Mittwoch, 16. Oktober 2024
"Von Norden rollt ein Donner" von Markus Thielemann
Samstag, 12. Oktober 2024
"Das geheime Leben der Eule" von John Lewis-Stempel
Der Engländer John Lewis-Stempel (geb. 1967) ist zurecht einer der renommiertesten “Natur-Schriftsteller” unserer Zeit. Er lebt als Landwirt und Autor in England und Frankreich und teilt seine preisgekrönten Naturbeobachtungen seit Jahren mit einer immer weiter wachsenden Fangemeinde.
In “Das geheime Leben der Eule” (übersetzt von Sofia Blind) wendet sich der Autor eben jener ornithologischen Spezies zu, die die Menschen schon seit Jahrtausenden fasziniert. Eulen zu begegnen ist nicht einfach, denn die meisten Arten leben und jagen, während wir Menschen schlafen. John Lewis-Stempel aber leitet sein Buch mit “Old Brown” ein, einer Eule, die auf seinem Land lebt: “Der Waldkauz im Drei-Morgen-Wald gleitet manchmal über meinen Kopf hinweg, wenn er seine Abendrunde dreht. [...] Wenn er im Dunkeln über mich hinwegfliegt, ist er nur ein Hauch, eine unsichtbare Präsenz.” (S. 11)
Eulen haben etwas Mystisches an sich - wahrscheinlich weil sie so wenig greifbar für den Menschen sind, sich seiner Anwesenheit entziehen. Nicht umsonst galten Eulen in vielen Kulturen als Todesboten, aber auch als Symbole von Weisheit, wie es der Autor im Kapitel “Eulen und Menschen” ausführt.
Mit sehr viel Bewunderung und Respekt berichtet Lewis-Stempel über die “Strigidae”, die größeren Eulenarten und die “Tytonidae”, die kleineren Arten. Nacheinander werden die unterschiedlichen, in Europa heimischen Eulen, in kurzen Kapiteln vorgestellt: Schleiereule - Waldkauz - Schneeeule - Steinkauz - Sumpfohreule - Waldohreule - Uhu. Die seltenen Arten werden nur in einem kurzen Abschnitt erwähnt: Zwergohreule - Sperbereule - Raufußkauz. Wir lernen etwas darüber, wie diese Eulen jagen, nisten, leben und wie ihr Bestand ist. Auch eine kulturgeschichtliche Einordnung der einzelnen Arten nimmt er vor.
Obwohl hier - wie es sich für ein gutes Sachbuch gehört - viel Sachwissen vermittelt wird, kommt das niemals dröge oder verkopft rüber. Lewis-Stempel lebt und liebt sein Sujet, man könnte ihm stundenlang “zuhören”.
Der Engländer John Lewis-Stempel (geb. 1967) ist zurecht einer der renommiertesten “Natur-Schriftsteller” unserer Zeit. Er lebt als Landwirt und Autor in England und Frankreich und teilt seine preisgekrönten Naturbeobachtungen seit Jahren mit einer immer weiter wachsenden Fangemeinde.
In “Das geheime Leben der Eule” (übersetzt von Sofia Blind) wendet sich der Autor eben jener ornithologischen Spezies zu, die die Menschen schon seit Jahrtausenden fasziniert. Eulen zu begegnen ist nicht einfach, denn die meisten Arten leben und jagen, während wir Menschen schlafen. John Lewis-Stempel aber leitet sein Buch mit “Old Brown” ein, einer Eule, die auf seinem Land lebt: “Der Waldkauz im Drei-Morgen-Wald gleitet manchmal über meinen Kopf hinweg, wenn er seine Abendrunde dreht. [...] Wenn er im Dunkeln über mich hinwegfliegt, ist er nur ein Hauch, eine unsichtbare Präsenz.” (S. 11)
Eulen haben etwas Mystisches an sich - wahrscheinlich weil sie so wenig greifbar für den Menschen sind, sich seiner Anwesenheit entziehen. Nicht umsonst galten Eulen in vielen Kulturen als Todesboten, aber auch als Symbole von Weisheit, wie es der Autor im Kapitel “Eulen und Menschen” ausführt.
Mit sehr viel Bewunderung und Respekt berichtet Lewis-Stempel über die “Strigidae”, die größeren Eulenarten und die “Tytonidae”, die kleineren Arten. Nacheinander werden die unterschiedlichen, in Europa heimischen Eulen, in kurzen Kapiteln vorgestellt: Schleiereule - Waldkauz - Schneeeule - Steinkauz - Sumpfohreule - Waldohreule - Uhu. Die seltenen Arten werden nur in einem kurzen Abschnitt erwähnt: Zwergohreule - Sperbereule - Raufußkauz. Wir lernen etwas darüber, wie diese Eulen jagen, nisten, leben und wie ihr Bestand ist. Auch eine kulturgeschichtliche Einordnung der einzelnen Arten nimmt er vor.
