Donnerstag, 3. Juli 2025

"Schwindel" von Hengameh Yaghoobifarah


In dem Roman “Schwindel” von Hengameh Yaghoobifarah geht es um eine Situation, die für alle Beteiligten unangenehmer nicht sein könnte: Vier Liebhaber_innen aus einem Vierecksverhältnis, die gemeinsam auf einem Hochhausdach “ausgesperrt” sind. Aua. Vor allem doof ist es für die, die mit allen drei anderen was am Laufen hat: Ava. Sie hatte was mit Delia (dey/demm), gehostet ihre Affäre Silvia (die sehr viel älter als alle anderen ist, die Anfang 30 sind) und ist verknallt in Robin, die eigentlich in einer heteronormativen Langzeitbeziehung mit ihrem Partner Ivo ist. Und nun erweist sich die Hölle mal wieder als “die anderen”, wie es bei Sartre so schön heißt. Mensch muss sich mit den Entitäten außerhalb des eigenen Selbst auseinandersetzen, egal wie schmerzhaft, schön und schrecklich es auch sein möge. 

Nicht nur vom Thema her, sondern auch erzählerisch ist das sehr clever gemacht: Die Teilnehmenden der temoporären Zwangsgemeinschaft lernen wir nach und nach als Individuen kennen - ihre Träume, ihre Traumata, ihr Begehren und ihre Wünsche für die Zukunft. Ein bunter Fächer an queeren Lebensentwürfen, die eines eint: sie sind Menschen und sie wollen glücklich sein.

Ich musste an vielen Stellen richtig schmunzeln, weil in diesem Roman so herrlich unverkrampft mit Klischees gespielt wird, ohne dass es jemals böse gemeint ist. Da sinniert eine Figur zum Beispiel über “Wanderlesben”, mit denen sie eben nicht in einer Beziehung sein möchte. Oder an anderer Stelle wirft eine Person der anderen an den Kopf: “Was bist du für eine Lesbe, wenn du keinen Karabinerhaken mit deinen Schlüsseln an deiner Jeans trägst?” (S. 49) Lol. Yaghoobifarah holt den Humor in die queere Schreibe zurück und ist gleichzeitig an vielen Stellen hoch literarisch, spielt mit Sprache und weiß einfach damit umzugehen. Auch wenn der Roman in der dritten Person erzählt wird, wird für jede Figur ein anderer “Sprech” verwendet. Um Delias Perspektive zu vermitteln, wurde beispielsweise Kleinschreibung benutzt, was ich sehr spannend finde. Wie anders kommt Sprache an, wenn sie gleich gemacht wird, wenn sie ohne Höhen und Tiefen fließt. Und bei Silvia kommt einem die Erzählweise fast konservativ, “bürgerlich” vor, obwohl sie alles andere ist als das, aber sie ist halt “die Alte”. Ava weißt nicht recht, was sie will, wer sie ist und auch das spiegelt sich in ihren sprunghaften Passagen wider.

Neben dem humorvollen Touch, dem ganz eigenen Slang und dem Spiel mit Wörtern und Sprache ist dem ganzen Roman noch ein philosophischer Überbau beigefügt, der das Ganze zu einem perfekten Kunstwerk macht. Auch die esoterischen Einsprengsel hier und da fand ich spannend. Yaghoobifarah versteht einfach von allem was.

Das Buch wurde mir übrigens von einer Buchhändlerin empfohlen, als ich “Auf allen Vieren” von Miranda July gekauft habe. Also ihr wisst schon: Kund_innen, die kauften, kauften auch… Kann ich so unterschreiben. Nur dass “Schwindel” meiner Meinung nach besser ist als der Roman von July. Aber maybe that’s just me, auf jeden Fall: lesen, wenn ihr mögt!


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