Freitag, 14. März 2025

"Hier draußen" von Martina Behm


Mental Load und Schweinedung

“Hier draußen” ist ein moderner Dorfroman, der in einer kleinen norddeutschen Ortschaft der Gegenwart spielt. Wir haben aber auch immer mal wieder Einschübe, Rückblenden, die die Situation auf der Handlungsebene mit Hintergrundinformationen unterfüttern. Diese Struktur hat mir sehr gefallen und war hier auch hilfreich, um das Gelesene besser zu verstehen.

Wir begegen in diesem Buch mehreren Menschen, die ihren Lebensunterhalt mit Landwirtschaft verdienen. Die “alteingessenen” Dörfler sind alle um die 60 Jahre alt und entsprechend eingefahren, haben Gesundheits-, Finanz- und/oder Eheprobleme und viel zu viel Arbeit, denn die Kinder übernehmen in der Regel nicht mehr einfach so den Hof der Eltern, sondern ziehen in die Stadt oder in andere Bundesländer, studieren, leben ihr eigenes Leben. Ein umgekehrtes Phänomen ist der Zuzug gut situierter und gut ausgebildeter jüngerer Leute um die 30/40, die “hinaus aufs Land” wollen. So wie Lara und Ingo, zusammen mit ihren schulpflichtigen Kindern Erin und Erik. Sie haben sich einen “Resthof” gekauft - aber werden sie, die Städter aus Hamburg - er Manager bei einem Start-Up-Unternehmen, sie freiberufliche Grafikerin - wirklich den Rest ihres Lebens in diesem Kaff Fehrdorf verbringen? Dann gibt es noch Jutta und Armin, die “Öko-Hippies”, die vor 30 Jahren aus der Stadt ins Dorf gezogen sind, um eine WG zu gründen. Sie sind übriggeblieben, nicht wirklich zusammen, aber gelegentlich doch. Auch sie werden im Laufe der Handlung eine wichtige Rolle spielen.

Aber die Handlung, was ist das hier überhaupt? Das ist ein wenig das Problem des Romans. Der rote Faden, um den sich die Erzählung lose windet, ist eigentlich, dass Ingo eines Abends, als er von Hamburg, wo er nach wie vor arbeitet, nach Hause pendelt, eine weiße Hirschkuh überfährt. Der ortsansässige Jäger und Schweinebauer Uwe, ein ewiger Junggeselle, erschießt mit Ingo zusammen das leidende Tier. Dumm nur, dass eine Prophezeiung sagt, wer eine weiße Hirschkuh tötet, wird innerhalb eines Jahres sterben. Das ist an sich schon sehr spannend, wird aber im Laufe des Plots oft aus den Augen verloren. Es geht vielmehr darum, die Dörfler und ihre Probleme detailliert zu beschreiben.

Und das ist tatsächlich die Stärke des Romans. Besonders die Situation der ländlich lebenden Frauen hat Martina Behm hervorragend eingefangen. Anhand der jüngeren Städterin Lara beschreibt sie auf realistische Weise die Struggles einer arbeitenden Mutter, die sich für die Kinder, ihren Mann, das Haus, den Hund und und und den Allerwertesten aufreißt. Die als Selbständige weiterkommen möchte und der nur Steine in den Weg gelegt werden. Das Mental Load, oh dieses verdammte Mental Load. Die unsichtbaren Tasks, die Mütter immer und ständig auf dem Schirm haben müssen und die kein anderer sieht oder macht. Auch Tove Wirtz, die um die 60 ist, hat ihr Leben für andere gelebt: den undankbaren, cholerischen Mann, die beiden Söhne, die jetzt längst woanders wohnen, die Dorfgemeinschaft, den Hof. Wird auch sie nochmal ihr Glück finden? Uwe ist der unerwartete Sympathieträger des Romans. Seine Geschichte ist besonders herzzerreißend.

Für meinen Geschmack wurde die Handlung etwas zu sehr in die Länge gezogen. Man hätte hier sehr gut kürzen können, vor allem was die detaillierten Beschreibungen des Zubereitens von Nahrung, etc., angeht. Manches hätte ich genauer wissen wollen, anderes war mir hingegen zu ausführlich ausgearbeitet.