Obwohl hier - wie es sich für ein gutes Sachbuch gehört - viel Sachwissen vermittelt wird, kommt das niemals dröge oder verkopft rüber. Lewis-Stempel lebt und liebt sein Sujet, man könnte ihm stundenlang “zuhören”.
Ganz toll für Literaturliebhaber*innen sind die Gedichte, die sich zwischen den Kapiteln befinden und manchmal auch den sachlichen Text unterbrechen. In ihnen haben Dichtende wie Charles Baudelaire, Alfred Tennyson, Edward Lear, u.a., ihre Faszination für die Eule in unsterbliche Verse gebannt. Abseits von Gedichten haben Schriftsteller*innen schon seit jeher Eulen in ihre Texte aufgenommen, um ihnen eine mystische Komponente zu verleihen. Selbst Shakespeare nutzte die Eule, um symbolhaft auf Unheil oder unheimliche Vorgänge zu verweisen.
Die Bücher von John Lewis-Stempel zu lesen ist Entschleunigung pur. Ich liebe Literatur bzw. literarische Fiktion, aber meist hat sie Menschen zum Thema. In diesem und den anderen Büchern von Lewis-Stempel stehen aber die Tiere und die Natur im Mittelpunkt. Wie befreiend ist es, zuweilen etwas zu lesen, was einfach nichts mit dem Menschlichen zu tun hat.
Wer “Nature Writing” liebt, der kommt an Lewis-Stempel nicht vorbei. Herausragendes Sachbuch für Eulen-Liebhaber:innen.
Dienstag, 8. Oktober 2024
"Missouri" von Christine Wunnicke
Sonntag, 6. Oktober 2024
"Der andere Mozart" von Eveline Hasler
“Der einsam in seiner Wohnung Lebende komponiert ‘Die Zauberflöte’. Die Musik wächst ihm zu: Bäume aus ausserirdischen Gärten, ihre Zweige biegen sich ihm entgegen. Klänge lassen sich wie reife Früchte pflücken…Dem Einsamen erfüllen sie die innere Leere, Mozart wird zu seiner Musik. (S. 159)
Mozart - Ein absolutes Genie, ein ziemlicher Freak und trotz all seiner überlieferten Briefe ein Mysterium. Da liegt es doch nahe, dass uns ein Buch mit dem Titel “Der andere Mozart” eine neue, unbekanntere, ja tatsächlich “andere” Seite des Genies offenbaren würde.
In “Der andere Mozart” werden Episoden aus dem Leben Mozarts erzählt. Im Großen und Ganzen chronologisch, die relativ kurzen Kapitel sind einzelnen Themenkomplexen oder Personen aus Mozarts Leben gewidmet. Das alles geschieht mit einer gewissen auktorialen Distanz, mit der die Erzählinstanz über die bewegte Biographie des wahrscheinlich berühmtesten Musikers in der Geschichte der Menschheit berichtet. Oft lässt sie ihn selbst durch seine überlieferten Briefe zu Wort kommen (“Hören wir, was Mozart seinem Vater nach Salzburg darüber berichtet:”, S. 46). Gelegentlich aber wird Mozarts Partei ergriffen, zum Beispiel wenn es um die elterlichen Vorbehalte bezüglich der Eheschließung von Konstanze und Mozart geht (“Hat das Mädchen in einem Laden geklaut? Prostituiert es sich? Ach wo!”, S. 48).
In “Der andere Mozart” geht es vor allem darum, unter welchem finanziellen Druck das Genie arbeiten musste. Ständig ging es in Mozarts Leben um das liebe Geld und um Existenzängste. Eine Oper war zwar dem künstlerischen Ruhm förderlich, brachte aber nicht besonders viel Geld ein. Also musste er u.a. reichen Damen Musikunterricht geben und Gönner bzw. Kreditgeber finden, um seinen Lebensstandard zu halten. Auch der Familie seiner Frau, den Webers, war Mozarts unsichere Einkommenssituation ein Dorn im Auge. Dies führte u.a. dazu, dass er die Weber-Tochter Aloisia nicht heiraten durfte und deren Schwester Konstanze nur unter großen Vorbehalten. Wie wir alle wissen, Mozart starb letztlich mit nur 35 Jahren in prekären Verhältnissen, verscharrt in einem Wiener Armengrab.
