Von wahrer Meisterschaft
Komplexe historische Romane von einem gewissen Umfang zeichnen sich im Idealfall dadurch aus, dass sie die erzählte Zeit/Vergangenheit in all ihren Facetten vor den Augen des Lesers lebendig werden lassen und genau das gelingt Noah Martin in “Raffel - Das Lächeln der Madonna” mit Bravour.
Das Italien des frühen 16. Jahrhunderts ist ein Italien der Kleinstaaterei und der Machtkämpfe unter den Fürstentümern. Es ist das Italien, in dem die Borgia die Macht im Kirchenstaat innehaben und die Medici die Strippen ziehen. Aber es ist auch das Italien, in dem mit die größten bildnerischen Kunstwerke der Weltgeschichte innerhalb kürzester Zeit geschaffen wurden. Das Italien der Hochrenaissance von Leonardo da Vinci und Michelangelo, um nur die beiden vermutlich bekanntesten Künstler dieser Zeit zu nennen, die auch im Buch von Noah Martin vorkommen.
In dieses Italien der Renaissance wurde Raffael(o) Sanzio 1493 in Urbino hineingeboren, hier machte er seine kurze, aber intensive Karriere wurde zu einem der bedeutendsten bildenden Künstler aller Zeiten.
Noah Martin nutzt die Technik der Zeitsprünge, um Raffaels Leben zu erzählen. Zwischen den einzelnen Kapiteln liegen mehrere Monate oder sogar Jahre. Es wird demnach in Episoden erzählt und die Handlung umfasst das Leben Raffaels ab einem Alter von 9 Jahren bis zu seinem frühen Tod mit 37 Jahren. Die wesentlichen Stationen seines Lebens - Urbino, Perugia, Siena, Florenz, Rom - werden erzählerisch abgeschritten. Die bittersüße Liebesbeziehung Raffaels zur Bäckerstochter Margherita Luti (genannt "La Fornarina"), die er häufig portraitierte, ist dabei der rote Faden, der den Plot zusammenhält. Dazwischen nutzt Martin Nebenfiguren, um das lebendige Zeitgemälde, das sein Roman ist, zu illustrieren. Anhand ihrer verdeutlicht der Autor Intrigen und Politik im Vatikan und in anderen Teilen Italiens und gibt somit einen Einblick in die Gesellschaft der damaligen Zeit. Wie in vielen bekannten historischen Romanen epischen Ausmaßes (Ken Follett, Rebecca Gablé, etc.) bringt die Handlung eine Vielzahl fiktiver und historischer Personen zusammen, allein das Personenverzeichnis umfasst fünf Seiten.
Der Leser blickt Raffael bei der Entstehung einiger seiner Kunstwerke über die Schulter. Unter anderem dürfen wir ihm bei der Erschaffung von "Die Dame mit dem Einhorn” zuschauen. Später in Rom begleiten wir ihn dann bei der Arbeit an seinen berühmten Fresken für Papst Julius II. ("Die Schule von Athen"). Wir sind Zeuge, wie Raffael den letzten Schliff an seine "Sixtinische Madonna" setzt - die berühmten Engelchen. Und natürlich beim Malen der Bilder, in denen seine Muse Margherita Luti portraitiert wurde. Diese fiktionale "biographische Werkgeschichte" macht für mich einen besonderen Reiz des Buches aus.
Martin ist die Begeisterung für die großen Maler der Renaissance anzumerken, ohne diese aber unnötig zu sakralisieren oder ihren Charakter zu verklären. Das finde ich so wunderbar erfrischend an dem Buch! Der Schlagabtausch zwischen den Maestros ist ein allzu menschliches "Battle", in dem trotz allem Genie niedere Motive wie Habgier, Eifersucht und Missgunst durchaus eine Rolle spielen. Die tätsächliche Begegnung und Konkurrenzsituation zwischen Leonardo da Vinci und Michelangelo lässt diese Giganten der Kunstgeschichte in einem völlig neuen Licht erscheinen. Wobei das Universalgenie Leonardo als Verbündeter Raffaels deutlich besser wegkommt als der eigenbrötlerische Michelangelo.
Das Buch ist opulent, bildgewaltig und großartig. Sicherlich ein Muss für jeden, der sich für die italienische Renaissance interessiert. Noah Martin ist hier wirklich ein ganz vortrefflicher historischer Roman und ein fulminantes Debüt gelungen! Bitte mehr davon, würde ich sagen (z.B. ein Roman über Botticelli, Dürer, Tizian, etc., die im Buch übrigens auch alle genannt werden).
Herzlichen Dank an den Droemer Knaur Verlag und vorablesen für das Rezensionsexemplar!
Nähere Infos zum Buch: hier