesetzt, um ihre Figuren möglichst authentisch darzustellen. Eine dieser Quellen sind die Lebenserinnerungen der Hofdame Marie Gräfin Festitics de Tolna, die auch als Figur im Roman eine wichtige Rolle spielt. Teilweise wurden Zitate wörtlich oder fast wörtlich in die Handlung mit eingeflochten. Im Anhang präsentiert Duve ein beachtliches Verzeichnis der benutzten Literatur und Quellen. Sie hat gründlichst recherchiert und das merkt man diesem Buch, das schon mehr erzählendes Geschichtsbuch ist als Roman, auf jeder Seite an.

Dieser Ausschnitt aus dem Leben der legendären Kaiserin war sehr spannend und interessant zu lesen. Durch die schonungslose und hervorragend recherchierte Offenlegung ihres Charakters dürften aber alle Sisi-Fans auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. Sehr lesenswert.

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