Das apfelförmige Holzbrett und der “Opasessel”
Japan, seine Kultur und seine Menschen verbinde ich immer mit einer gewissen “no nonsense”-Einstellung. So nach dem Motto: “Don't make a fuss. It's only life and eventually - it will pass…” Also bloß kein Drama machen angesichts dem unvermeidlichen Spiel und Zyklus des Lebens. Gute Miene und sich keine Blöße geben, ein freundliches Lächeln aufsetzen - Augen zu und durch. Und ich muss sagen, der Roman “Onigiri” von Yuko Kuhn hat mir auch genau diese “vernünftige Lebenseinstellung”, die ich mit Japaner*innen assoziiere, gespiegelt.
Yuko Kuhn hat einen Roman geschrieben, von dem ich mir vorstellen könnte, dass er autofiktional ist. Ihre Lebensgeschichte deckt sich in vielen Punkten mit der der Protagonistin Aki: Deutsch-Japanerin,1983 in München geboren und aufgewachsen, Studium in Passau und Südfrankreich, etc. Aber ich kann verstehen, dass sie das Ganze in ein fiktionales Konstrukt mit anderen Namen gehüllt hat, die eigene Identität nicht zu 100% preisgeben wollte, ein wenig im Verborgenen lassen.
Das Kernthema des Romans ist Akis Beziehung zu ihrer an Demenz erkrankten Mutter Keiko, mit der sie ein letztes Mal in deren Heimat Japan reisen möchte. Um dieses Ereignis herum entspinnt sich ein bunter Fächer von anachronisch durchgewürfelten Szenen, in denen Aki von sich selbst und ihrer Familie erzählt. In den alternierenden Prosahäppchen (Häppchen passend zum Titel) sind wir mal bei ihren intellektuellen deutschen Großeltern in Baden-Württemberg und tafeln mit dem Silberbesteck der Boomer-Wohlstands-Generation, sitzen auf dem “Opasessel”. Dann wieder bei ihrem psychisch kranken Vater, der seine Kinder - Aki hat noch einen älteren Bruder, Kenta - nur selten sieht, sich von seiner kleinen Familie entfremdet hat. Und dann geht es wieder um die uralte japanische Matriarchin Yasuko und deren Tochter Keiko, die sich in Deutschland zurechtgefunden hat und doch nie ganz angekommen ist. Schließlich ist da natürlich Aki selbst, die zwischen den Kulturen aufwächst und sich dabei selbst finden muss.
Es geht um die winzigen Details, die ein Leben ausmachen. Um alles, was wir so ansammeln - in unseren Behausungen und in unseren Köpfen. Und um das, was uns wieder genommen wird, wenn wir im Alter wieder zu einem vergangenheits- und dingelosen Wesen werden. Der Zeitgeist der Generation der Xennials, der sowohl ich als auch die Autorin angehören, wurde meiner Meinung nach perfekt eingefangen.
“Onigiri” ist das Lieblingsgericht der Ich-Erzählerin, das die Mutter ihr und ihrem Bruder immer gemacht und auf einem alten, apfelförmigen Brett serviert hat. Es ist quasi das Leitmotiv dieses Romans, in dem es um das Erinnern geht. Die Demenz von Akis Mutter hat es ihr unmöglich gemacht, für sich oder andere zu sorgen und somit gibt es auch kein von ihrer Mutter zubereitetes Onigiri mehr. Und jeder, der mal jemanden hatte, der ein Gericht auf eine besondere Weise zubereitet hat und das nicht mehr kann, weiß, welcher Schmerz alleine in dieser Tatsache steckt - ein Essen, das ganz besonders schöne Emotionen auslöst, in der Zubereitung durch diesen einen speziellen Menschen für immer verloren zu haben.
Herzlichen Dank an den Hanser Verlag für das Rezensionsexemplar und die Zugaben!
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