Bei dem Titel “Cinema Love” (also “Kinoliebe”) in Kombination mit dem englischen pink-lila Cover könnte man glauben, dass es sich bei diesem Buch um eine locker-leichte Rom-Com handelt. Doch dieser Roman ist alles andere als das. “Cinema Love”, der Debütroman des queeren New Yorker Schriftstellers Jiaming Tang ist ein vielschichtiger literarischer Roman über die Lebenswelt queerer chinesischer Arbeiter in der chinesischen Provinz Fuzhou und im New Yorker “Chinatown”. Aber es ist auch ein Roman über ihre “Alibi-Frauen”. Denn Queerness bzw. Homosexualität ist bzw. war in China gesellschaftlich weit davon entfernt akzeptiert zu sein. Ich weiß nicht, wie die Situation heute, im Jahr 2024 ist, aber die Geschichte startet viel früher und zwar in den 1980er Jahren. Sie endet während der Corona-Pandemie 2020 in New York.
Das Arbeiterkino in Mawei City ist der namensgebende Dreh- und Angelpunkt der Handlung. Die Filme, die in diesem Kino gezeigt werden, interessieren eigentlich nur den cineastischen Projektionisten. Die Besucher aber wollen hier nur eins: ihre Homosexualität ausleben, andere Männer kennen und lieben lernen. Ein Safe Space, an dem sie selbst sein und “out of the closet” existieren können. Bao Mei, deren Bruder das Kino auch frequentierte, ist die Ansprechpartnerin für die Sorgen und Nöte der Männer. Sie hat eine Beziehung mit dem Projektionisten und sie begleiten wir dann auch in ihr neues Leben in New York.
Ebenso Old Second, ein weiterer Protagonist des Romans. Er erinnert sich an sein unfreiwilliges Coming-Out als Teenager und an die glücklichen Jahre danach. Diese Zeit verbrachte er mit seinem Lebenspartner Shun-Er, den er im Kino kennenlernte. Doch Shun-Er ist mit einer Frau verheiratet, Yan Hua. Eine problematische Dreiecksbeziehung, die nicht nur die Ehe von Shun-Er und Yan Hua, sondern auch die Existenz des Arbeiterkinos bedroht…
Das Buch hat eine allwissende Erzählinstanz, die zwischen den personalen Perspektiven hin- und herschwankt. Ich mag das sehr. Nicht nur weil es mich an viele Werke der klassischen Literatur erinnert, sondern auch weil der Roman dadurch einen zeitlosen Anstrich bekommt.
Der Roman spricht viele gesellschaftliche Missstände an. Unter anderem ist er auch eine Abrechnung mit dem chinesischen Patriarchat, in dem die heterosexuelle Ehe als Fundament einer Gesellschaft dient, in der die Unterdrückung der Frau System hat. Der Mann darf sich gegenüber seiner Familie alles erlauben, was bedeutet: psychische und physische Gewalt und wird dennoch als “echter Mann” gefeiert. Dass dieses System krankt, in dem weibliche Kinder gezielt abgetrieben werden, weil ein Sohn so viel mehr wert ist, ist mehr als offensichtlich - nur nicht für die, die das System aufrechterhalten.
Und selbstverständlich erzeugt dieses kranke System auch eine Situation, in der queere Menschen ausgegrenzt werden, weil sie nicht der Norm entsprechen. Am Beispiel Yan Huas wird deutlich, wie falsch die gesellschaftliche Situation ist. Bis zum unfreiwilligen Outing ihres Mannes wächst sie in einem heteronormativen Umfeld auf, das sie als ein gewaltvolles erlebt hat. Die Ironie des Ganzen: Erst durch ihren homosexuellen Ehemann lernt Yan Hua - ganz ohne Körperlichkeit - eine liebevolle Beziehung auf Augenhöhe zu führen.
Eine tragische Geschichte über Verlust und Ausgrenzung, die dennoch einen Funken Hoffnung in sich trägt: Die Hoffnung, dass menschlicher Kontakt uns Trost spenden kann und in der Lage ist, Wunden erträglich zu machen, die selbst die Zeit nicht zu heilen vermag.
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