"Kastanienallee", das ist eine bitterböse Gesellschaftssatire, situiert in der gediegenen Wiener Vorstadt, wo der Geldadel residiert und regiert. Der Verlag Kremayr und Scheriau nennt das Buch im Klappentext gar ein “voyeuristisches Lesevergnügen”. Kein Wunder, dass seine Autorin lieber anonym bleiben möchte und das mysteriöse Pseudonym Louise K. gewählt hat, ist sie doch eine “erfolgreiche österreichische Autorin”, wie man der abgedruckten Biografie entnehmen kann, die wahrscheinlich lieber nicht auf ihre wahren Gedanken bezüglich der österreichischen Bussi-Bussi-Gesellschaft (wie es bei uns in München heißt) angesprochen werden will.
“Kastanienallee”, das klingt wie eine Abwandlung von “Lindenstraße” und ein wenig so kommt einem die multiperspektivisch erzählte Handlung auch vor. Anders als in der Münchner-TV-Straße geht es im Roman von Louise K. aber eben nicht um Herrn/Frau/Them Ottonormalbürger*in, sondern eben um “die Oberschicht und alle, die sich gerne dazu zählen” (Klappentext). Das Figurenarsenal ist durch die Bank sehr überzeichnet, wie es sich für eine Satire auch irgendwie gehört. Leider musste ich immer wieder in der hilfreichen Personenbeschreibung am Ende nachschauen, um mich einigermaßen zwischen den Anwälten, Nachlassverwaltern, Erbschleicher*innen, Playboys, Lebemännern, Fabrikantinnnen, Antiquitätenhändlern, Geldwäschern, Hausfrauen, Hausmännern, Historikerinnen, Privatiers, Vermögensdieben, Psychologen und Psychiatern zu orientieren.
Als ich dieses Buch angefragt habe, bin ich einem Irrtum aufgesessen. Aufrund des Klappentextes und vor allem des in Jugendstilornamenten gehaltenen Covers dachte ich, es würde sich um einen historischen Roman handeln, der um die vorletzte Jahrhundertwende spielt. Als es dann aber mit der fiesen Trafikantenfamilie (Trafik = Kiosk) beginnt, merken wir schon, dass wir uns weit später in der Geschichte befinden. Da aber zunächst nicht von Mobiltelefonen und anderen zeitgenössischen Elementen die Rede war, sondern von Jogginganzügen, Klatschmagazinen und Tennisclubs gesprochen wird, dachte ich, wir befinden uns in den 1980er Jahren. Auch der Habitus der Figuren passte dazu. Irgendwann sagt dann aber einmal eine Figur, dass sie die Gletschermumie, die “vor einigen Jahren” gefunden wurde, so gruselig fand. Okay, dann vielleicht doch die mittleren 1990er Jahre (denn “Ötzi” wurde 1991 entdeckt)? Weit gefehlt, denn etwas später wird dann gesagt, eine Person “spiele am Handy” herum. Okay, also vielleicht Ende der 2000er, Anfang 2010er Jahre? Auch nicht, denn im letzten Drittel wird plötzlich von Mode-Influencerinnen auf Instagram gesprochen. Hm…also ich mag sowas leider gar nicht. Ein Roman muss wissen und auch darlegen können, wann er spielt. Wenn nicht mit konkreten Zeitangaben, dann muss das Setting eindeutig sein. Hier hätte man ruhig das Smartphone von Anfang an handlungsrelevant einsetzen können, dies ist aber nicht geschehen.
Am Anfang und am Ende ist tatsächlich etwas Spannung und eine Art voyeuristisches Vergnügen beim Beobachten der Mauscheleien und Delikten der unsympathischen Neureichen entstanden. Zu schade, dass das Buch mit einem Cliffhanger endet und wir somit gezwungen sind, auf den nächsten Band zu warten, wenn wir wissen möchten, wie sich die Geschichte auflöst.
Herzlichen Dank an Buchcontact und Kremayr und Scheriau für das Rezensionsexemplar!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.