Der todkranke Thomas Bernhard unternahm im November/Dezember 1989 eine Reise nach Torremolinos, Spanien. Weil sein Halbbruder und Leibarzt Peter Fabjan seine Arztpraxis nicht alleine lassen wollte, bat Bernhard seine Halbschwester Susanne Kuhn (alle drei haben dieselbe Mutter) ihn zu begleiten. Susanne Kuhn ist ausgebildete Frieseurin und war Maskenbildnerin, hat aber niemals selbst schriftstellerische Ambitionen gehegt. Dennoch wurde ihr bei einer Veranstaltung anlässlich des 90sten Geburtstags ihres Bruders nahegelegt, ihre Erinnerungen an ihn schriftlich festzuhalten und dieses Buch ist das Ergebnis davon.
Es besteht aus eben dem Reisebericht, sehr witzig illustriert von Nicolas Mahler, Kuhns eigenen Erinnerungen als Verschickungskind in Spanien und einem Interview mit dem Bernhard-Forscher Manfred Mittermayer.
Es sind Erinnerungsfragmente, kleine Episoden, Intermezzi, die hier aneinandergereiht werden. Von Susanne Kuhn nüchtern, “unliterarisch” und im Berichtsstil dargeboten. Sie ist halt ein ganz normaler Mensch, der zufällig mit einem berühmten Schriftsteller verwandt ist.
Susanne Kuhn wird quasi zu Bernhards gesundem “Ersatzkörper”. Sie soll für ihn Schuhe anprobieren und im Schuhladen wie auf einem Catwalk damit ‘modeln’, im eiskalten Pool (am besten auch im Meer) schwimmen, an einem Ausflug zur Alhambra teilnehmen. Und ihn natürlich pflegen, was sie aber gerne macht - also fast immer (am Anfang gibt es einen kurzen Streit, als sie vorzeitig abreisen möchte). Susanne Kuhn ist die perfekte Schriftsteller*innen-Halbschwester: unaufgeregt, geradezu pragmatisch und praktisch begegnet sie den Kapriziositäten ihres exzentrischen Halbbruders, der mit dem Tode ringt. Wir erfahren auch Intimes, wie zum Beispiel Bernhards Reaktion auf den schweldenden Konflikt mit seinem Verleger Siegfried Unseld. Wie beruhigend, dass selbst ein Weltliterat wie Bernhard dem Machtapparat Verlagswesen trotz seiner Genialität gewissermaßen ausgeliefert war.
Bernhard ist in seiner Literatur trotzig und sarkastisch angesichts des Unvermeidlichen. Und so ist es auch für die Lesenden und Bernhard-Fans herrlich, sich durch dieses Buch noch einmal am privaten Bernhardschen Humor, den er auch kurz vor seinem Ende nicht verloren hat, zu ergötzen: “Die Empfehlung, mich mit niemand anzufreunden, gab mir Thomas mit auf den Weg: Die Leute wird man dann nicht mehr los!” (S. 48) Empfehlung für Fans.