“Der andere Mozart” hat im Untertitel “Eine Novelle”, was ich etwas irreführend finde. Denn für eine Novelle ist das Thema doch ein wenig zu biographisch allumfassend, es wird sich nicht auf ein erzählerisches Ereignis im Leben Mozarts konzentriert. Zwar nimmt Mozarts Begegnung mit dem Schweizer “Riesen” Thut einen gewissen Raum ein, alleiniger Inhalt des Buches ist sie aber bei weitem nicht. Der Riese von über 1m 30cm, der vorgeführt wird als Kuriosität und Mozart, sie entdecken Gemeinsamkeiten. Zwei Riesen - der eine an Körpergröße, der andere an Genie?
Letztlich ist “Der andere Mozart” eine kurze biographische Abhandlung in Erzählform, bei der wir allerlei Interessantes erfahren (sofern wir natürlich keine Mozart-Experten sind). Über Mozarts Persönlichkeit lernen wir viel durch seine eigenen Worte. Letztlich hätte ich mir aber noch mehr schriftstellerische Interpretation gewünscht - so stark vom überlieferten Mozartbild weicht Haslers Mozart nicht ab. Er hätte ruhig noch etwas mehr “anders” sein können.
Was unbedingt erwähnt werden muss: Die Autorin Eveline Hasler hat das Buch im Jahr 2023 geschrieben. In diesem Jahr wurde sie neunzig Jahre alt. Meiner Meinung nach ist das ein Verdienst, vor dem jeder, der das Buch zur Kenntnis nimmt, seinen Hut ziehen muss. Wie viele 90jährige sind schon bekannt, die Bücher schreiben und noch dazu solche, für die ein gewisses Rechercheaufkommen notwendig wird? Von daher muss das Buch unbedingt unter Berücksichtigung des Alters seiner Verfasserin bewertet werden.
Ein schönes kleines Büchlein für Mozart-Interessierte, das einem mal wieder in Erinnerung ruft, dass auch Genies auf ihrem Gebiet oftmals nicht von ihrer Kunst leben können. Lesenswert, aber nicht so “anders” wie erhofft.
Herzlichen Dank an Harper Collins Germany und Nagel & Kimche für das Rezensionsexemplar!
Donnerstag, 3. Oktober 2024
"Intermezzo" von Sally Rooney
Die Schönheit des Lebens sehen, trotz allem
“In diesem Moment erschöpfter Zufriedenheit, ihre Hand auf dem weißen Leinentischtuch ruhend, Ivans Fingerspitzen, die sie berühren, die Kerze, an der langsam ein Wachsfaden herabtropft, der glänzende Klavierdeckel, hat Margaret das Gefühl, dass sie die wundersame Schönheit des Lebens selbst erkennt, das nur einmal gelebt werden kann und dann für immer vergangen ist, die Blüte einer perfekten und vergänglichen Blume, die niemals wiedererlangt werden kann.” (S. 199)
Sally Rooney hat sich als Autorin weiterentwickelt - und zwar sehr. So ist zumindest meine Meinung, denn ihren ersten Roman - “Gespräche mit Freunden” - mochte ich überhaupt nicht. Die beiden nachfolgenden Bücher habe ich trotz des sich aufbauenden Hypes komplett ignoriert. Und jetzt, fünf Jahre nach meiner ersten Leseerfahrung, habe ich mich dazu entschlossen, wieder zu Sally Rooney zurückzukehren. “Intermezzo” hat mich einfach angesprochen, trotz meiner Rooney-Skepsis: Das Schach-Thema, der Titel, das Cover und letztlich die Aussicht, dass es nicht in erster Linie um ein Liebespaar gehen würde, sondern um zwei Brüder - das alles hat mich davon überzeugt zuzugreifen. Und ich sage jetzt schon mal: Ich habe es diesmal nicht bereut.