Alles in allem aber ein sehr unterhaltsamer, starker Dorfroman, den ich euch empfehlen kann.

Herzlichen Dank an dtv und vorablesen für das Rezensionsexemplar!

Dienstag, 25. Februar 2025

In eigener Sache: Schreibpause mit Unterbrechungen


Ich habe folgenden Beitrag gestern auf Instagram geposted, er gilt aber natürlich auch für die Leser*innen meines Blogs. Vielen Dank für euer Verständnis und eure Treue!

Hallo ihr Lieben!

Wie manche von euch vielleicht aus der Story wissen, schreibe ich gerade selbst an meinem ersten Roman (ich kann es noch gar nicht wirklich glauben, es ist so ein unbeschreiblich tolles Gefühl! 🥰). Um Nachfragen vorzubeugen: Es weiß außer mir noch keiner, um was es genau geht 😉. Gut Ding will Weile haben und ich will auch nichts “verschreien”, wie man bei uns in Bayern sagt. Ich bin schon sehr gut vorangekommen, die Worte fließen nur so aus mir heraus. Ich muss tatsächlich gar nicht so viel aktiv machen, meine Charaktere machen das irgendwie ganz von allein... (auch wenn sie manchmal seltsame Dinge tun 😅).

Und ihr wisst ja, wie es ist, wenn man in ein Projekt viel Zeit und Energie investiert, dann fehlt es an anderen Ecken und Enden. Momentan muss ich das Lesen von anderen Geschichten leider ein wenig vernachlässigen, um meine eigene voranzutreiben und damit leider auch den Blog und #Bookstagram. Ich bin zwar nach wie vor bei @vorablesen aktiv und poste auch dementsprechend meine Rezensionen hier, aber es wird in den nächsten Wochen eher ruhiger sein auf diesem Kanal. Ich hoffe, ihr bleibt mir trotzdem gewogen. Wenn ich mit meinem Buch fertig bin (ich will noch gar nicht dran denken 😢), wird bestimmt alles wie zuvor sein. Oder auch nicht?

In diesem Sinne macht es gut, wir sehen und hören uns! Eure Vicky

Samstag, 22. Februar 2025

"Russische Spezialitäten" von Dimitrij Kapitelman



Tragikomische Mutter-Sohn-Geschichte

“In der russischen Welt meiner Mutter ist Russland gut und heldenhaft und hat gar keine andere Wahl, als zu kämpfen. Herzlos ist das nicht von ihr, nur sehr wahrheitsverloren. Deswegen leidet Mama wohl auch so darunter, dass ihr Sohn diese russischen Wahrheiten aufs Verderben nicht erkennen will.” (S. 58)

“Russische Spezialitäten” hat mich deswegen interessierst, weil es darum geht, wie Menschen damit umgehen, wenn ihr Land zum politischen Aggressor wird. Und damit, dass ihre nationale bzw. kulturelle Identität zum Schimpfwort wird und zum Grund, warum sich andere Leute vielleicht nicht mehr so gerne mit ihnen abgeben möchten. Es ist ein autofiktionaler Roman, in dem der ukrainisch-moldawischstämmige Autor und Journalist Dimitrij Kapitelman, der in Kiew geboren wurde und seit seiner Kindheit mit seiner Familie in Leipzig lebt und dort - bis Corona kam - einen Laden für russisch-ukrainische Produkte betrieben hat, die jüngere Vergangenheit verarbeitet. Er tritt als Ich-Erzähler auf und im Mittelpunkt steht die Beziehung zu seiner Mutter. Obwohl die beiden ein inniges Mutter-Sohn-Verhältnis haben, sind sie doch anderer Meinung, was den Krieg zwischen Russland und der Ukraine angeht. Die Mutter ist auf der Seite des Aggressors und der Sohn versucht sie davon zu überzeugen, dass die Ukraine das Opfer ist und sich verteidigen muss. Zunächst ohne Erfolg. Schließlich fährt der Ich-Erzähler mitten im Krieg selbst in sein ukrainisches Geburtsland und muss dort mit anderen Problemen als mit der Sorge der Soldaten-Mütter kämpfen, ihre Söhne könnten bei der Kälte keine Mütze tragen.

