Montag, 4. September 2023

"Adam im Paradies" von Rakel Haslund-Gjerrild

Wenn mich ein Buch besonders stark berührt hat, wenn es mich mit seiner Wortmagie verzaubert und mich total in ein anderes Leben, in eine andere Zeit versetzt hat, dann fällt es mir besonders schwer, eine Rezension darüber zu schreiben. Was sollen meine ungelenken Worte über ein Buch aussagen, sie können höchstens bewirken, dass noch andere den Schatz entdecken, den ich schon gefunden habe. Und so versuche ich es mal wieder.

In diesem Fall hat alles mit meinem Besuch der Ausstellung "Flowers Forever. Blumen in Kunst und Kultur" in der Kunsthalle München an meinem Geburtstag im Mai begonnen. Ich sah dort ein Bild des mir bislang unbekannten dänischen Malers Kristian Zahrtmann (1843-1917): "Adam langweilt sich im Garten des Paradieses". Ein faszinierendes Gemälde. Wie exakt der Maler dieses Gefühl der Langeweile eingefangen hat, kontrastierend zum Überfluss der floralen Üppigkeit um Adam herum. Ein Bild, das in Erinnerung bleibt, nicht etwa (nur) wegen der kaum verhüllten Nacktheit des Modells inmitten der Blütenpracht, sondern vor allem eben wegen diesem fast genervten Gesichtsausdruck, der angesichts der paradiesischen Umgebung dekadent erscheint. 

Im Anschluss an die Ausstellung erfuhr ich, dass ein Roman zu diesem Gemälde existiert und dass die Autorin Rakel Haslund-Gjerrild und der Übersetzer Andreas Donat eine Lesung im Rahmen der Pride Weeks planen. Im Juni war ich dann dort und ließ mich ins Dänemark des frühen 20. Jahrhunderts entführen. (Lesung siehe Story-Highlight "Adam im Paradies") Ich erfuhr, dass die Autorin sieben Jahre an dem Roman geschrieben hat und sie sagte, wenn man sieben Jahre mit einer einzigen Person verbringt, sollte es besser eine ziemlich interessante Persönlichkeit sein. Auf Zahrtmann trifft dies zu, alleine seine Gemälde sind so "edgy", queer und teilweise so provokant und auch witzig, dass man nicht umhin kann, sich für die Hintergründe dieser Kunst, die gegen den Strich gekämmt zu sein scheint, zu interessieren. Zahrtmann war allem Anschein nach homosexuell, doch die Autorin stellt ihn als nicht als jemand dar, der seine Homosexualität ausgelebt hat. Die Sehnsucht nach einem Menschen aber, nach einer Beziehung, die ist dem Ich-Erzähler, der literarischen Persona Zahrtmann, eingeschrieben: "Welch großes Gut: nicht besitzen zu können, wonach es einen verlangt. Gerade in der Sehnsucht, glaube ich, liegt Glück."

Die literarische Figur Zahrtmann scheint sich mit dem Alleinsein abgefunden zu haben, anders als seine Haushälterin Frau Hessellund, die 33-jährige Witwe mit Kind, die dem alternden Maler als Kontrastfigur entgegengesetzt wird. Sie empfindet das Alleinsein, das "Nichtmehrangefasstwerden" als innere Versteinerung. Für Zahrtmann ist seine Kunst das Ventil, in ihr kann er verliebt sein, kann nonverbale Zwiesprache mit den Modellen halten, die nicht selten Objekte seiner unausgesprochenen Begierde sind. Frau Hessellund, die Witwe eines Künstlers, durfte nicht selbst Künstlerin werden. Die Tragödie der Frauen wird in "Adam im Paradies" durch ihre Figur nicht ausgespart.

Zwischen den Erzählpassagen befinden sich - grau hinterlegt - historische Dokumente. In ihnen geht es u.a. um die "Sittenaffäre" in Dänemark 1906/07, ein Gerichtsverfahren, in dem homosexuelle Männer verhört und teilweise verurteilt wurden. Diese erschreckenden Zeitdokumente sollen die prekäre Lage illustrieren, in der sich queere Menschen zu der Zeit, in der der Roman spielt, befanden. In starkem Kontrast dazu stehen die Erzählpassagen, die, geschrieben aus der Ich-Perspektive von Zahrtmann, Szenen aus seinem Leben einfangen. Die Autorin erschafft in jeder dieser Szenen ein neues, reiches, von Schönheit überquellendes Gemälde. Ich musste öfter während der Lektüre innehalten und tief durchatmen, um die Schönheit und Reinheit der Worte, der Sprachbilder, die hier heraufbeschworen werden, zu verdauen. Kunst ist, wenn man innehalten muss.

Wer sich für queere Geschichte, Kunstgeschichte, die dänische Künstlerszene oder gar Kristian Zahrtmann selbst interessiert, sollte dieses Buch unbedingt lesen. Und natürlich alle Personen, die hervorragende Literatur zu schätzen wissen. 

Aus dem Dänischen kongenial übersetzt von Andreas Donat.


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