Heute ist Weltmännertag. Passend dazu gibt es einen sehr männlichen Klassiker von einem Mann über einen Mann. Einen Mann, der Rache übt an denen, die ihm Unrecht getan haben. Ein Phönix aus der Asche des Elends.
Meine nachfolgenden Gedanken zu "Der Graf von Monte Christo" sollen weniger eine Rezension, als eine Sammlung von einigen Gedanken sein, die ich beim Lesen dieses Wälzers von 933 eng bedruckten Seiten hatte.
"Rache ist süß", sagt man. Kein Werk der Literaturgeschichte wird so sehr mit dem Thema "Rache" assoziiert wie "Der Graf von Monte Christo". Das Thema ist perfekt umgesetzt und wird von Anfang bis zum Ende durchgezogen.
Meine erste These ist provokant: "Der Graf von Monte Christo" ist die französische Seifenoper des 19. Jahrhunderts.
Man muss sich das so vorstellen: Das, was uns heute als Roman vorliegt, wurde als Fortsetzungsroman in Zeitungen gedruckt. Dumas musste seine Leser*innen bei Laune halten und das gelang nicht durch Philosophiererei oder endlose Naturbeschreibungen. Action war angesagt bzw. Handlung, Handlung und nochmals Handlung. Ein Zeitgenosse soll gesagt haben: "Muss man bei Dumas denken? Selten. Träumen? Niemals. Seiten umwandeln? Immer." So steht es auf dem Klappentext meiner Ausgabe aus dem @aufbauverlag, die leider nur noch antiquarisch erhältlich ist. Ich mag die moderne Covergestaltung mit dem angeschnittenen Portraitfoto sehr gerne.
Wenn es im "Grafen" nicht um das Hauptthema oder um Leben,Tod oder die Liebe geht, geht es um Geld. Da wird man mit Werten wie 100 000, 30 000, etc. Franken (Francs) konfrontiert und muss sich dann überlegen, wie viel das wohl Mitte des 19. Jahrhunderts in etwa war. Millionär zu sein war aber wohl auch damals gut. Es geht ums Geschäft, männlich halt. Jeder BWLer sollte diesen Roman gelesen haben. Einen Klassiker? Ja. Einen Klassiker männlicher Misswirtschaft, dummer, ja verbrecherischer Entscheidungen und eines reichen Mega-Entrepreneurs, der sich selbst aus der Insolvenz gerissen hat. Ok, nicht ganz selbst, sondern mit Hilfe eines Intellektuellen. Eines Intellektuellen? Ja, genau. Des Abbé Faria. Der hat sich sein Vermögen "erdacht" und es war doch real. Er wollte sich die Freiheit mit den Früchten seiner intellektuellen Macht erkaufen. Am Ende hat es ihm nichts genützt, sondern einem anderen, viel jüngeren Mann: Edmond Dantès. Klingt verrückt. Ist es auch. Aber lest selbst.
Die von mir gelesene deutsche Übersetzung aus dem Aufbau-Verlag ist von 1955. Ein/e Übersetzer*in wird nicht genannt. Es gibt kein Vor- oder Nachwort, keine Fußnoten, die eine historische Einordnung vornehmen oder sonstige Erläuterungen hätten liefern können. Ich war also bei der Lektüre ganz auf mich allein gestellt, was das Textverständnis betrifft. Dringend gebraucht hätte ich ein Personenverzeichnis oder ein Beziehungsdiagramm. Beides gibt es im Internet, allerdings sind diese mit Spoilern (XY tötet Z, A heiratet B, etc.) behaftet und deswegen wollte ich während der Lektüre auch nicht darauf zurückgreifen. Es kommen einfach sehr viele Personen vor, die dann teilweise auch noch anders heißen und dadurch war es für mich oft schwer, den Überblick zu behalten. Die Übersetzung an sich ist zwar etwas antiquiert, aber durchaus angenehm und lesbar. Schade dass der/die Übersetzer*in nicht mehr zu ermitteln ist.
Sieht man sich Portraits von Alexandre Dumas an, so fallen zumindest mir zwei Adjektive ein, die ihn beschreiben: gut gelaunt, gemütlich. Dass er Sinn für Humor hat, wird auch im "Graf von Monte Christo" mehr als deutlich. Witz und Ironie blitzen mehrmals durch die Fassade des auktorialen Erzählers durch. Vor allem die letzten Szenen mit Danglars haben mir das ein oder andere Schmunzeln entlockt.
Intertextualität: Dumas kannte die zeitgenössische Literatur und natürlich auch die Klassiker. Er ließ es sich nicht nehmen hie und da die ein oder andere literarische Referenz einzustreuen. Seitenhiebe auf Philosophen wie Rousseau sind mir aufgefallen und folgende literarische Verweise: Shakespeares Pyramus und Thisbe aus "Ein Sommernachtstraum" wird in einer Szene dramatisch zitiert, auch "Hamlet" wird erwähnt. Auf literarische Sonderlinge wie Manfred von Lord Byron oder Lord Ruthven aus John Polidoris "The Vampyre" weist Monte Christo selbstreferentiell hin (S. 688). Außerdem zitiert er Laurence Sterne und erwähnt Don Quichotte.
Die Hauptfigur Edmond Dantès aka "der Graf von Monte Christo": Hier stellt sich mir, aus der Perspektive des Jahres 2023 unweigerlich die Frage: Darf man einen Protagonisten "gut" finden, der Menschenhandel betreibt und "Sklaven" hält (auch wenn er diese Menschen "rettet" und "gut" behandelt)? Der rassistische Begriffe unreflektiert äußert? Der Selbstjustiz aufgrund kapitalistischer Macht betreibt? Dumas hat jedenfalls einen trotz aller dieser fragwürdigen Eigenschaften sehr modernen Helden geschrieben, der durch sein Charisma auch heute noch begeistern kann. Ich kann es nicht anders sagen. Dennoch bin ich froh, dass das Buch zu Ende ist. Vergessen werde ich es aber so schnell nicht. Das ist so sicher wie die Tatsache, dass 500 000 Franken ganz schön viel Geld waren, auch damals.
[selbstgekauft]
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