Ich muss schon sagen, es hat ein bisschen gedauert, bis ich in dieses Buch “reingekommen" bin, bis ich den Vibe gefühlt habe und bis mir die Worte nahe ans Herz gegangen sind. Das hatte vor allem damit zu tun, dass Dimitrij Kapitelman ein richtiger Sprachakrobat ist, der mit lautmalerisch-metaphorisch-allegorischen Bällen jongliert. Das war mir oft - gerade am Anfang - ein wenig too much. Eigentlich mag ich gut gewählte Sprachbilder, aber hier war mir unter anderem der lila Fliederstaub, der um die sozialistischen Plattenbauten weht, etwas zuviel des Guten. Wörter wie “umherbefruchten” (S. 14), “Tomatentrauer” (S. 25) oder “Krautinator” (S. 29) sind nur wenige Beispiele für die Anwendung von blumigen Neologismen in diesem Buch.

Letztlich aber hat mich das Buch zum Ende hin überzeugt, wo es dann sehr ernst und tragisch wird. Die komischen Elemente waren zwar nett, aber sie waren mir persönlich zu anekdotisch und der Ich-Erzähler ist mir durch diesen ‘Humor’ kein Stückchen näher gekommen. Am Ende habe ich aber doch eine gewisse Verbindung zu ihm gespürt, was das Buch für mich im Nachhinein lesenswert macht.

Herzlichen Dank an Hanser Berlin und vorablesen.de für das Rezensionsexemplar!

Dienstag, 18. Februar 2025

"Tinte, Staub und Schatten - Das Buch der Verlorenen" von Alina Metz

Es ist lange her, dass ich ein Kinderfantasy-Buch als Lektüre für mich gelesen habe. Weil “Tinte, Staub und Schatten” aber mit Buchmagie und einem bibliophilen Fantasy-Setting wirbt, hat es mich sofort angesprochen. Auch in Hinblick darauf, dass meine fast neunjährige Tochter das Buch dann ab 11 lesen kann (das ist die Altersempfehlung), habe ich mich für die Lektüre entschieden. Im Mittelpunkt steht nämlich auch ein starkes, 16-jähriges Mädchen, namens Minna. Sie macht sich nach ihrem Realschulabschluss allein auf in die Stadt, in der sie geboren worden ist, um den Tod ihrer Mutter vor 11 Jahren aufzuklären.

Man wird eigentlich von Anfang an in eine märchenhafte Buchwelt hineingeworfen - die Welt von Tinte, Staub und Schatten. Eine Welt, in der Bücher tödlich sein können und in der ein unterirdisches Bücher-Labyrinth existiert, in dem man durchaus sowohl sterben als auch verschwinden kann - so wie Minnas Mutter, die “Büchersucherin” war. Denn manche Bücher sind selten und sorgen dafür, dass das Gleichgewicht der Kräfte, das man doch in jeder Welt irgendwie braucht, aufrechterhalten wird. Deswegen gibt es die Büchersucher, die mit ihrer “Staubmagie” für Ordnung im Labyrinth sorgen. Für Staubmagie benötigt man metallische Geräte wie “Hyperbeln” und andere Dinge aus Kupfer, bei denen ich nicht so ganz geschnallt habe, was sie eigentlich genau tun und wie sie funktionieren. Aber Lektüre soll nicht zum pseudowissenschaftlichen Lehrgang verkommen, von daher habe ich das jetzt mal so hin genommen.

Das Spiel mit Intertextualität hat mir natürlich sehr gut gefallen, wobei ich es für die Ziel-Altersgruppe teilweise etwas “hoch” finde. Da werden zum Beispiel Dantes “Göttliche Komödie” zitiert und Cervantes’ “Don Quixote” und Goethes “Götz von Berlichingen”. Die meisten Elfjährigen werden damit wahrscheinlich noch nichts anfangen können, aber einmal ist ja immer das erste Mal, dass man etwas von Klassikern hört.

