Über die Dinge, die unsere Geschichten erzählen
Romane, in denen Häuser quasi die Protagonisten sind, haben mich schon immer fasziniert. Das Haus als Herberge des Unterbewussten, das Haus als Folie für all die dort gelebten Leben, für die Dramen und das Glück. Das Haus als Motiv für das Bleibende, vor dem die Flüchtigkeit des Menschenlebens nur noch stärker und unbarmherziger zum Vorschein kommt.
Der Roman “The Safe Keep” der niederländerischen Autorin Yael van der Wouden ist so ein Buch, in dem ein Haus die Hauptrolle spielt. Die deutsche Übersetzung beim Gutkind Verlag, die jetzt im Januar erscheint, wird dementsprechend “In ihrem Haus” heißen. Wissenswert: Das Buch war 2024 auf der Shortlist des Booker Prize, da es in der Originalsprache Englisch erschienen ist. Dies ist bemerkenswerter Weise nicht die Muttersprache von Yael van der Wouden. Man “hört” dem Buch dies aber in keinem Moment an, die englische Prosa ist makellos. Vereinzelt gibt es niederländische Begriffe, die aber erklärt werden.
Im Mittelpunkt des Romans steht das Haus der drei Geschwister Hendrik, Isabel und Louis, die im Jahr der Handlung 1961 alle um die 30 Jahre alt sind, Louis ist mit 31 der Älteste. Das Haus befindet sich auf dem Land, im Osten der Niederlande. Während Hendrik und Louis in Den Haag wohnen, lebt Isabel seit dem Tod der Mutter alleine in dem großen Anwesen. Die Brüder haben beide gute Jobs, Isabel lebt vom Nachlass ihrer Eltern, der von ihrem Onkel verwaltet wird. Hendrik ist homosexuell und seit vielen Jahren mit seinem Partner Sebastian zusammen. Louis hingegen hat wechselnde Partnerinnen. Eines Tages stellt Louis seinen Geschwistern die mysteriöse Eva vor. Isabel hegt eine sofortige Ablehnung ihr gegenüber, die sich im Laufe der Handlung in eine leidenschaftliche Anziehung verwandeln wird…
Dieses Buch wimmelt. Es wimmelt von Dingen und von der Geschichte, die jedem Gegenstand innewohnt. Isabel hegt die Paranoia, ihre Haushaltshilfe Neelke würde sie bestehlen, sie führt akribisch Buch über alle Gegenstände, die sie besitzt. Unterschwellig stellt sich die Frage, ob uns die Dinge, die wir besitzen, zu dem gemacht haben, was wir sind. Gerechtigkeit ist ebenfalls ein Thema des Romans. Louis soll als Ältester das Haus erben, obwohl er als Erster der drei Geschwister in die Stadt zurück ging. Das Recht der frühen Geburt. Und das, obwohl es doch Isabel ist, die ihr ganzes Leben diesem Haus widmet. Überhaupt Isabel: Sie ist schroff und spröde - kein liebenswerter Charakter. Ich mochte sie nicht und kann auch verstehen, dass Eva ihre liebe Not mit ihr hatte. Eva war auch ein wenig seltsam, obwohl das alles im Nachhinein auf herzherausreißende Weise erklärt wird.
Obwohl die Anzahl der handelnden Personen relativ gering ist, menschelt es sehr in diesem Roman. Stimmungen, Meinungen, kleine große Gesten und natürlich Dialoge. Animositäten und Anziehung. Die erotischen Szenen sind sehr intensiv und leidenschaftlich. Muss man mögen, ich wäre gut mit weniger Körperlichkeit ausgekommen. Ich denke aber, dass es hier nicht anders ging, um die Argumentationslinie der Autorin mit Leben zu erwecken. Trotzdem kommt man sich beim Lesen voyeuristisch vor. Der Roman ist ein intimes Kammerspiel. Szenen, die nicht für die Augen anderer bestimmt sind - das Tagebuch, neben der Figur des Hasen ein Leitmotiv von “The Safe Keep”.
Übrigens ist es ein “Sommerbuch”, denn die Haupthandlung passiert in einem warmen Juni, der in einen heißen Juli übergeht. Draußen kocht die Luft und drinnen die Emotionen. Mich hat die Lektüre beim Lesen in der starren winterlichen Hochphase oft gewärmt. Fast ganz am Ende ist es aber auch mal kalt und grau in der Handlung - wie bei mir tiefster Januar.
Ein Buch, das einen wirklich umhaut mit einer prosaischen Wucht und einem Plot Twist, der unvergleich tragisch ist. Zurecht auf der Shortlist des Booker.
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