Metatextualität brillant auf die Spitze getrieben
“Es ging darum, mit seinen Worten den Übergangsbereich zu berühren. Die unsichtbare Nahtstelle zwischen den Welten des tatsächlich Geschehenen und des möglich Gewesenen. Wie ein Kletterer durfte man von diesem Grat nicht abrutschen und weder in den Himmel reinen Wortgeklingels noch in die Faktenhölle des gelebten Lebens stürzen.” (“Wackelkontakt”, S. 147)
Die eben zitierten Gedanken stammen aus dem Kopf unseres Protagonisten Franz Escher, der über seine Profession als Trauerredner nachdenkt und die Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Was ist wirklich passiert und was ist Wunschdenken oder Fiktion? Das sind Fragen, die sich Escher im Laufe der Handlung, von der ich auf keinen Fall zu viel verraten darf, noch öfter stellen wird.
Franz Escher und Elio Russo alias Marko Steiner. Das sind zwei Männer, die von der seltsamen Geschichte des jeweils anderen fasziniert sind. Escher liest ein Buch über Elio/Marko und vice versa. Sie haben viele Gemeinsamkeiten und doch auch wieder gar keine. Irgendwie eint sie aber die Leidenschaft für das Zusammensetzen. Escher ist leidenschaftlicher Puzzler, Steiner setzt Fahrräder und Elektronisches wieder zusammen.
Aber Escher und Steiner sind eben auch ganz surrealer Weise zwei literarische Figuren, die den jeweils anderen als literarische Figur kennen und innerhalb eines literarischen Werkes das literarische Werk lesen, in dem der jeweils andere vorkommt. Simpel, wie Wolf Haas selbst über seine Geschichte sagte, aber genial (wie das Feuilleton und meine Wenigkeit über die Idee sagen). Das ist verrückt, kafkaesk, meta- und intertextuell, das ist spaßig und traurig und so spannend, dass ich das Buch kaum links liegen lassen oder nicht an es denken konnte, während ich es las (und das war keine lange Zeit).
Dieser raffinierte erzählerische Trick, dass die Handlung immer häppchenweise so weit voranschreitet, bis Franz oder Marko/Elio sowie andere in der Geschichte eine Rolle spielende Personen das Buch mit der Geschichte des jeweils anderen zur Hand nehmen, ist einfach genial! Ich frage mich, wie es sein kann, dass bislang noch niemand auf diese brillante Idee gekommen ist.
Ungefähr auf Seite 116 habe ich erst gecheckt, auf was das Ganze erzähltechnisch hinausläuft und war von meiner Erkenntnis getroffen wie ein Stromschlag - passend zum Titel. Einfach so unfassbar genial dieser Plot und natürlich die erzählerische Umsetzung.
Das Leitmotiv des Romans ist die Kunst von M.C. Escher, dem Namensvetter unseres Protagonisten Franz Escher. Seine Puzzle-Leidenschaft beginnt mit einem 1000-Teile-Puzzle von Eschers zeichnenden Händen, die sich selbst zeichen. Das ist natürlich eine Anspielung auf die Unmöglichkeit dieses metatextuellen Romans selbst, in dem zwei Geschichten einander spiegeln und sich der Kausalität von Raum und Zeit entziehen. Wolf Haas fungiert hier also als literarischer M. C. Escher.
Dieser Roman ist beileibe keine Coverschönheit. Hier kommt die Schönheit wahrlich von innen. Es ist eine, die sich aus einem Mix aus feinsinnigem Humor, literarischer Perfektion, meisterhafter Wortgewandtheit und einem scharfen Blick für die Unzulänglichkeiten des Menschlichen speist. Unbedingt lesen!
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