Aber jetzt zu dem, was einem Buch seinen Charakter verleiht - den Charakteren: Die rothaarige Minna, unsere Hauptfigur, bleibt eigentlich am blassesten von allen, was ein wenig schade ist. Ihr Movens, Büchersucherin zu werden, ist vor allem die Trauer um ihre Mutter und der Versuch, die Geschichte um deren Verschwinden im Labyrinth zu ergründen. Raban Krull, der düstere Antiquar, Büchersucher und Minnas Lehrmeister, ist ganz klar am Vorbild Severus Snape modelliert und wir als Lesende erfahren bis zum Ende dieses ersten Bandes - es ist eine Reihe - nicht, ob seine Motive gut oder böse sind oder sogar beides. Sein tollpatschiger, aber liebenswerter Sohn Gulliver wird als späterer Love Interest für Minna aufgebaut. Ganz toll und erwähnenswert finde ich, dass es in diesem Kinderroman auch queere Charaktere gibt. Der etwas mysteriöse und vom Aussehen her androgyne Jascha, macht bereits am Anfang deutlich, dass er auf Männer steht. Sein späterer Rivale, der Wilde Jäger Parzival - der auch ganz offen bisexuell ist und stöndig mit Jascha flirtet, ist ebenfalls spannend und auch hier könnte ich mir vorstellen, dass der Trope Enemies to Lovers im Laufe der Reihe anhand von diesen beiden Figuren “eingelöst” wird.

Obwohl das Bücher-Labyrinth - wie es sich für ein Labyrinth gehört - ziemlich komplex war und es ein paar Längen gab, fand ich das Buch zum Ende hin aber wieder ganz toll und spannend. Das ist vor allem den überraschenden Plot Twists zu verdanken. Am Ende gibt es einen riesigen Cliffhanger, der dann wahrscheinlich im zweiten Band, der im Herbst 25 erscheinen soll, aufgelöst wird. Hat mich sehr gut unterhalten!

Herzlichen Dank an Überreuter und Vorablesen Junior für das Rezensionsexemplar!

Freitag, 14. Februar 2025

"Coast Road" von Alan Murrin

Großartige irische Literatur

Irische Roman-Literatur: Das sind große Gefühle in Prosaform und die Lektüre dieser Werke fühlt sich oft an, als würde man von einer schroffen, steilen Klippe aufs weite Meer hinaus blicken. Das Meer spielt als Setting auch eine große Rolle in “Coast Road”, dem Debütroman von Alan Murrin, ein irischer Autor, der in Berlin lebt. 

Letztes Jahr habe ich das Buch schon oft bei englischsprachigen Buchbloggenden gesehen, die völlig begeistert von dem Roman waren. Dennoch bin ich froh, dass ich auf die dtv-Ausgabe gewartet habe, die unter dem Schutzumschlag sehr schön mit einer in Öl gemalten Landschaftsszene gestaltet und von Anna-Nina Kroll hervorragend ins Deutsche übersetzt wurde.

Die Handlung von “Coast Road” spielt 1994/1995 im irischen Künstenstädtchen Ardglas im County Donegal. Murrin entführt uns in eine Zeit, in der Irland gesellschaftspolitisch gefühlt noch “hinter dem Mond” lebte. In der man Kondome im englisch regierten Norden kaufen und Abtreibungen im benachbarten Königreich vornehmen lassen musste. Und in einer Zeit, in der man sich nicht scheiden lassen konnte und in der Frauen meist völlig von ihrem Ehemann abhängig waren. Das Referendum zur Abschaffung des Verbots von Ehescheidungen, das nach Ende der erzählten Zeit im Jahr 1996 in Kraft trat, spielt eine entscheidende Rolle im Roman. Eine der Hauptfiguren, James Keaveney, setzt sich als Parlamentsabgeordneter aus Donegal für die Abschaffung des Paragrafen ein. 

Alan Murrins Roman mutet im einen Moment wie ein historischer an und im nächsten sind es doch wieder die allgemeingültigen Themen des Lebens, die hier verhandelt werden und die uns alle zu jeder Zeit betreffen: Liebe und Hass, Leben und Tod. Anhand von drei Paaren werden wir uns im Laufe des Roman überdies drei Fragen gestellt haben: Bei Izzy und James: Wird sie gehen? Bei Donal und Dolores - was bringt das Ehe-Fass zum Überlaufen? Und schließlich bei Colette und Shaun: Kommen sie wieder zusammen?

