Im Herzen der moralischen Finsternis
"Hoch über ihren Köpfen gleitet geräuschlos eine weiße Eule über den schwarzen Himmel. Ein Schatten. Ein Geist. Ein Vorbote des Todes. Niemand bemerkt sie.” (S. 158) - Gänsehaut!
Es wird schwierig, diesen außergewöhnlichen Roman “Trophäe” von Gaea Schoeters (aus dem Niederländischen von Lisa Mensing) zu besprechen. Nicht nur hat die halbe Buchwelt ihn bereits gelesen und gefeiert, sondern ich war auch bei einer Lesung der Autorin und habe ihre Worte dazu noch sehr genau im Ohr. Sich ganz davon zu lösen scheint mir nahezu unmöglich - und vielleicht auch nicht nötig - aber ich möchte gern hauptsächlich eigene Worte finden, um dieses ganz besondere Buch zu rezensieren.
Hunter White, der Name ist Programm und Parabel zugleich, ist gefährlich. Er ist gefährlich, weil er sich seinen eigenen moralischen Kodex zusammengestellt hat. Eine Sicht der Dinge, die mit einer humanen Ethikvorstellung nicht mehr viel zu tun hat: “ Wenn Ranger Wilderer erschießen, ist das [...] erlaubte Notwehr; wenn Wilderer auf Ranger schießen, ist das Mord.” (S. 57). Er glaubt, nur er habe die Lizenz zum Töten, zumindest zum Töten des von ihm mit einem 6-stelligen Betrag “bezahlten” Nashorns. Der Jäger aus der westlichen Welt, der eigentlich Börsenspekulant und Immobilienmagnat ist, kommt nach Afrika und erkauft sich beim zwielichtigen Ranger Van Heeren schlicht und einfach das Recht, eines der in Afrika heimischen Tiere, ein Spitzmaulnashorn, zu jagen. Er will seine “Big Five” vollmachen. Doch der Schuss geht im wahrsten Sinne des Wortes nach hinten los. Um seine Frustration zu bekämpfen, sucht er sich ein neues Ziel aus und zwar eines, das noch viel fragwürdiger erscheint: einen indigenen Jäger…
Obwohl ich seit Kindheit Vegetarierin bin und mit Jagd nichts am Hut habe, bin ich schlicht und einfach fasziniert von diesem Buch, in dem es eigentlich nur ums Töten geht. Obwohl ich an manchen Stellen den Würgereiz kaum unterdrücken konnte, konnte ich das Buch dennoch kaum aus der Hand legen. Paradox, aber genau das leistet gute Literatur, nämlich dass man plötzlich eine völlig andere Position einnehmen kann als die eigene. Wie die Autorin es geschafft hat, den afrikanischen Busch und die dortigen Vorgänge von ihrem belgischen Schreibtisch aus zum Leben zu erwecken, ist aller Ehren wert. Sie hat, so sagt sie und so wird es in “Trophäe” mehr als deutlich, sehr viel und gründlich recherchiert: Wann jagen Skorpione (nicht bei Vollmond), können Laufkäfer rückwärts laufen (nein), welche Savannengeräusche sind zu welcher Tages- und Nachzeit hörbar, wie greifen die bestimmten Tierarten an und wie gefährlich sind sie. Die Liste ist beliebig erweiterbar.
Die Welt der indigenen Jäger zu “erlesen” war eine ganz besondere Erfahrung, die wohl wenig Außenstehende in der Realität wirklich zu sehen bekommen. Sie tanzen im Buch andere Tänze als für die zahlenden weißen Touris. Die metaphysische Komponente des Romans hat mich gleichermaßen irritiert und fasziniert, wenn auch aus einer sehr nüchternen Beobachter-Perspektive heraus. Tanz, Trance und Träume: “Niemand ist noch jemand, niemand ist noch er selbst, jeder ist jeder und alle sind eins.” (S. 158) Auch Hunter wird von Erinnerungen heimgesucht, vor allem an seinen Vater und Großvater, die selbst Jäger waren. Ihre Erfahrungen und Jagd-Geschichten vermischen sich mit der afrikanischen Realität und Umwelt vor seinen Augen: Tagträume, Halluzinationen.
Hunter ist, so sagte die Autorin, eher eine Parabel als ein realitätsnaher Protagonist. Deswegen auch der plakative Name Hunter White. Er steht für etwas, für den “White Gaze”, also die weiße Sicht auf Afrika, natürlich extrem zugespitzt. Auch seine Frau, die als Charakter nur ganz am Ende kurz auftaucht, aber in Hunters Gedankenwelt eine größere Rolle spielt, kommt mir sehr überzeichnet vor. Ihre Schrumpfkopfsammlung und Vorliebe für Mumien ist schon sehr bizarr und ich kann mir keinen weiblichen (vernünftigen) Menschen vorstellen, der wirklich so einer morbiden Leidenschaft nachgeht.
Als mir die Autorin nach der Lesung das signierte Buch überreichte, sagte sie mit einem Augenzwinkern: “Ich würde ja sagen ‘viel Spaß’, aber…”. Nein, Spaß im herkömmlichen Sinne hat man beim Lesen dieses Buches sicher nicht. Schoeters spielt mit unseren Moralvorstellungen und bringt uns an die Grenzen des Erträglichen. All das in einer glasklaren Erzählweise, in der kein Wort überflüssig ist. Ein faszinierender Roman, den sicher keiner, der ihn liest, je vergessen wird.
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