“Intermezzo” ist das perfekte Buch für die “melancholische” Jahreszeit. Beginnend im Oktober und Ende Dezember endend, spielt sich die Handlung vor allem in Innenräumen und im Inneren der Personen ab. Ein reflexives, nachdenklich machendes Buch, in dem die in Dublin lebenden irisch-slowenischen Brüder Ivan und Peter Koubek den Verlust ihres Vaters betrauern, der im Frühherbst an Krebs verstarb. Und dabei denken sie über ihre Zukunft, aber vor allem über ihre Vergangenheit und Gegenwart nach. Ivan ist gerade mit dem Studium fertig, er verdient sich was nebenher in einem It-Job, seine Leidenschaft gilt aber vor allem dem Schachspiel, in dem er zunehmend Erfolge aufweisen kann. Bei einem Turnier in der Provinz lernt er Margaret kennen, die Leiterin eines Kulturzentrums und verliebt sich in sie. Peter ist Jurist und als Rechtsberater tätig. Er steht mitten im Leben - und ist doch ziemlich verloren darin. Außerdem steht er zwischen zwei Frauen, der jungen Naomi und seiner Ex-Freundin Sylvia - und kämpft mit seinen Süchten…
Man kann von Sally Rooney halten, was man will. Aber sie ist eine brillante Chronistin unserer Zeit, die “Marcel Proust” unserer Tage. Was sie hier in ihren Figuren zum Ausdruck bringt, ist nichts weniger, als das Lebensgefühl der Generationen Y und Z. Die Handlung spielt im ausgehenden Pandemie-Jahr 2021, Ivan ist 1999 geboren und damit “Generation Z”, sein älterer Bruder Peter Jahrgang 1989, was ihn zum “Millennial” oder zum Angehörigen der “Generation Y" macht. Das Lebensgefühl dieser beiden Generationen zeichnet sich aus, durch eine scheinbar unendliche Vielfalt an Möglichkeiten, das eigene Leben zu gestalten. Dies geht einher mit einer Wehmut, all die verpassten Möglichkeiten betreffend und außerdem mit einem Gefühl der Orientierungslosigkeit. Darüberhinaus geht es in diesem Roman auch viel darum, wie stark unser Alter uns definiert und determiniert. Allein durch das Geburtsjahr in unserem Ausweis werden wir in eine “Lebensphase-Schublade” gesteckt, aus der wir bestenfalls nicht ausbrechen sollten, weil sonst allerlei Probleme auf uns zukommen. Durch ihre Beziehung mit 14 Jahren Altersunterschied und der Besonderheit, dass die Frau die ältere ist, tun Ivan und Margaret genau das: Sie brechen aus den gesellschaftlichen Erwartungen an sie aus und müssen mit den Konsequenzen leben. Sally Rooney versteht es brillant den Schmerz zu schildern, der uns ereilt wenn wir erkennen, dass unsere Wünsche für uns nicht mit denen unseres Umfelds und unserer Gesellschaft zusammenpassen. Dass das Thema Liebe auch in Form der Liebe zwischen einem Menschen und einem Tier daherkommt, fand ich sehr schön und überraschend. Die innige Beziehung zwischen Ivan und seinem Hund, der nach dem Tod des Vaters herrenlos wird, hat mich sehr berührt und dem Roman nochmal eine andere Komponente verliehen.
Lasst uns über die Sprache sprechen, die in “Intermezzo” verwendet wird, denn hier kommt meines Erachtens schon eine gewisse Wortmagie zum Vorschein. Sally Rooneys enigmatische und gleichsam energische Prosa zu lesen, ist, wie mit der Hand über ein Stück Samt zu gleiten. Hier gibt es keine direkte Rede, keine Anführungszeichen, die den Fluss der Wörter einschränken. Sie sind nicht nötig, da man immer weiß, wer gerade denkt und wer spricht.
Ich mag ihre Beobachtungsgabe in “Intermezzo”. Ich mag es, wenn Literatur es schafft die Alltäglichkeit des Daseins in Sprache zu bannen. Wenn Großes gesagt wird und auch das Kleine und Allerkleinste festgehalten wird: “Im Schneidersitz auf dem Boden neben ihm. Die Knöchelsocken mit dem Streifen. Sylvia kommt mit einem Tablett mit Tee aus der Küche zurück. Ringelblumenmuster.” (S. 446). “Intermezzo” ist letztlich ein philosophischer Roman über die kleinen Dinge, die das Leben und seine Flüchtigkeit ausmachen. Im besten Fall regt er uns dazu an, nicht allzu sehr in Melancholie und Tristesse angesichts dieser Tatsache zu verfallen, sondern genauer hinzuschauen auf die Kleinigkeiten, die uns glücklich machen - weil sie uns daran erinnern, dass wir am Leben sind.
Ein brillantes Gesellschaftsportrait einer verlorenen Zeit, die gerade versucht - wie wir alle - das Beste draus zu machen.
Aus dem Englischen übersetzt von Zoë Beck.
Herzlichen Dank an Ullstein und vorablesen.de für das Rezensionsexemplar!