Über die Unzulänglichkeit von Engeln
“Aber ich liebe nur dich. [...] Ich war dir dein Leben lang verfallen. Was bedeutet Glaube, wenn man spürt, dass man etwas für immer verloren hat? Ich musste dich haben - jemanden, den ich für immer verlieren konnte.” (S. 336)
Heute möchte ich euch einen Roman vorstellen, der bereits im Jahr 1998 erschienen ist. Er steht schon jahrelang auf meiner Wunschliste, ist im Buchhandel zeitweise vergriffen, aber vor einiger Zeit konnte ich ihn in der Originalsprache Englisch ergattern. Es handelt sich um “The Vinter's Luck” von der neuseeländischen Schriftstellerin Elizabeth Knox (*1959). Tatsächlich habe ich danach auch noch die deutsche Übersetzung “Der Engel mit den dunklen Flügeln” von 2000 (übersetzt von Dorothee Asendorf für den Lübbe Verlag) auftreiben können. Aus ihr stammen die Zitate.
In der Nacht des 27. Juni 1808 trifft der 16-jährige französische Winzer Sobran Jodeau das erste Mal auf den Engel Xas. Dieser erscheint ihm als überirdisch schönes Wesen in menschlicher Männergestalt mit großen Flügeln. Der Engel ist schlagfertig und schlau, doch der verschlossene Sobran ist ihm ein Rätsel. Im nächsten Jahr kommt er wieder und es wird gleichsam zu einem Pakt wie zu einem Ritual, dass Sobran den Engel jedes Jahr in der Nacht des 27. Juni trifft. Sobran heiratet, bekommt zahlreiche Kinder mit seiner Frau Céleste, zieht in den Krieg und wird schließlich ein wohlhabender Mann, dessen Lebensglück allerdings immer mehr von einem abhängig wird: dem Engel Xas.
Sobran Jodeau ist bisexuell - für einen erfolgreichem Winzer im Frankreich des 19. Jahrhunderts nicht gerade etwas, was man an die große Glocke hängen würde. Seine ersten homoerotischen Erfahrungen macht er mit seinem Freund Baptiste Kalmann, mit dem er in den Krieg zieht und den er auch ebendort verliert. Der Engel durchschaut Sobrans Neigung schnell, hält ihn aber zunächst auf Abstand. Immerhin ist sein Körper nur das Abbild eines menschlichen Körpers und er möchte eigentlich zunächst nicht angefasst werden. Doch Sobrans Gefühle für den Engel werden immer stärker, bis er ihm eines Jahrestages seine Liebe gesteht, doch Xas geht nicht auf diese menschliche Art des Zusammenseins ein. Auch Jahre nach der ersten erotisch motivierten Annäherung Sobrans erscheint Xas in einer Aufmachung, die für Sobran “martialisch und aufreizend zugleich war.” (S. 154). Zwischen dem Engel und Sobran gibt es über die Jahre viel Unausgesprochenes und trotz Xas’ Zurückweisung ist ihr Geplänkel und Gespräch geprägt von Sinnlichkeit und einer unterschwelligen sexuellen Anziehung: “Xas lachte. ‘Du hast ein ganzes Jahr gebraucht, bis du auf meinen [...] Vorwurf reagiert hast.’ ‘Was hattest du mir denn vorgeworfen?’ ‘Dass du versuchst, dich schön zu machen.’ Sobran kniff den Mund zusammen” - und bleibt letztlich die Antwort schuldig.
Der Roman ist so aufgebaut, dass jedes Kapitel immer das nächste Jahr in Sobrans Leben umfasst, wobei der Anfangspunkt meistens der 27. Juni ist - manchmal auch ausschließlich. Manche Kapitel, die neben der Jahreszahl mit einem Begriff aus der französischen Wein- und Champagnerkultur überschrieben sind, umfassen nur einen Satz, andere sind sehr lang und enthalten Handlung, die nach dem 27. Juni passiert.
Der Schreibstil wirkt für mich, als würde er tatsächlich aus einem zeitgenössischen französischen Roman des 19. Jahrhunderts stammen. Die Autorin imitiert diese Schreibweise, wie wir sie z.B. von Alexandre Dumas, dem “Erfinder der literarischen Seifenoper” kennen, perfekt. Knox packt in die Handlung aber nur genau so viel an Dramatik, dass es noch vage glaubwürdig erscheint - vom Engel einmal abgesehen natürlich. Es passiert schon wirklich viel Dramatisches noch “nebenbei”, wenn Xas gar nicht anwesend ist.
Wenn man das Buch als historischen Fantasyroman lesen möchte, dann sollte man kurz den Weltenaufbau, also den, der metaphysischen Welt, die hier imaginiert wird, erwähnen. Knox’ Beschreibungen von Gott, Teufel, Himmel, Hölle, Fegefeuer und Erzengeln sind ein buntes Konglomerat aus religiösen Vorstellungen und schriftstellerischem Erfindungsreichtum, das wohl vornehmlich zum Erfolg dieses Romans in den später 1990ern beigetragen hat. Einzig die “Erdenhandlung”, die ganz unabhängig von Xas passiert, fand ich oft etwas zäh und “drüber”.
Dieses Buch ist eines, von dem ich gedacht habe, ich würde es lieben. Sein langes Dasein auf meiner Wunschliste hat meine Erwartungen sehr stark hochgeschraubt. Letztlich muss ich aber sagen, ich habe es zwar sehr gemocht - vor allem die Szenen zwischen Xas und Sobran - aber leider nicht geliebt. Dazu sind meine Vorstellungen von dem Buch und das reale Leseerlebnis zu sehr voneinander abgewichen.
Dennoch: Als kurioser queerer historischer Fantasyroman sollte man diesem Buch unbedingt eine Chance geben.
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