Sonntag, 12. Mai 2024

"Convenience Store Woman" von Sayaka Murata

“Convenience Store Woman” - ein hochgelobter Kurzroman der japanischen Bestseller-Autorin und Literaturpreisträgerin Sayaka Murata (*1979). Auf Deutsch als “Die Ladenhüterin” beim Aufbau Verlag erschienen. Ich habe die englische Übersetzung von Ginny Tapley Takemori (Granta Books) gelesen.

Es geht um die Protagonistin und Ich-Erzählerin Keiko Furukura, 36, die seit 18 Jahren in einem Convenience Store, auf Japanisch Konbini, arbeitet, die es in Japan an jeder Ecke gibt. Sie ist dort angestellt, seit es den Store gibt und die einzige Mitarbeiter:in, die seit Anfang an dabei ist. Ihr geplantes Studium hat sie nicht weitergeführt und nie woanders gearbeitet. Ihr Privatleben ist ähnlich unspektakulär: Während ihre jüngere Schwester bereits Mann und Kind hat, hatte Keiko noch nie eine Beziehung oder s*xuelle Erfahrungen. Auch war sie noch nie verliebt und hat nur eine einzige Freundin (Miho). Sie lebt in einem bescheidenen Einzimmerappartement und arbeitet 5 Tage die Woche im Store. Ihr Alltag plätschert so dahin, bis eines Tages eine Aushilfe namens Shiraha ihr bislang unaufgeregtes Leben durcheinander wirbelt.

Keiko ist wenig empathisch bzw. kann sich in andere nur schwer einfühlen. Ihre Emotionslosigkeit ist aber nicht nur auf andere bezogen, auch in ihrem Inneren sind starke Gefühle kaum auszumachen. Zudem kommt, dass sie nicht weiß welche Reaktionen in bestimmten gesellschaftlichen Situationen von ihr erwartet werden. Soziale Konventionen sind ihr nur insoweit nicht fremd, sofern sie sich auf ihre über Jahre perfektionierten Tätigkeiten im Store beziehen. 

Sehr kunstvoll gemacht finde ich die Tatsache, dass Keiko quasi mit ihrem Umfeld “verschmilzt”, also immer mehr ein Teil vom Convenience Store wird - quasi Mimikri. Sie adaptiert nicht nur den Sprachduktus ihrer Kolleg:innen, sie kauft ihre Kleidung auch bei dem Laden ein, bei dem ihre Kollegin Mrs. Izumi einkauft, weil sie denkt, dass Frauen in ihrem Alter sich so kleiden müssen, um sich ihrer gesellschaftlichen Umwelt anzupassen.

Für Keiko bedeutet die Monotonie der immer gleichen Handlungen, die im Store ausgeführt werden, die ultimative Form von Sicherheit. Sie möchte ihr Leben gar nicht wirklich ändern, obwohl fast alle Außenstehenden das von ihr erwarten. Einzig das Altern schreckt sie, denn dadurch ist ihrer sinnvollen Tätigkeit ein absehbares Ende gesetzt.

Dieses Buch ist ein Statement, weil es die Wertigkeit von “prekären” und von der Gesellschaft als niedrig eingestuften Arbeitsverhältnissen betont. Auch Mitarbeiter:innen in Convenience Stores sind ein wichtiges Rad im gesellschaftlichen Gefüge. Der Roman ist zudem autofiktional. Auch Sayaka Murata hat 18 Jahre in einem Konbini gearbeitet, bevor sie sich Vollzeit dem Schreiben widmete. Zudem hat mir gefallen, dass endlich mal das Thema “Erwachsene ohne Beziehungserfahrung” literarisch verarbeitet wurde. Oft fühlen sich diese Menschen als Außenseiter:innen, unansehnlich und nicht liebenswürdig. Es ist gut, dass das Thema mal angesprochen wird, gerade in unserer s*xualisierten Gesellschaft, in der Erwachsene ohne entsprechene Erfahrungen oft stigmatisiert werden und sich nicht trauen sich zu outen. 

Alles in allem ein sehr guter Kurzroman, der zum Nachdenken anregt. Empfehlung!


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