Wir sahen einander an, und der Sonnenuntergang in der Western Lane färbte die Schmierflecken an den Wänden orange und pink. Auf dem Jahrmarkt versuchte das todtraurige Pferd den Kopf zu heben.” (S. 175)
In “Western Lane” von Chetna Maroo (übersetzt aus dem Englischen von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann für Luchterhand), der 2023 auf der Shortlist des renommierten Booker Prize stand, geht es um das Thema Sport als Methode der Trauerverarbeitung. Ist es uns möglich, seelische Prozesse durch körperliche Bewegung zu unterstützen, Trauer zu unterdrücken oder ihre Verarbeitung zu beschleunigen?
Die drei Schwestern Gopi (11), Khush (13) und Mona (15) haben ihre Mutter verloren. Zusammen mit ihrem Vater, der im Buch nur Pa genannt wird, leben sie in einer - wenn ich mich nicht täusche - ungenannten Stadt England (in der Nähe von London). Eines Tages ermuntert der Vater seine drei Kinder dazu, sich mehr zu bewegen und sie beginnen mit dem Squash-Training in der Western Lane. Gopi, die Ich-Erzählerin des Romans, lernt dort Ged (13) kennen, sie trainieren zusammen und freunden sich an. Doch dann droht sich die Familiensituation erneut zu verändern, außerdem wird Gopi immer besser im Squash…
Gopis Familie sind Jains, sie gehören also einer indischen religiösen Minderheit an, die zum Beispiel Vegetarismus/Veganismus propagiert bzw. die Nichtverletzung von Lebewesen und die Welt in Geistiges und Ungeistiges einteilt. Das Geistige sind die unterschiedlichen Seelen, das Ungeistige wird in 5 Kategorien unterteilt: Bewegung, Ruhe, Raum, Stoff und Zeit (Quelle: Wikipedia). Die Vorstellungen der Jains ziehen sich durch den Roman. So wird die vegetarische Ernährung vor allem am fast täglichen Lieblingsgericht des Vaters - Linsen Dal mit Reis - illustriert. Das Pferd auf dem Jahrmarkt wird als jämmerliche und einsame Kreatur von Gopi sehr bedauert - im Jainismus haben auch Tiere eine Seele. Die Verletzung des Vaters durch Gopi während des Squash ist eine große Sache. Die Seele der Mutter wird oft thematisiert, Gopi sieht ihr wohl am ähnlichsten. Was das Ungeistige betrifft, so sind die Themen Bewegung und Ruhe im Hauptthema des Romans - dem Squash-Sport - präsent, der sehr kräftezehrend ist, gerade auch für Heranwachsende.
Obwohl Squash ein sehr lauter Sport ist, ist dieses Buch vor allem eins: leise. Irgendwie verleiht es ein warmes Gefühl, diesen Roman zu lesen. Das mag an der innigen Interaktion der Schwestern oder der zarten Annäherung von Gopi und Ged liegen. Sprache und Erzählstruktur stechen nicht heraus, allerdings macht das Buch dies mit seiner warmherzigen Story und der starken Ich-Erzählerin einigermaßen wett. Ein sehr guter Roman also, der meines Erachtens aber nicht auf der Shortlist des “Booker Prize” hätte stehen müssen. Dafür ist er etwas zu gefällig, zu wenig spröde und zu sehr ganz eindeutig Debütroman. Es mag aber sicher Lesende geben, die für sich das Hervorragende in diesem meines Erachtens sehr guten literarischen Roman finden werden. Auf jeden Fall ist er sehr lesenswert für alle, die leise und warmherzige Coming-of-Age-Geschichten mögen und die das Thema Trauer (Tod der Mutter in ihren frühen Vierzigern) nicht scheuen.
Herzlichen Dank an Luchterhand und Team Bloggerportal für das Rezensionsexemplar!
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