Dienstag, 26. September 2023

"Infamous" von Lex Croucher

London um 1818 (Mary Shelley hat zum Zeitpunkt der Handlung "Frankenstein" bereits geschrieben und Lord Byron lebte noch): Die 22-jährige Edith (genannt Eddie) Miller wünscht sich nichts mehr als Schriftstellerin zu werden. Ihre beste Freundin Rose Li, mit der sie in letzter Zeit immer öfter Küssen "übt", möchte schnellstmöglich heiraten, sie weiß nur noch nicht, wen. Als Edith ihren Jugendschwarm, den berühmt-berüchtigten Dichter Nash Nicholson kennenlernt, kann sie ihr Glück kaum fassen: Er ermutigt sie, ihren Roman zu vollenden und lädt sie zu diesem Zweck ein, den Herbst mit ihm und seiner Künstler-Entourage auf seinem Landsitz zu verbringen. Dieser entpuppt sich als auf einer winzigen Insel gelegenes Herrenhaus, das schon bessere Tage gesehen hat. Verwunschener Gothic-Flair und die Gesellschaft von Künstlern - was will man mehr, um Inspiration zu erlangen? Dass Rose und ihr Verlobter, der Kaninchen züchtende Gentleman Albert Rednock, ebenfalls eingeladen wurden, lässt Eddies Herz - zumindest im Fall von Rose - höher schlagen. Doch im Laufe der Zeit mehren sich die Zeichen, dass Nash nicht der ist, der er zu sein vorgibt. Und Eddie beginnt sich zu fragen, ob es ihm wirklich nur darum geht, der Mentor einer aufstrebenden jungen Schriftstellerin zu sein…

Während Crouchers erster Roman "Reputation" die Persiflage eines klassischen Jane-Austen-Romans war, wo u.a. gesellschaftliche Konventionen und der Heiratsmarkt der damaligen Zeit karikiert wurden, ist "Infamous" eine ironische Auseinandersetzung mit den "Romantic Poets". Byron, Keats, die Shelleys, etc., waren ein unkonventioneller Gegenentwurf zum damaligen Establishment. Sie machten nicht nur Kunst, ihr Leben sollte auch als künstlerischer Akt verstanden werden. Nash Nicholson, der Protagonist von "Infamous" ist ganz klar nach dem Vorbild der Romantic Poets gezeichnet. Natürlich hat der extrovertierte Dichter auch eine Meinung zu seinem Konkurrenten Lord Byron. Er hasst seinen ehemaligen Schulkamerad nämlich, weil dieser als Dichter um einiges erfolgreicher ist als der wahrscheinlich nicht minder gutaussehende Nash. Eddie hingegen ist als Protagonistin sehr geradlinig: Sie weiß was sie will, zumindest was ihre schriftstellerischen Ambitionen betrifft. Dass ihre Beziehung zu Rose mehr sein könnte als Freundschaft, will sie sich aber zunächst nicht eingestehen.

Wie bereits in "Reputation" geht es auch in "Infamous" um toxische Männlichkeit, Mansplainig und hegemoniale Männlichkeit. Der gönnerhafte Schriftsteller, der die weibliche Kollegin nicht wirklich ernst nimmt und eigentlich ganz andere Motive hat. Anhand von positiv besetzten männlichen Charakteren wird aber auch aufgezeigt, dass es auch anders geht. Außerdem haben wir - wie immer bei Croucher - queere Figuren, auch die Protagonistin Eddie ist bisexuell. 

Ein wirklich schöner, amüsanter und anspruchsvoller historischer Unterhaltsroman über die Herausforderungen einer (queeren) weiblichen Schriftstellerin im frühen 19. Jahrhundert. Für alle, die diesen Themenkomplex mögen, sehr empfehlenswert.




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