"A Single Man" - Ich kannte den Film mit dem wunderbaren Colin Firth von 2009, allerdings habe ich leider bereits fast alles von der Handlung vergessen. Ich kann mich nicht mal mehr erinnern, ob ich den Film nicht nur zur Hälfte gesehen habe. Jedenfalls erzählt im Vorwort dieser Ausgabe Tom Ford, der Regisseur des Films, von seiner Begegnung mit dem Roman, aber auch mit dessen Autor Christopher Isherwood (1904-1986) selbst. "Never meet your heroes" könnte man sagen, denn Isherwood nahm bei der kurzen Begegnung kaum Notiz von seinem "Fan" Tom Ford.
In "A Single Man" erzählt Isherwood die Geschichte eines Trauerprozesses. Er erzählt davon, was von einem bleibt, wenn der jahrzehntelang geliebte Mensch plötzlich tot ist.
Wir befinden uns im Kalifornien des Jahres 1962. Unser Protagonist George hat vor Kurzem seinen Lebensgefährten Jim durch einen Verkehrsunfall verloren. George, gebürtiger Brite und Anfang Fünfzig, ist Literaturprofessor (ja, ja, die LiteraturprofessorInnen in der Literatur, nicht gerade eine Minderheit…) an einer kleinen Uni. Wir erfahren etwas über seine StudentInnen (er hat zu jedem/r eine Meinung), weil wir ihn zu einem Seminar, das er abhält, begleiten. Er und Jim haben ein schönes, kleines Haus bewohnt, das von der Nachbarschaft abgetrennt, nur über eine Brücke zu erreichen ist. Geblieben ist George nur noch die Freundin Charley, ebenfalls Engländerin, von ihrem Ehemann getrennt und vom Flügge gewordenen Sohn frisch zurückgelassen worden.
George ist kein sympathischer Protagonist. Er ist neurotisch, selbstgefällig, rassistisch, boshaft, eitel und verbittert, hegt Gewaltfantasien und verdächtigt fast alles und jeden, niedere Motive zu haben und latent homophob zu sein. Sobald George aber mit Wehmut an seinen verstorbenen Lebenspartner Jim denkt, wendet sich das Blatt. Er wird plötzlich zu einer menschlichen, zutiefst verletzlichen Person, die man einfach nur in den Arm nehmen und drücken möchte. Vor allem wenn alltägliche Situationen wie Einkaufen gehen und ein gemütlicher Leseabend auf der Couch in ihm schmerzvoll-schöne Erinnerungen an die gemeinsame Zeit entfachen und ihn sich seiner Einsamkeit nur allzu bewusst werden lassen.
Dafür, dass wir uns nicht zu sehr von Georges Trauer einnehmen oder von seinem perfiden Witz und seiner Ironie betören lassen, sorgt die auktoriale Erzählinstanz. Sie unterbricht die Passagen, in denen wir uns in Georges Gedanken befinden, immer mal wieder für kommentierende Betrachtungen seines Verhaltens. So wie George andere bewertet und in Schubladen steckt, wird er vom Erzähler seinerseits bewertet und dieser fordert die lesende Person auf, es ihm gleichzutun - eine Erzähler-Leser-Komplizenschaft gegen den Protagonisten? Es scheint so.
Was mich für dieses Buch wieder total eingenommen hat, ist die Tatsache, dass die Handlung an nur einem Tag und der darauf folgenden Nacht stattfindet. Sowas zieht mich immer magisch an, ich weiß auch gar nicht so richtig, warum. Vielleicht weil es die Essenz eines Lebens erzählerisch zu kondensieren versucht, was weiß ich.Ich mag es jedenfalls, was nicht heißt, dass ich keine Romane mag, in denen sich die Handlung über mehrere Jahre und Jahrzehnte erstreckt.
"A Single Man" ist mit Sicherheit einer der ersten Romane - wenn nicht der erste - der eine gleichberechtigte schwule Lebenspartnerschaft im bildungsbürgerlichen Milieu erzählt. Zwei Männer, die wie in einer Ehe (nur ohne Trauschein) zusammenleben. Natürlich nicht ganz ohne Probleme, denn Jim war zuvor mit einer Frau verheiratet, auch sie kommt im Roman vor.
Der Roman ist mit Sicherheit auch ein spannendes Zeitdokument für das Amerika der frühen 1960er Jahre. Die politische Situation des Kalten Krieges mit der Angst vor Kommunisten und Nuklearschlägen schwingt im Text mit. Die Kuba-Krise im Herbst 1962 wird von Isherwood, der das Buch 1964 herausbrachte, indirekt mit reflektiert. Lesenswert.
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