Amour fou mit dem eigenen Mann
Achtung Ironie! Für viele Frauen in einer heteronormativen Ehe ist der eigene Mann nach einiger Zeit mit einem Möbelstück gleichzusetzen: Es ist gut, dass er da ist, ist immer genau an seinem Platz (auf dem Sofa, der Toilette oder vor dem PC), aber er fällt auch nicht mehr groß auf. Er ist wie ein bequemer alter Sessel, in den man sich manchmal fallen lässt, der aber auch oft im Weg rumsteht und gelegentlich abgestaubt werden muss. Kurzum: Er erfüllt seinen Zweck. Was aber nicht heißen muss, dass die Frau beim letzten Familienbesuch im Möbelhaus die anderen, neuen Sessel mit dem aufregenden floralen Muster nicht zumindest aus dem Augenwinkel ein wenig abgecheckt hätte.
Nicht so ergeht es der vierzigjährigen namenlosen Ich-Erzählerin aus “Mein Mann” von Maud Ventura, aus dem Französischen von Michaela Meßner. Die Englischlehrerin und Übersetzerin ist von ihrem Mann so besessen, dass sie am liebsten rund um die Uhr mit ihm zusammensein würde. Selbst ihre beiden Kinder (7 und 9) liebt sie nicht so wie sie ihn liebt, ihren Mann. Dieser Roman ist unglaublich raffiniert erzählt. Die Ich-Erzählerin macht uns Lesende zu Kompliz:innen, zu Mittäter:innen ihrer ungesunden Obsession, die sie Liebe nennt. Durch die Entscheidung, ihren Mann stets nur als “mein Mann” zu bezeichnen, raubt sie ihm jede Identität und Individualität. Er wird zur Persona, zum Jedermann, zur Projektionsfläche für die Vorstellungen der Lesenden. Der Roman einer Entmenschlichung? Auf gewisse Weise schon.
Es geht hier um die Dynamiken, wie sie in einer Ehe und unter Paaren vorkommen. Um Rollenverteilung und die kleinen Enttäuschungen, die man sich im Laufe der Partnerschaft zugefügt hat. Um die enttäuschten Erwartungen, die man der anderen Person gegenüber nie artikuliert hat
Die Beziehung der Ich-Erzählerin und ihres Mannes wird von ihr unter ein Brennglas gelegt. Sie seziert seine Liebe zu ihr, möchte ganz genau wissen, wie sehr ihr ihr Mann noch zugeneigt ist. Und dafür ist ihr jedes Mittel recht.
Besonders spannend fand ich die Tatsache, dass die Ich-Erzählerin Synästhetin ist und zum Beispiel die Wochentage mit bestimmten Farben assoziiert. So ist der Montag blau, der Dienstag schwarz, der Mittwoch orange, etc. Und diesen Farben werden bestimmte Eigenschaften zugesprochen, die auch mit den jeweiligen Tagen assoziiert werden.
Das Paradoxe an meiner Leseerfahrung: Selten habe ich eine so große Distanz zu einer Protagonistin empfunden - ich konnte mich null mit ihr identifizieren - und gleichzeitig das Buch genossen. Normalerweise möchte ich Protagonist:innen sympathisch finden und etwas von mir in ihren wiederfinden. Aber dieses Mal war es regelrecht angenehm und kathartisch dieses nicht zu tun.
Spoiler: Das Buch war für mich wirklich ein ungewöhnliches Leseerlebnis, die Obsession der Protagonistin konsequent, bis zu dem Punkt, wo sie zum ersten Mal fremdgeht. Ja, zum ersten Mal, denn am Ende wird sie zweimal in einer Woche mit zwei verschiedenen anderen Männern schlafen. Natürlich kennen wir dieses Motiv von Maud Venturas Schriftstellerkolleginnen wie z.B. Leïla Slimani und Maria Pourchet. Dennoch dachte ich, dass dieses Buch hier anders ist, weil eben alle Aufmerksamkeit der Protagonistin auf ihren eigenen Mann gerichtet ist. Dass die Autorin aus diesem hervorragend originellen Konzept ausbricht, fand ich sehr schade, zumal das erst im letzten Drittel des Romans passiert (eigentlich ist Donnerstag ihr “Fremdgehtag”).
Bis auf diesen Wermutstropfen fand ich den Roman allerdings erfrischend anders und absolut lesenswert.
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