Am interessantesten von den Charakteren fand ich, neben Colette, die man aufgrund ihrer Differenziertheit einfach spannend finden muss, tatsächlich den Priester, Brian. Er schaut quasi von außen auf die Ehen der Paare und bildet sich seine Meinung. Ganz stark ist die Szene im Beichtstuhl, in der er einer der für die Handlung relevanten Personen die Beichte abnimmt. Seine ganze Persönlichkeit zeigt, dass (katholische) Geistliche auch nur Menschen mit Bedürfnissen und Gefühlen sind. Ich hätte gerne mehr Szenen mit ihm gehabt und seine Rolle noch ein wenig mehr ausgebaut gesehen. Indirekt leidet auch er unter den selbsternannten Alpha-Männern aus Ardglas, die letztlich sogar sein Schicksal bestimmen.

Ich habe in einem Interview mit Alan Murrin gelesen, dass er als Schreibtipp gegeben hat: “Don't deal too much in introspection. Dramatise everything.” Scheinbar hat er sich an seinen eigenen Tipp gehalten, denn dieser wunderbare Roman kommt 100% ohne Längen aus. Die Handlung hält sich nicht mit Unnötigem auf und schreitet einem tragischen Höhepunkt entgegen, in dem alle Hauptfiguren mehr oder weniger involviert sind.

Ein ganz großartig erzählter, feministischer Roman, der von einem Mann geschrieben wurde. Unbedingt lesen!

Herzlichen Dank an dtv und vorablesen.de für das Rezensionsexemplar!






Mittwoch, 12. Februar 2025

"Emily Wildes Enzyklopädie der Feen" von Heather Fawcett


“Er schien die schroffe Schönheit nicht genießen zu können, den wilden Schrecken der Berge, die gewaltigen Gletscher, die schmalen Streifen Zeit, die sich in Form von gefrorenen Wasserfällen an die Felswände klammerten. In beiden Nächten tanzte über uns das Polarlicht, Grün und Blau und Weiß wogten ineinander, ein kalter Ozean am Himmel, und selbst diesem Spektakel gönnte Bambleby kaum einen Blick.” (S. 208)

Kennt ihr das, wenn man sich nach einer Lektüre fragt, warum man das Buch nicht schon längst gelesen hat - es hätte einen noch viel früher glücklich machen können? Mir ging es so mit “Emily Wildes Enzyklopädie der Feen” von Heather Fawcett (Fischer Tor, übersetzt von Eva Kemper). Zum Glück ist es eine Trilogie und ich habe noch zwei Bände “Leseglück” vor mir.

Worum geht's? [kleiner Spoiler] Das Buch ist ein historischer Fantasyroman. Die englische “Feenforscherin” oder Dryadologin Emily Wilde aus Cambridge reist ins abgelegene norwegische Dorf Hrafnsvik, um das dortige “Kleine Volk” zu untersuchen. Dort taucht plötzlich ihr Kollege, der unverschämt gutaussehende Prof. Wendell Bambleby auf, von dem sie vermutet, dass er selbst von den Faye abstammt. Damit hat sie recht, Wendell ist ein exilierter Feenkönig, der das Tor in sein Reich sucht. Und dann erleben sie Abenteuer und kommen sich näher und es ist atmosphärisch, wild und romantisch und einfach toll!

Googelt mal Wendell Bambleby Emily Wilde - ihr werdet massenweise FanArt und FanFiction dazu finden. Die beiden sind einfach ein Match Made in Heaven bzw. in Faye. Ich habe die beiden Hauptfiguren geliebt, vor allem Wendell. Endlich mal wieder eine männliche Fantasy-Figur, die tragikomisch und nicht schwarzweiß gezeichnet ist. Dass die Autorin mit einem feinen Humor arbeitet, hat mich einfach angesprochen. Ich will nicht, dass alles immer bitterernst und dramatisch ist. Es war trotzdem noch dramatisch, aber eben nicht nur. 

Heather Fawcett schreibt eine wunderbare Prosa, die Eskapismus und Spannung in sich vereint.Und dann diese winterliche Atmosphäre und dieses CottageCore-Setting. Ich bin entzückt und verliebt und will unbedingt bald den zweiten Band lesen und werde sicher weinen, wenn ich Wendell und Emily ziehen lassen muss. Top Empfehlung für alle, die die gesagten Sachen auch so mögen und schätzen wie ich.



