Sonntag, 29. September 2024

"Der verschwundene Buchladen" von Evie Woods

Wie kann ich “Der verschwundene Buchladen” von Evie Woods (aus dem Englischen übersetzt von Ivonne Senn für Adrian & Wimmelbuchverlag), ein Buch, das gerade die Bestsellerliste emporklettert und mit einem wunderschönen Cover und originellem Farbschnitt optisch ins Auge fällt, am besten beschreiben? Es ist ein Buch über Bücher, Geschichten (auch Lebensgeschichten) und die Magie von Büchern, Manuskripten und Buchhandlungen. Dabei sind ein historischer Roman (Handlung 1921-1923) und ein Gegenwartsroman, der sich 100 Jahre später abspielt (also in unser eigenen Zeit angesiedelt ist) kunstvoll ineinander verschränkt. Das Buch wird abwechselnd aus der Perspektive von drei Personen erzählt: Opaline Carlilse in der Vergangenheit, Martha und Henry in der Gegenwart. Dreh- und Angelpunkt der Handlung auf beiden Zeitebenen ist ein Buchladen in der fiktiven Ha'penny Lane in Dublin, der mal verschwunden ist und mal nicht. Damit ist der Roman tief in der Tradition des Magischen Realismus verankert. Denn der Buchladen und die von ihm ausgehende Magie sind der einzige “Fantasy-Aspekt” in diesem Roman.

Wer jetzt so wie ich vor der Lektüre denkt, das klingt alles ziemlich cosy und gemütlich, ein Wohlfühlbuch für Bibliophile, den muss ich leider teilweise enttäuschen. In diesem Buch finden wir zwar Bücher und Geschichten an jeder Ecke, aber leider auch und vor allem psychische und physische Gewalt, Gaslighting, toxische Männlichkeit, Sucht, etc. Richtig heavy Triggertopics, die ich aufgrund des Klappentextes nicht erwartet hätte. 

Die Engländerin Opaline flieht vor ihrem 20 Jahre älteren Bruder Lyndon, der sie in eine Zwangsehe stecken möchte. Sie hat von ihrem Vater eine Leidenschaft für Bücher vererbt bekommen und möchte Buchhändlerin werden. In Paris trifft sie Sylvia Beach, die historische Gründerin von “Shakespeare & Company” und heuert dort als Aushilfe an. Doch das wird nicht ihre letzte Station bleiben. Ihr Lieblingsbuch “Sturmhöhe” von Emily Brontë ist dabei eine Art Talisman für sie. Martha aus Irland hat die toxische Beziehung zu ihrem gewalttätigen Ehemann Shane hinter sich gelassen und fängt in der Ha'penny Lane in Dublin als Gesellschafterin der älteren Dame Madame Bowden an. Sie hat, was Bücher betrifft, eine negative Vergangenheit, doch in letzter Zeit scheinen sie Bücher und Geschichten quasi zu rufen. Vor allem der Bestseller “Normale Menschen” von Sally Rooney springt ihr ins Auge. Und dann wäre da noch Henry, Doktorand am Trinity College und Experte für alte Manuskripte. Er leidet unter seinem alkoholkranken Vater, der ihm schon seit seiner Kindheit das Leben schwer macht. Henry hat einen Buchladen entdeckt, der dann plötzlich nicht mehr da war - in der Ha'penny Lane...

Kann ein Buch gleichzeitig gut und schlecht bzw. literarisch und trivial sein, so wie Schrödingers Katze gleichzeitig tot und lebendig ist? Ja, das geht, “Der verschwundene Buchladen” ist so ein Buch. Es ist kitschig wie nur irgendwas, melodramatisch wie eine Seifenoper bzw. "Der Graf von Monte Christo” (der im Buch übrigens auch mal vorkommt) und unrealistisch bis in die kleinsten Verästelungen der Bäume, die in Marthas Zimmer wachsen. Hier werden seltene Manuskripte mal so nebenbei gefunden - und zwar genau die, die man gesucht hat. (Frauen-) Schicksale, die sich über die Zeiten spiegeln und dass alles mit allem und jeder mit jedem zusammenhängt, ist jetzt auch nicht gerade eine brandneue literarische Erfindung.

Gleichzeitig ist der Roman aber spannend wie ein Krimi, ein herrlicher Schmöker, den man nicht aus der Hand legen möchte, geschrieben von einer klugen und sehr belesenen Autorin. Es kommt sehr selten vor, dass ein Buch an einer Stelle genervtes Augenrollen verursacht und im nächsten Moment die Wehmut des bevorstehenden Trennungsschmerzes, wenn ich es gleich aus der Hand legen muss, um meinen alltäglichen Verrichtungen nachzugehen. Letztes hat dann aber überwogen und in der Rückschau sind auch die positiven Gefühle, die ich beim Lesen hatte, in der Mehrheit. Der Farbschnitt mit der Hausfassade, hat mir beim Lesen tatsächlich Freude bereitet - ich muss definitiv offener gegenüber solchem Schnickschnack werden. 

Die bezaubernde Hintergrundgeschichte um den verschwundenen Buchladen ist tatsächlich originell und entschädigt für viele unglaubwürdige Momente der Handlung. 

Ich hoffe ihr wisst jetzt, auf was ihr euch bei diesem Buch einlassen würdet und wenn ihr es tut, wünsche ich euch ein angenehmes Leseerlebnis, bei dem ihr wahrscheinlich das ein oder andere Auge zudrücken müsst.

Herzlichen Dank an Adrian & Wimmelbuchverlag sowie buchcontact für das Rezensionsexemplar!




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