“Die Kugeln klickten. Douglas kratzte seine verschorfte Schläfe. Bisweilen blickten sie einander an und konnten dann lange nicht mehr damit aufhören. Es war sehr still, nur die kleinen Tiere der Dunkelheit scharrten und knisterten im Gras. Es gab wenig Luft zum Atmen, in jener Nacht am Missouri.” (S. 99)
Wenn jemand “queerer Western” schreit, dann löse ich sofort ein Ticket. “Missouri” von Christine Wunnicke ist so einer. Die Erzählung ist bereits um die dreißig Jahre alt und war in leicht veränderter Form ein Teil von Wunnickes Roman “Fortsecues Fabrik” von 1998. Der unabhängige Albino-Verlag hat die Erzählung unter dem Titel “Missouri” im Jahr 2020 neu aufgelegt.
Das Buch beschäftigt sich mit der Frage, wie unter den unwahrscheinlichsten aller Umstände Liebe entstehen kann zwischen zwei Menschen. Noch dazu zwischen zwei Männern in einer Zeit, in der diese Liebe pejorativ “Sodomie” genannt wurde und in vielen Teilen der Welt sogar strafbar war. Und dann noch dazu in einem fast rechtsfreien Raum, der sich seine eigenen Gesetze macht - zwischen einem Täter und seinem Opfer. Täter, das ist der Entführer Joshua Jenkyns, mütterlicherseits Omaha-Native, väterlicherseits Schotte. Er ist Bandit von Berufs wegen, ein richtiger Wildwest-Schurke. Jung und gut aussehend. Als er mit sechs Jahren seinen ersten Mann erschießt - eine der drastischsten Szenen dieses Buches, die sich ins Gedächtnis einbrennt - fällt ihm das erste Mal ein Buch in die Hände: Die Gedichte von Lord Byron. Fortan wird sein brutales Leben immer wieder von der Suche nach Poesie unterbrochen. Und Byron ist vergessen, als ihm die Lyrik des Dichters Douglas Fortsecue von ein paar Engländern nahegebracht wird. Joshua trägt sie von da an allezeit in seinen Satteltaschen und in seinem Herzen. Und wie es der Zufall - oder der schriftstellerinnenische Wille - will, fährt ihm und seiner verbrecherischen Entourage die Kutsche mit ebendiesem Fortsecue vor den Colt. Der Dichter und sein Bruder sind aus England geflohen, wollen Land kaufen in der Neuen Welt. Doch was sind schon Besitz und Geld, wenn man die Liebe eines Banditen gewinnen kann?
Das Buch geht sehr vertieft in die Charakterisierung der beiden Protagonisten und sowas mag ich immer sehr. Wie kamen sie zu dem Punkt im Wilden Westen der 1840er Jahre, wo sie buchstäblich übereinander herfallen und von da an einander verfallen sind? Der dekadente Dichter, der sich die Haare färbt und der schöne Gesetzlose, der von Läusen geplagt wird - ein ungleiches Paar. Auch Humor ist ein großes Thema, wobei einem das Lachen an den meisten Stellen definitiv im Halse stecken bleibt.
Ich habe die Liebe der beiden wirklich gespürt und war traurig, dass diese Erzählung kein Roman war und so abrupt enden musste. Das was ich gelesen habe war grandios, denn Christine Wunnicke kann Sprache und sie kann erzählen - das hat sie schon mehr als einmal bewiesen. Ein wunderbares kleines Büchlein und für Fans von “Brokeback Mountain” ein Must-read. Tatsächlich könnte ich mir die Geschichte auch wunderbar als Film vorstellen.
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