“Der einsam in seiner Wohnung Lebende komponiert ‘Die Zauberflöte’. Die Musik wächst ihm zu: Bäume aus ausserirdischen Gärten, ihre Zweige biegen sich ihm entgegen. Klänge lassen sich wie reife Früchte pflücken…Dem Einsamen erfüllen sie die innere Leere, Mozart wird zu seiner Musik. (S. 159)
Mozart - Ein absolutes Genie, ein ziemlicher Freak und trotz all seiner überlieferten Briefe ein Mysterium. Da liegt es doch nahe, dass uns ein Buch mit dem Titel “Der andere Mozart” eine neue, unbekanntere, ja tatsächlich “andere” Seite des Genies offenbaren würde.
In “Der andere Mozart” werden Episoden aus dem Leben Mozarts erzählt. Im Großen und Ganzen chronologisch, die relativ kurzen Kapitel sind einzelnen Themenkomplexen oder Personen aus Mozarts Leben gewidmet. Das alles geschieht mit einer gewissen auktorialen Distanz, mit der die Erzählinstanz über die bewegte Biographie des wahrscheinlich berühmtesten Musikers in der Geschichte der Menschheit berichtet. Oft lässt sie ihn selbst durch seine überlieferten Briefe zu Wort kommen (“Hören wir, was Mozart seinem Vater nach Salzburg darüber berichtet:”, S. 46). Gelegentlich aber wird Mozarts Partei ergriffen, zum Beispiel wenn es um die elterlichen Vorbehalte bezüglich der Eheschließung von Konstanze und Mozart geht (“Hat das Mädchen in einem Laden geklaut? Prostituiert es sich? Ach wo!”, S. 48).
In “Der andere Mozart” geht es vor allem darum, unter welchem finanziellen Druck das Genie arbeiten musste. Ständig ging es in Mozarts Leben um das liebe Geld und um Existenzängste. Eine Oper war zwar dem künstlerischen Ruhm förderlich, brachte aber nicht besonders viel Geld ein. Also musste er u.a. reichen Damen Musikunterricht geben und Gönner bzw. Kreditgeber finden, um seinen Lebensstandard zu halten. Auch der Familie seiner Frau, den Webers, war Mozarts unsichere Einkommenssituation ein Dorn im Auge. Dies führte u.a. dazu, dass er die Weber-Tochter Aloisia nicht heiraten durfte und deren Schwester Konstanze nur unter großen Vorbehalten. Wie wir alle wissen, Mozart starb letztlich mit nur 35 Jahren in prekären Verhältnissen, verscharrt in einem Wiener Armengrab.
“Der andere Mozart” hat im Untertitel “Eine Novelle”, was ich etwas irreführend finde. Denn für eine Novelle ist das Thema doch ein wenig zu biographisch allumfassend, es wird sich nicht auf ein erzählerisches Ereignis im Leben Mozarts konzentriert. Zwar nimmt Mozarts Begegnung mit dem Schweizer “Riesen” Thut einen gewissen Raum ein, alleiniger Inhalt des Buches ist sie aber bei weitem nicht. Der Riese von über 1m 30cm, der vorgeführt wird als Kuriosität und Mozart, sie entdecken Gemeinsamkeiten. Zwei Riesen - der eine an Körpergröße, der andere an Genie?
Letztlich ist “Der andere Mozart” eine kurze biographische Abhandlung in Erzählform, bei der wir allerlei Interessantes erfahren (sofern wir natürlich keine Mozart-Experten sind). Über Mozarts Persönlichkeit lernen wir viel durch seine eigenen Worte. Letztlich hätte ich mir aber noch mehr schriftstellerische Interpretation gewünscht - so stark vom überlieferten Mozartbild weicht Haslers Mozart nicht ab. Er hätte ruhig noch etwas mehr “anders” sein können.
Was unbedingt erwähnt werden muss: Die Autorin Eveline Hasler hat das Buch im Jahr 2023 geschrieben. In diesem Jahr wurde sie neunzig Jahre alt. Meiner Meinung nach ist das ein Verdienst, vor dem jeder, der das Buch zur Kenntnis nimmt, seinen Hut ziehen muss. Wie viele 90jährige sind schon bekannt, die Bücher schreiben und noch dazu solche, für die ein gewisses Rechercheaufkommen notwendig wird? Von daher muss das Buch unbedingt unter Berücksichtigung des Alters seiner Verfasserin bewertet werden.
Ein schönes kleines Büchlein für Mozart-Interessierte, das einem mal wieder in Erinnerung ruft, dass auch Genies auf ihrem Gebiet oftmals nicht von ihrer Kunst leben können. Lesenswert, aber nicht so “anders” wie erhofft.
Herzlichen Dank an Harper Collins Germany und Nagel & Kimche für das Rezensionsexemplar!
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