Freitag, 26. Juni 2020

"Ich bleibe hier" von Marco Balzano


Intensiv, beklemmend, wahrhaftig

Südtirol zur Zeit des italienischen Faschismus und des Zweiten Weltkriegs, ist ein histo-topografischer Bereich, mit dem ich mich noch nie zuvor beschäftigt habe. "Ich bleibe hier" von Marco Balzano hat diesen Umstand zum Glück geändert, denn die Geschichte zum berühmten Kirchturm im Reschensee mit den menschlichen Schicksalen dahinter, ist es mehr als wert, erzählt zu werden.

Die Ich-Erzählerin Trina erzählt ihrer Tochter Marcia die Geschichte ihres Lebens, dessen geografischer Mittelpunkt Graun im Vinschgau, Südtirol, war. Eines Lebens, das geprägt war von den politischen Interessen der Faschisten, der Nationalsozialisten und später der Politik der Nachkriegsjahre. Mussolinis Schergen wollten die Dörfer im Dreiländereck Italien-Österreich-Schweiz italianisieren und kappten den einheimischen Tirolern ihren Zugang zu Arbeit und freier Bildung. Mit der Machtergreifung der Nazis entzweiten die "Heim ins Reich"-Parolen und falschen Versprechen des NS-Regimes die Bevölkerung. Die Familie der Erzählerin Trina gehört zu den "Dableibern" - bis auf Tochter Marica, die nach Deutschland verschleppt wird. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs und dem Kriegseintritt Italiens gibt es Pläne, im Gebiet von Graun und Reschen einen Staudamm zu bauen, dessen "Opfer" die Dörfer selbst werden - und natürlich ihre Bewohner. Doch dann müssen Trina und ihr Mann vor den Nazis fliehen und später dann ihr Haus verlassen zugunsten des Stausees.

Trotz des schwierigen, ernsten Themas, erzählt Marco Balzano die Geschichte mit einer bestechenden Leichtigkeit und einnehmenden Natürlichkeit. Die Wahl des Briefes als Erzählmedium und die Tatsache, dass es eine bestimmte Adressatin gibt, an die die Geschichte gerichtet ist - nämlich Trinas Tochter - verleiht dem Ganzen eine sehr persönliche Komponente. Niemals wirkt das Geschriebene artifiziell und immer wie eine wahrhaftige Lebensgeschichte einer Betroffenen. Das Leben in der deutschsprachigen Enklave, die von allen Seiten bedroht und eingeschüchtert wird, wird anschaulich dargestellt, die Atmosphäre im kleinen Südtiroler Bergdorf ist beklemmend. Vor allem die Flucht von Trina und Erich hat mich tief bedrückt und beeindruckt. Krieg ist einfach unglaublich schlimm für die betroffenen Menschen und das wird in "Ich bleibe hier" mehr als deutlich.

Lange hat mich kein Buch mehr derart emotional berührt und aufgewühlt. Eine absolute Leseempfehlung!

Herzlichen Dank an den Diogenes Verlag und netgalley.de für das Rezensionsexemplar!
Nähere Infos zum Buch: hier

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