Mittwoch, 5. Februar 2025

"Gentlemen and Players" von Joanne Harris


“‘You can't work at St Oswald's for as long as I have without believing in signs and portents and - ‘Ghosts?’ I suggested slyly. He did not return my smile. ‘Of course’, he said. ‘The bloody place is full of them.’ I wondered for a moment if he was thinking of my father. Or Leon. For a moment, I wondered if I was one myself.” (S. 193)

Kennt ihr diese Bücher, die ein extrem langes Built-up haben und es einem scheinbar endlos vorkommt, bis sie zum Punkt bzw. Sinn und Zweck der Geschichte kommen? Das ist bei “Gentlemen & Players” von Joanne Harris (übrigens die Autorin von “Chocolat”) so. Ich habe mich in das Cover verliebt und auch das Setting “englische Jungen-Eliteschule” hat mich sofort angesprochen. Wenn ich gewusst hätte, dass sich die knapp über 500 Seiten wie Kaugummi ziehen, hätte ich das Buch wahrscheinlich nicht gelesen.

Es ist eine Geschichte, die aus zwei Perspektiven erzählt wird. Zum einen die des 65-jährigen Lateinlehrers Straitley - ja, sprechende Namen gibt es in diesem Buch auch einige - zum anderen die eines namenlosen Ich-Erzählers, dem Kind eines früheren Hausmeisters der Schule namens Snyde. Straitley ist die gute Seele von St. Oswald, er wird demnächst sein Century vollmachen, was ich nicht ganz verstanden habe. Denn Century heißt ja eigentlich Jahrhundert und er ist ja doch wesentlich jünger. Andererseits ist das Buch von 2005/2006 (10 Jahre später gab es diese Neuauflage) und vielleicht meint er einfach das Ende des 20. Jahrhunderts. Eine genaue Jahreszahl bekommen wir im Gegensatz zu Daten (Tag und Monat), aber nicht. Es wird aber gerade alles digitalisiert an der Schule (PC-Räume) und von Smartphones gesprochen. Ich weiß nicht, ob die Autorin das Buch für den zweiten Release nochmal überarbeitet hat. Jedenfalls ist Straitley der Sympathieträger, den Schüler und Lehrer*innen gleichermaßen respektieren. Er ist alleinstehend und quasi mit der Schule “verheiratet” und bringt uns als Lesenden die Insiderinfos. Dann ist da eben diese Ich-Erzählinstanz, die davon berichtet, wie sie als Kind des Hausmeisters in einem Häuschen auf dem Schulgelände mit dem Vater aufgewachsen ist, die Mutter hat beide früh verlassen. Diese Person, die auf die öffentliche Schule gehen musste, ist fasziniert von St. Oswald und legt sich eine zweite Identität als “Pinchback” zu, einem Phantom-Schüler, der in seiner Freizeit und teilweise auch während der regulären Schulzeit, durch die Gänge der Eliteschule streift. Dort trifft Pinchback eines Tages auf den etwas älteren Schüler Leon Mitchell und verliebt sich in ihn. Damit nimmt das Schicksal seinen Lauf.

Das ist der Kern der Geschichte, allerdings gibt es sehr viel Überbau, der hier auch noch erzählt wird. Es scheint mir, als wollte die Autorin die Atmosphäre haarklein schildern, um bei den Lesenden das Gefühl zu erzeugen, sie würden die Schule in und auswendig kennen. Eine Schule hat allerdings ziemlich viel Personal und ja, jeder Lehrer wird hier “besprochen” und auch eine Menge Schüler, vor allem die aus der Lateinklasse von Mr. Straitley. Der ist natürlich schon sehr sympathisch als Charakter, allerdings war mir die Handlung als Ganzes viel zu langatmig. Der große Twist am Ende war schon überraschend, aber leider auch ein wenig unglaubwürdig. 

Ein Buch, an dem ich gefühlt ewig gelesen habe. Es wundert mich nicht, dass es nicht ins Deutsche übersetzt wurde, zumindest wüsste ich nichts davon. Blieb leider hinter den Erwartungen zurück, obwohl ich das Cover immer noch sehr feiere.